Klimaschützer im Gespräch
Warum junge Menschen auf die Straße gehen
Landkreis Konstanz. Um die Klimaschützer von Fridays for Future ist es in jüngster Zeit ruhig geworden. Die »Schulschwänzer« wurden durch Gruppen wie die Letzte Generation und die Extinction Rebellion, die sich öffentlichkeitswirksam auf Straßen und an Gemälden festkleben, überschattet. Dennoch hat die Fridays-for-Future-Bewegung ihren Kampf für das Klima nicht aufgegeben.
In einem rund zweistündigen Gespräch mit der WOCHENBLATT-Redaktion berichteten nun Vertreter der Gruppen Konstanz und Singen, wo es weiterhin Handlungsbedarf gibt, wie sie die Menschen abholen möchten und wie sie anderen Klimaschutzgruppen gegenüber eingestellt sind.
Verständnis für die Straßenkleber
An Straßen festkleben wollen sich die Klimaschützer von Fridays for Future noch nicht. Verständnis für solche Aktionen ist aber trotzdem da. »Ich glaube, was sich in diesen Aktionen vielleicht zeigt, ist, dass es eine gewisse Frustration gibt, weil wir einfach nicht so schnell sind, wie wir sein müssten, um noch die Kurve zu kriegen«, meint Niklas Becker. Daraus seien dann solche Gruppen entstanden, die noch einen Schritt weiter gehen, um ihre Ziele zu erreichen.
Marcel Maier sieht das ähnlich: »Die Letzte Generation sagt ja genau das: ›Friedlicher Protest hat nicht mehr ausgereicht, um gehört zu werden. Und genau deswegen machen wir das.‹« Sorgen davor, mit extremeren Aktivisten in einen Topf geworfen zu werden, hat er nicht. »Unser Aktionskonsens sind vor allem angemeldete Demonstrationen und andere Gruppen bedienen sich da anderer Aktionen. Ich glaube schon, dass Leute das trennen können.«
»Ich würde nicht auf die Letzte Generation verzichten wollen.«
Und es brauche eine Bewegung wie die Letzte Generation, ist Gunda Wöhrle überzeugt. »Ich würde nicht auf die Letzte Generation verzichten wollen«, sagt sie. »Auch wenn es sehr viel Gegenwind in der Bevölkerung gibt und auch in den Medien die Klimabewegung oft über einen Kamm geschert wird.« Sie könne sich vorstellen, sich der Bewegung anzuschließen, »weil ich glaube, dass wir früher oder später als Gesellschaft an den sozialen Kipppunkt kommen.«
Klimaschutz bringt Arbeitsplätze
Im Klimaschutz sehen die Vertreter von Fridays for Future auch eine Chance für zukunftsfähige Arbeitsplätze. »Deutschland hat insbesondere im Solarbereich Arbeitsplätze verloren«, sagt Niklas Becker. In der Technik von erneuerbaren Energiequellen stecke in dieser Hinsicht ein großes Potenzial – beispielsweise bei der Wartung der Anlagen. »Und letztendlich geht es beim Klimaschutz auch darum, dass es überhaupt langfristig nur dann möglich ist, unseren Wohlstand zu erhalten, wenn wir die natürlichen Grundlagen, auf denen dieser Wohlstand basiert, erhalten.« Deshalb gebe es keine Alternative zum Klimaschutz.
»Wir wissen genau, dass die Veränderungen kommen.«
Auch Gunda Wöhrle sieht Möglichkeiten für den Arbeitsmarkt – und das nicht nur bei Windrädern und Photovoltaik. »Auch wenn es um Gebäudesanierung geht, um Architektur, um Hausbau, brauchen wir sehr viele Fachkräfte und Handwerker. Da ist sehr viel Potenzial da für mehr Arbeitsplätze und sichere Arbeitsplätze«, sagt sie. »Und das Ding ist doch, dass wir auf jeden Fall vor der Herausforderung, vor einer großen Transformation stehen, weil wir genau wissen, dass die Veränderungen kommen. Ob sie jetzt in Form von Klimawandel, von Naturkatastrophen, die zum Alltag werden, kommen oder in der Form, dass wir als Gesellschaft sagen: ›Wir müssen uns einfach umstrukturieren.‹«
Verantwortung und Vorbildfunktion
Kritiker der Klimaschutzbewegung führen gerne die Frage ins Feld, warum Deutschland in der Pflicht steht, wenn andere Länder – beispielsweise China mit 30 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes – einen viel höheren Anteil am Klimawandel haben. Solche Vergleiche sehen die Klimaschützer von Fridays for Future kritisch. »Der Vergleich hinkt in der Hinsicht, dass in China mehr als eine Milliarde Menschen leben und wir sind 83 Millionen«, sagt Gunda Wöhrle.
Doch davon unabhängig liege es im Interesse der Deutschen, aktiv gegen den Klimawandel zu werden. Denn die Auswirkungen seien bereits zu sehen. »In der Landwirtschaft haben wir massive Probleme mit Trockenheit im Sommer. Wir bekommen sicherlich auch ein Problem mit Waldbränden. Das haben wir im letzten Sommer schon gesehen, dass das durchaus schon Deutschland erreicht. Da gab es in Thüringen entsprechende Brände, die nur schwer unter Kontrolle zu bringen waren.«
»Wir müssen die Kurve kriegen.«
Zudem seien die politischen Verhältnisse und Möglichkeiten dort anders. »In China leben die Menschen in einer totalitären Diktatur. Sie können sich nicht gegen diese Emissionen wehren«, meint Marcel Maier. »Wir können Einfluss auf die Politik nehmen und das ist, glaube ich, schon eine ganz große Chance. Und wenn wir uns die Pro-Kopf-Emissionen anschauen, sind wir übrigens in Deutschland auf einem ähnlichen Niveau wie China.«
Deutschland könne eine Vorbildfunktion einnehmen, glaubt Niklas Becker. »Wenn wir die sechstmeisten Emissionen haben, dann gehören wir zu denen, die die Kurve kriegen müssen und auch zeigen müssen, dass es gelingen kann. Wenn wir in Deutschland da deutlich mehr vorangehen und zeigen, wie eine ökologische Transformation der Wirtschaft gelingen kann, dann wird es auch global mehr Wirkung haben in der Hinsicht, dass andere Länder dem nachfolgen.«
Der Klimaschutz als Schulfach
Beim Thema Klimaschutz sehen die Vertreter von Fridays for Future ein klares Versagen des Bildungssystems in Deutschland. »Bis zur 13. Klasse wurde ich nie mit dem Klimawandel konfrontiert«, schildert Gunda Wöhrle. »Es ist eigentlich total schockierend. In der Schule wurde das einfach nicht thematisiert.« Darum gebe es Wünsche seitens der Bewegung für ein Schulfach, das sich mit dem Thema »Umwelt und Mensch« auseinandersetzt.
»Der Hauptauftrag von Bildung wird völlig verfehlt.«
»Wenn Jugendliche und Kinder schon teilweise die ganzen Nachmittage in der Einrichtung, in der Ganztagsbetreuung oder in der Schule verbringen, dann muss doch da eine Bildung stattfinden. Auch eine Moralbildung. Viele von uns werden auch Kinder in die Welt setzen. Und wir müssen schauen, dass diese es schaffen, mit den Krisen ihrer Zeit umzugehen.« Das sei der Hauptauftrag von Bildung, der aber noch völlig verfehlt werde.
»Ich will an der Stelle einfach mal sagen, wie schwer das eigentlich ist, was das für eine Herausforderung ist und was für Aufgaben das sind, die an uns als junge Menschen gestellt werden«, betont Gunda Wöhrle. »Dass wir das Sprachrohr der Wissenschaft sind, dass wir Leuten erklären müssen, was der Klimawandel bedeutet und dass wir jetzt irgendwie Klimaschutz schmackhaft machen müssen. Das ist doch eigentlich total absurd.«
Jeder könne sehen, worauf die Menschheit zusteuere. Es mangele in der Gesellschaft nicht an Informationen, sondern an dem Willen, etwas zu verändern. »So viele Teile dieser Gesellschaft wissen, was sie erwartet. Aber sie wollen einfach nicht, weil sie Bock haben, mit 200 über die Autobahn zu rasen oder weil sie jeden Tag Fleisch essen müssen.«
Aktuelle Informationen zur Klimaschutzbewegung in der Region gibt es auf www.fridaysforfuture-konstanz.de oder www.fffsingen.de. Erreichbar sind die Klimaschützer per E-Mail an konstanz@fridaysforfuture.de oder singen@fridaysforfuture.de
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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