Bürgergeldempfänger zum Wechsel aufgefordert
Streit um Mietspiegel enzündet sich an Aktion des Jobcenter
Singen/ Rielasingen-Worblingen. Der neue Mietspiegel für Singen und Rielasingen-Worblingen, der eigentlich Menschen helfen sollte, an günstigen oder auch günstigeren Wohnraum zu kommen, hat eine seltsame Nebenwirkung bekommen. Denn plötzlich bekamen nun Kunden des Jobcenters, die Bürgergeld beziehen unliebsame Post mit der klaren Aussage, dass sie zu teuer wohnen, und sich schnellstmöglich eine günstigere Wohnung suchen sollen.
Udo Engelhardt, Vorsitzender der Singener Tafel, bei der viele Bürgergeld-EmpfängerInnen betreut werden, sieht das als Katastrophe, denn in Singen gebe es derzeit diesen günstigeren Wohnraum gar nicht.
Zu den Dimensionen. In Singen seien vor einigen Wochen insgesamt 118 Bedarfsgemeinschaften wegen Überschreitung der Mietobergrenzen angeschrieben worden, teilte das Jobcenter des Landkreises auf Anfrage mit. Dies hat sich natürlich den im Frühjahr in Singen und Rielasingen-Worblingen nach heftigen Diskussionen anerkannten Mietspiegel genau angesehen und sieht sich auf der Ausgabenseite verantwortlich, dass es in welcher Form auch immer Geld ist, dass BürgerInnen dafür einzahlen.
Der Vorgang hatte auch prompt zu Reaktionen geführt: „Das Jobcenter Kreis Konstanz zeigt, dass es weder auf dem Boden des Grundgesetzes steht noch, dass es Armut bekämpft. Es bekämpft und drangsaliert Arme und spricht ihnen ihre Menschenwürde ab“, so Ryk Fechner, Mitglied im Kreisvorstand der Partei Die Linke Konstanz in einem kürzlich veröffentlichten Statement. „Wir fordern das Jobcenter auf, die Kürzungsorgie bei Mietobergrenzen gegen Bürgergeld-Beziehende in Singen und Rielasingen unverzüglich zurückzunehmen“, so Fechner weiter. Hier sollte zur Not der Landkreis einspringen, um Differenzen auszugleichen, so die Forderung.
Rücknahme des Mietspiegels gefordert
Die Gegenseite vertritt der Verein "Haus und Grund" Singen-Hegau, der damals auch scharfen Widerstand gegen die Einführung des Mietspiegels leistete und seine Bedenken indirekt durch diese Anschreiben an Bürgergeld-Empfänger bestätigt sieht: "Es ist genau das eingetreten, was Haus & Grund Singen vorhergesagt hatte. Es ist kein Mietspiegel, sondern ein Mietsenkungsspiegel geworden", schreibt Bernhard Hertrich, der das Jobcenter hier in den Stellungnahmen nur als Sündenbock sieht und die Verantwortung in der lokalen Politik. Inklusive ist die Forderung, diesen Mietspiegel baldmöglichst wieder rückgängig zu machen.
"Die Mietobergrenzen des Jobcenters sind in Rielasingen-Worblingen um durchschnittlich etwa 20 Prozent, in Singen um durchschnittlich rund 17 Prozent gesenkt worden", hat Bernhard Hertrich von Haus & Grund ausgerechnet.
Kein Angebot im Umland
Auch der Mieterbund Hegau-Bodensee, wurde durch die Nachricht der Anschreiben des Jobcenters aufgeschreckt und zurate gezogen: "Gemäß Paragraph 22 SGB II hätten Hilfesuchende einen Anspruch darauf, dass ihre „Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt würden, soweit diese angemessen sind", schreibt Winfried Kropp, Vorsitzender des Mieterbund Hegau-Bodensee dem WOCHENBLATT. Und: Eine angemessene Miethöhe im Sinne des Sozialrechts unterscheide sich von der ortsüblichen Vergleichsmiete im Mietrecht durchaus. Da es bei sozialrechtlichen Mietobergrenzen auch darauf ankomme, ob zu diesen Mietpreisen überhaupt Wohnraum zur Verfügung stehe, wäre neben den Mietspiegelwerten auf jeden Fall auch der Zuschlag von zehn Prozent bei der Prüfung der Angemessenheit hinzuziehen, ist der Standpunkt von Winfried Kropp.
Das Kuriosum könnte sein, dass betroffene Mieter nämlich zum Beispiel Wohnungen finden könnten, wenn es denn welche gäbe, die genauso viel wie ihre Singener Wohnung kosten würde, aber wegen anderer Mietpreisgrenzen dann nicht beanstandet würden.
Unabhängig vom Mietspiegel erscheine es unplausibel, dass in den anderen Umlandgemeinden im Hegau gegenüber 2023 mehrheitlich höhere Mietpreise anerkannt worden seien, während in Singen und Rielasingen—Worblingen starke Kürzungen vorgenommen werden sollen, so der Mieterbund weiter in seiner Stellungnahme. Gefordert wird, dass ein gemeinsames Vorgehen von Mieterbund, Sozialverbänden, dem Jobcenter und den Städten und Gemeinden gegen Mietpreisüberhöhung und Mietwucher nun dringend erforderlich sei.
Noch keine Koffer packen
Dass nun jemand auch alsbald die Koffer packen und die bisherige Wohnung verlassen müsste, verneint das Jobcenter selbst. "Vom Anschreiben bis zur Kostensenkung müssen sechs volle Monate vergehen. Vor der Einleitung der Kostensenkung erfolgt in jedem Fall eine Einzelprüfung. Je nach Einzelfall wird dann entschieden, ob das Kostensenkungsverfahren eingeleitet werden muss. Bei geringfügigen Überschreitungen wird Ermessen ausgeübt und jeder Einzelfall gesondert beurteilt", verspricht Claudia Walschburger, stellvertretende Geschäftsführerin des Jobcenters im Landkreis. Wenn Betroffene nach sechs Monaten Wohnungssuche, die sie nachweisen könnten, keinen Erfolg gehabt hätten, könne dieser Zeitraum im Einzelfall auch nochmals um sechs Monate verlängert werden.
Erstaunlich ist, dass sich weiter die Differenzen am Mietspiegel für Singen und Rielasingen-Worblingen aufschaukeln: in vielen anderen Gemeinden und Städten, wie Radolfzell, Konstanz, Stockach, Allensbach oder gar Bodman-Ludwigshafen gibt es solche Mietspiegel zum Teil schon seit Jahren, die wesentlich geräuschloser funktionieren und die bereits auch verlängert wurden.
Quellen Statement: Jobcenter Landkreis Konstanz, Mieterbund Hegau Bodensee, Haus & Grund Singen -Hegau, "DIE LINKE" Kreisverband Konstanz
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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