„Tag der Arbeit" im neuen Format gelingt
Solidarität für die Zeitenwende eingefordert
Singen. Mit einem sehr gut besuchten und liebevoll vorbereiteten ökumenischen Gottesdienst in der Herz-Jesu-Kirche – vom legendären IG Metall-Bevollmächtigten Heinz Rheinberger einst mit dem katholischen Pfarrer Gebhard Reichert ins Leben gerufen – startete Singen in den diesjährigen 1. Mai unter dem Motto „GeMAInsam Zukunft gestalten“. Nach zwei Jahren Zwangspause und dem Ausweichen in virtuelle Formate wurde nun am neuen Ort Herz-Jesu-Platz im neuen Format gefeiert.
Pfarrerin Andrea Fink-Fauser und Dekan Matthias Zimmermann riefen zusammen mit Arbeitnehmerseelsorgerin Heike Gotzmann, Gewerkschaften, Betriebsräten und Mitgliedern des ökumenischen Netzwerkes „Kirche und Arbeitswelt“ dazu auf, „unseren Sorgen Raum zu geben, denn Krisen machen uns unsicher“ (Fink), „aufeinander zuzugehen, aufeinander zu hören, Wege zu suchen und gemeinsam zu gestalten“ (Zimmermann), was mit Beifall und auch mit Dank an Johannes Link für die beeindruckende musikalische Gestaltung bedacht wurde. „Das war harmonisch, man spürte ein Miteinander“, so die Eheleute Engesser direkt nach dem ermutigenden Gottesdienst.
In einem Kraftakt hatten sich auch die aktiven GewerkschafterInnen unter Federführung der IG Metall kurzfristig dazu entschlossen, den 1. Mai nach zwei Jahren Corona-Zwangspause und dem Verlust der Scheffelhalle nun erstmals auf dem Herz-Jesu-Platz als Familienfest zu begehen – und der Himmel mitsamt den Hunderten Besuchern dankte es ihnen im Laufe des sonnigen, friedlichen und solidarischen Tags der Arbeit.
Zahlreiche Kinder nutzten die von der Audi-BKK gesponserte Hüpfburg, während sich längere Schlangen des interkulturellen Publikums vor den internationalen Köstlichkeiten bildeten, abgerundet durch Köstlichkeiten der AWO und Angebote des Schoch-Cafés. Endlich konnte wieder einmal Gemeinschaft gesucht und in zahlreichen offenen Gesprächsgruppen gefunden werden. Es herrschte „Freude, alte Gesichter wiederzusehen und die Singener Tradition fortzusetzen“, so Amcor-Betriebsratsvorsitzender Salvatore Valentino vom IG Metall-„Arbeitskreis kulturelle Vielfalt“, der seit 35 Jahren bei der lokalen Maifeier dabei ist und den Stand mit inSi e.V. teilte. In bewährter Verbundenheit reihten sich zudem Stände von SPD, AWO, Amnesty International, der GRÜNEN und der IG Metall-Jugend aneinander, an denen zahlreiche BesucherInnen die Möglichkeit nutzten, wahlweise Gespräche mit SPD-MdB Lina Seitzl, SPD-MdL Hans Peter Storz, MdL Dorothea Wehinger (GRÜNE), aber auch Singens OB Bernd Häusler und vielen Mitgliedern des Gemeinderates sowie lokalen Betriebsräten und Gewerkschaften zu führen. „Schön, dass die Maifeier wieder stattfindet, sie ist wichtiger denn je“, so Gemeinderätin Regina Brütsch. Auch Thomas Fischer, Fondium-Betriebsratsvorsitzender, sieht darin „die Besinnung auf die alten Tugenden und guten Werte, die uns stark gemacht haben“. Für Singens OB Bernd Häusler ist der Herz-Jesu-Platz „ideal für Familienfeste dieser Art“, hält dessen Nutzung für „ausbaufähig“.
DGB-Kreisvorsitzender Klaus Mühlherr (GEW), der auch die KundgebungsteilnehmerInnen „endlich wieder“ begrüßen konnte und zum „Innehalten und Kraft tanken“ aufrief, ist mit diesem „schönen Anfang auf dem Platz zufrieden“, wünscht aber noch Zugang zu Wasser und damit zu einer Toilette. Ex-Metaller-Chef Raoul Ulbrich, der über lange Jahre auch Organisator und Motor der Singener Maifeiern war und nun in die Bildungsarbeit wechselt, findet es „gut, dass was stattfindet“ und ergänzt aus großer Erfahrung zum Thema 1. Mai: „Du brauchst die Vereine!“ Sein Nachfolger in Singen, Frederic Stiegler, 2. Bevollmächtigter in den Geschäftsstellen Friedrichshafen-Oberschwaben/Singen, übernahm die Moderation des Maiprogramms, welches neben einer Reihe von kurzen Redebeiträgen (unter anderen Heike Gotzmann, MdB Lina Seitzl, Thomas Fischer) nachdenklich-stimmungsvolle musikalische Beiträge der „Kapo Brothers“ um Constellium-Betriebsratsvorsitzenden Bernhard Widmann, der „One-Man Cover Show“ und der Rockband „Acoustic Voice“ umfasste, gekonnt gewürzt vom „Zirkus Larifari“, der nicht nur Kinderherzen erfreute.
Thema Nummer eins in den meisten Gesprächen und allen Ansprachen des Tages blieb der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine. Eine Sammlung von inSi e.V. ergab einen weiteren Betrag für das Solidaritäts-Konto „Kobeljaki“ der Stadt Singen. Klar zur Sprache kam, dass auch viele russische Arbeitskollegen und Nachbarn nicht mit Putins Krieg einverstanden sind und deshalb nicht diskriminiert werden sollten.
Yvonne Möller, Tarifsekretärin der IG Metall Baden-Württemberg und Hauptrednerin in Singen, forderte deshalb nicht nur „die sofortige Beendigung dieses Krieges“, „die Untersuchung und Aufklärung von Kriegsverbrechen“ und deren Ahndung „vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag“, sondern auch die Freilassung jener Menschen in Belarus und Russland, „die sich mutig gegen diesen Krieg stellen“, wie jüngst festgenommene Gewerkschafter in Belarus, denen nun langjährige Gefängnisstrafen drohen, zudem die Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften.
Möller wandte sich ebenso gegen die Versuche des Fleischkonzerns Tönnies, ukrainische geflüchtete Frauen direkt an der Grenze zur Arbeit „zu Dumpingpreisen in den Schlachthöfen“ zu bewegen. Frieden und Sicherheit, so Möller, umfassen das Recht souveräner Länder auf Selbstverteidigung, „wozu wir beitragen sollten“, können aber „nicht allein mit militärischen Mitteln erreicht werden“, so Möller. „Wer Frieden will, muss Diplomatie betreiben, die internationale Zusammenarbeit und das Völkerrecht stärken, den Klimawandel bekämpfen und für soziale Sicherheit und Bildungschancen aller Menschen eintreten.“
Die Gewerkschafterin mahnte vor einer weltweiten Explosion der Lebensmittelpreise und Energiekosten mitsamt einer steigenden Inflation, forderte eine Neuordnung der Energieversorgung mit dem Ziel, die Kosten für Energie für alle kalkulierbar zu halten, auch für die Industrie ob der Arbeitsplätze. Neben dem schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien forderte sie unter anderem eine befristete Senkung der Stromsteuer und der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas, neben weiteren Maßnahmen. Sie begrüßte einerseits die Anhebung des Mindestlohnes auf zwölf Euro, von der vor allem Frauen profitieren, wehrt sich jedoch strikt gegen die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs, welche Frauen ohne soziale Sicherung und mit einer „riesigen Rentenlücke“ dastehen lassen. Solidarisch zeigt sie sich deshalb mit dem aktuellen Tarifkampf im Sozial- und Erziehungsdienst und ergänzt: „Bei uns als IGM geht es dann im Herbst los!“
Autor:Bernhard Grunewald aus Singen |
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