Landesweite Aktionswoche mit Lücken
Warum Armut so oft unsichtbar bleibt

Auf Plakatwänden gab es viele "Sprachwolken", wie sich Armut für Betroffene anfühlt.
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  • Auf Plakatwänden gab es viele "Sprachwolken", wie sich Armut für Betroffene anfühlt.
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Singen/ Kreis Konstanz. Mit "Zeitenwende" wurde die diesjährige Aktionswoche gegen Armut im Land überschrieben, die von den Wohlfahrtsverbänden zusammen mit der Landesarmutskonferenz, den Gewerkschaften wie den Tafeln in diesen Tagen durchgeführt wird. In Singen waren dazu am Samstag Aktionen angekündigt, da die Stadt ja auch weiter als ein Hotspot gehandelt wird. Dies betrifft die Empfänger von Bürgergeld wie auch die Familien mit geringen Einkommen, wo das Geld auch meist sehr knapp ist, obwohl gearbeitet wird. Der Armut ein Gesicht geben war das Ziel der Veranstaltung am Samstag, aber es war klar dass die allermeisten eben doch lieber wegsehen, das Thema verdrängen wollen. Die Macher des Aktionstags, der vom neuen Singener Sozialkreis auf die Beine gestellt wurde, blieben doch ziemlich unter sich.
Wer gekommen wäre, hatte sehen können, dass man Armut eben gar nicht so leicht sieht oder erkennt. Denn Armut fängt schon viel früher an als die meisten denken und oft wissen gerade Kinder oder Jugendliche auch gar nicht, dass ihre Einschränkungen im Leben Armut sind.

Der Armut ein Gesicht geben, das taten an diesem Tag Stellvertreter, die mit diesem Thema auf die verschiedenste Weise in ihrem täglichen Umgang konfrontiert sind, und die auch einen feinen Sinn dafür haben, wenn des fürs Leben eben vorne und hinten fehlt. Mirja Zahirovic vom Kinder- und Familienzentrum St. Nikolaus in Singens Südstadt erzählt die Geschichte von "Steven" der erst mit viereinhalb Jahren in den Kindergarten kommt und erst mal vom vielen Spielzeug total überfordert war, der vor der Turnhalle weint, weil die Mutter den Kauf von Turnschlappen Woche um Woche verschiebt, der seinen Geburtstag nicht feiern will, weil dann die anderen merken können, wie wenig da ist. Armut bedeute hier zuerst, dass den Kindern Chancen genommen würden.

"Wenn man keine Freunde hat"

Marc Laporte-Hoffman, Rektor der Singener Hebelschule hatte eine Umfrage in seiner Schule gemacht, was für sie Armut ist, anomym natürlich: Kein Dach überm Kopf, nichts zu Essen, und "wenn man keine Freunde hat", wurde da immer genannt. Und Letzteres bestürzt. 
Er zählt die Geschichte eines 15-jährigen Jungen, der aufgefallen war weil er oft fehlte, obwohl der doch sehr viel Energie ausstrahlte. Es stellte sich raus, dass der Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf seine Geschwister aufpassen muss. Einen Schreibtisch zum Hausaufgaben machen gibt es daheim nicht. "Kinder haben in unserem System wenig Vergleichsmöglichkeiten, da sie in der vierten Klasse getrennt werden. Dann sind die Schüler einer sozialen Schicht unter sich und was immer wieder auffällt, sind die fehlenden Bindungen, auch aus Scham, dass andere hier sehen, wie wenig man hat."
Thomas Flacher, Fachbereichsleiter für Arbeitslosenhilfen bei der AWO, erzählt die Geschichte eines Jugendlichen, der die Schule abgebrochen hat. Daheim reicht es nur für eine gebrauchte "Playstation", deshalb wird nur online mit anderen gespielt, damit niemand was merkt. Agnes Hügle hat die Geschichte einer 33-jährigen parat, die aus einer Beziehung ausgestiegen ist, und nur immer wieder zu hören bekommt: "Du hast dich nicht genug bemüht!" Das Leben voller Zukunftsängste, eine Spirale aus der man nicht mehr rauskomme und im "Abseits" lande. Eine 82-jährige Frau kann nach dem Tod ihres Mannes die Miete nicht mehr selbst auftreiben. Sie wohnt im fünften Stock, ist gehbehindert und kommt bald nicht mehr hoch. Doch mit ihren Verhältnissen wäre eine andere Wohnung Utopie.
Die Beispiele sollten deutlich machen, dass Armut sehr markante Auswirkungen hat und schnell zur Ausgrenzung führt. In Singen gibt es natürlich ein starkes Netzwerk, wird immer auch durch Thorsten Kalb als Leiter des Fachbereichs Jugend / Soziales / Ordnung. Das wird eigentlich auch sehr stark nachgefragt, wie zum Beispiel die "Kiju-Card", aber trotzdem werden viele nicht erreicht.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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