Premiere von "Familie Braun" in der Singener Färbe
Wenn Maikäfer für einige Menschen anders sind
Singen. Wenn aus Essstäbchen SS-Stäbchen gemacht werden oder die Abkürzung zweifelhafter Gruppierungen nicht verstanden wird, dann ist man richtig bei "Familie Braun". Bei diesem Stück, das am 13. Dezember im Singener Färbe-Theater Premiere feierte, wird eindrucksvoll dargestellt, wie aktuell das Thema Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft immer noch ist.
Kai (Julius Barner) und Thomas (Nikkel Schüler) wohnen zusammen in einer WG. In ihrer Freizeit drehen sie kurze wie stumpfsinnige Youtube-Videos, trinken Bier - und reißen Ausländerwitze. Die beiden sind waschechte Nazis. Ihr Leben wird durcheinandergebracht, als es eines Tages an der Tür klingelt und die Freundin einer jungen Frau aus Eritrea, mit der Thomas sieben Jahre zuvor einen One-Night-Stand hatte, ein Kind bei ihm abliefert. Plötzlich scheint Thomas alleinerziehender Vater einer dunkelhäutigen Tochter zu sein. Denn Laras (Hans-Jürgen Helsig) Mutter wird abgeschoben...
Authentische Inszenierung
Grundlage hierfür war eine auf Youtube gezeigte Dramedy-Serie, die im Rahmen der Reihe "Das kleine Fernsehspiel" erstmals 2016 im ZDF ausgestrahlt wurde. Drehbuchautor Manuel Meimberg schrieb später die Bühnenfassung für ein Stück, das sich sowohl frech sowie mit sehr viel schwarzem Humor und Empathie und einem stark aufgelegten Färbe-Ensemble dem Thema Rechtsradikalismus widmete. Dabei ist das Stück unter der Regie von Elmar F. Kühling vor allem eins: authentisch. Dies reicht von den zahlreichen ausländerfeindlichen Schimpfworten mit denen die Kai und Thomas um sich werfen bis hin zum Bühnenbild mit rechtsradikalen Symbolen und Bildern.
Vor allem jedoch wird diese Authentizität geprägt von der herausragenden Chemie zwischen Julius Barner und Nikkel Schüler, die vor allem in den ersten zwei Dritteln der Inszenierung mit ihren Figuren maßlos überfordert sind, Lara auf skurrile Art und Weise loszuwerden. Durch deren ständiges Anschreien werden die Charaktere Thomas und Kai sowie die Sorgen und Probleme der Gruppe, die sie auf der Bühne verkörpern, wortwörtlich in die Realität geholt und der bitterböse Humor hierin auf ein hohes Niveau gehoben. Noch verrückter jedoch wird es, als die von Hans-Jürgen Helsig wundervoll kindlich verkörperte Lara anfängt, Sympathien für deren Rechtsradikalismus zu entwickeln, als sie zum einen als Hitler zum Kostümfest gehen möchte, sie dessen Bild an der Wand nicht traurig findet oder Kai es fast schafft, sie zu dessen bekannten Buch zum Einschlafen zu bringen.
Infragestellung eigener Sympathien
Dies alles jedoch kommt stark ins Wanken, als Thomas Besuch seiner Ex-Freundin Julia (Carla Strewe) und deren Mitbewohnerin Ayse (Magdalena Herzenberg) bekommt sowie von etwas erfährt, von dem er lieber nichts hätte wissen wollen. In diesem Moment nimmt das Stück dahingehend eine Wendung, als dass er nun seine rechtsradikalen Sympathien komplett in Frage stellt und er einen komplett anderen Ton an sich hat, wenn Kai nicht in der Wohnung ist. Von nun an wird die andere Seite der Realität, nämlich die derjenigen Bevölkerung, die der rechten Seite ganz und gar nicht zugewandt ist, mit ins Boot geholt. Dies wird vor allem durch das Schneidern von Laras Kostüm für die Schule sowie den Besuch ihrer Deutschlehrerin eindrucksvoll dargestellt. Hier wird ein schockierender Blick in eine hoffentlich nicht stattfindende Zukunft gewagt, den das Publikum mehr schlucken lässt als die beiden WG-Kumpel ihre unzähligen Biere. Auch das "Anderssein" von Lara wird wunderbar durch das Buch symbolisiert, aus dem Thomas ihr vorliest, in dem ein Maikäfer auf gewisse Art und Weise nach sich selbst sucht.
Generell sei zur meisterhaften Inszenierung von "Familie Braun" mit einem grandios gewählten Ende gesagt, dass man für dieses Stück nicht nur einen starken Magen braucht, sondern, wie die Darsteller selbst für die gut zwei Stunden Laufzeit eine gewisse Hemmschwelle überwinden sollte, um sich mit dieser leider immer noch aktuellen wie schwierigen Thematik kulturell auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz ist es gerade in heutigen Zeiten umso wichtiger, durch kulturell wichtige Beiträge wie diesen hier sich dieser Materie zu widmen und hierdurch darüber miteinander ins Gespräch zu kommen.
"Familie Braun" wird noch bis zum 25. Januar jeweils Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag gespielt. Ausnahmen hierfür bilden die Matinee am 22. Dezember um 11 Uhr sowie der Silverstertag am 31. Dezember, an dem das Stück sowohl um 17 Uhr (mit Sektempfang und Häppchen vor der Vorstellung ab 16 Uhr) und um 21 Uhr aufgeführt wird.
Autor:Philipp Findling aus Singen |
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