Protest von der Tafel und aus der Politik
Neuer Mietspiegel setzt Arbeitslose auf die Straße

Symbolbild Wohnungsbau | Foto: of/ Archiv

Singen/ Rielasingen-Worblingen. Der neue Mietspiegel für Singen und Rielasingen-Worblingen, der eigentlich Menschen helfen sollte, an günstigen oder auch günstigeren Wohnraum zu zu kommen, hat eine seltsame Nebenwirkung bekommen. Denn plötzlich bekamen nun Kunden des Jobcenters, die Bürgergeld beziehen unliebsame Post mit der klaren Aussage, dass sie zu teuer wohnen, und sich schnellstmöglich eine günstigere Wohnung suchen sollen. Udo Engelhardt, Vorsitzender der Singener Tafel, bei der viele Bürgergeld-EmpfängerInnen betreut werden, sieht das als Katastrophe, denn in Singen gebe es derzeit diesen Günstigeren Wohnraum gar nicht. 

Darauf hat nun auch die Partei "Die Linke" im Landkreis mit einer scharfen Stellungnahme reagiert: „Das Jobcenter Kreis Konstanz zeigt, dass es weder auf dem Boden des Grundgesetzes steht noch, dass es Armut bekämpft. Es bekämpft und drangsaliert Arme und spricht ihnen ihre Menschenwürde ab“, so Ryk Fechner, Mitglied im Kreisvorstand der Partei Die Linke Konstanz. „Wir fordern das Jobcenter auf, die Kürzungsorgie bei Mietobergrenzen gegen Bürgergeld-Beziehende in Singen und Rielasingen unverzüglich zurückzunehmen“, so Fechner weiter.

Bisher übernahm das Jobcenter bei einer Wohnfläche von 60 Quadratmetern eine Nettokaltmiete von bis zu 580,- Euro. Durch Mietspiegel-Anpassungen sollen zukünftig nur noch 486 Euro abgedeckt werden. Die Betroffenen stehen dann vor der Wahl, sich entweder eine neue, billigere Wohnung zu suchen – im Landkreis Konstanz wohl eher eine naive Hoffnung – oder die Mehrkosten selbst zu tragen. „Es ist schlicht skandalös, die Menschen zu zwingen, ihre Wohnkosten von dem Existenzminimum des Bürgergeldes abzuknapsen. Die Betroffen müssen dann sparen, an Nahrung, an Mobilität und nicht zuletzt an ihrer Gesundheit.“, so Manuel Falkenstein, ebenfalls Mitglied der Linken Konstanz. Zudem weißt er auf die psychische Belastung hin: „Menschen, die bereits in einer schwierigen Situation sind, noch damit zu belasten, sich eine neue Wohnung suchen zu müssen, ist am Ende eine reine Schikane auf dem Rücken der Schwächsten.“

Als Partei – und Menschen, die lokale Mietangebote kennen – sind wir der Auffassung, dass es blanker Hohn ist, wenn das Jobcenter eh schon verzweifelte Menschen auf eine hoffnungslose Suche nach billigem Wohnraum verpflichtet. Schon die die Idee, Armutsbetroffene hätten die Ressourcen, gegen ihre Vermieter:innen geringere Mietpreise durchzusetzen, ist Irrsinn: Allein die Zeit und die psychischen sowie organisatorischen Kräfte, die für derartige juristische Schritte notwendig sind, wären in unterstützenden Angeboten weit sinnvoller angelegt. Auch die Verwaltung sollte eigentlich besseres zu tun haben. Selbst Aufstocker:innen, deren Lohn oder Rente nicht zum Leben reicht, sind von dem Schreiben und dem Risiko, ihre Wohnung zu verlieren, betroffen. Vage Hoffnungen auf ferne Lösungen helfen diesen Menschen in ihrer tiefen Verunsicherung nicht.

„Menschen ohne Erwerbsarbeit sind nicht einfach nur erwerbslose Menschen, es sind immer individuelle Biographen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Voraussetzungen. Unter den Betroffenen sind auch Menschen, welche zu wenig verdienen und aufstocken müssen bzw. aufgrund von Kindern oder Eltern, nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Städte und Gemeinden, die es selbst nicht schaffen, genug und bezahlbare Angebote der Versorgung wie Kita- und Pflegeplätze zu schaffen, bestrafen so die Angehörigen“, legt Falkenstein dar: „Die Entscheidungsträger:innen im Jobcenter Singen zeigen allerdings ganz deutlich, dass sie mit verächtlichem Blick auf Menschen ohne eigenes Einkommen schauen.“ Es sei eben keinesfalls so, dass diese finanzielle Ressourcen hätten, die sie einfach nur verschieben müsste. „Das Grundgut Wohnen sollte einen deutlich höheren Stellenwert haben, auch im Wertekanon des Jobcenters. Menschen dürfen nicht mit dem Verlust der Wohnungen verunsichert werden!“

Die Ausführungen der Jobcenter-Geschäftsführerin Katja Nops, dass derlei Anpassungen üblich und daher Unterstützungssenkungen gerechtfertigt seien, gehen für Die Linke Konstanz entschieden an der Lebensrealität Betroffener vorbei und zeugen von ungeheuerlichem Zynismus: „Städte und Landkreise haben Mittel und Wege, hier Kosten zuzuschießen. Es liegt an der Zivilgesellschaft, den Gemeinde- und Kreisräten sowie uns als Partei, für diese Änderungen zu streiten, da Langzeitarbeitslosigkeit prinzipiell jede Person – letztlich auch Jobcenter-Angestellte – treffen kann“, so Fechner abschließend.

Auch der Mieterbund im Landkreis reagiert kritisch: Gemäß § 22 SGB II haben Hilfesuchende einen Anspruch darauf, dass ihre „Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden, soweit diese angemessen sind.“
Eine angemessene Miethöhe im Sinne des Sozialrechts unterscheidet sich von der ortsüblichen Vergleichsmiete im Mietrecht, so Winfried Kropp, Vorsitzender des Mieterbund Bodensee in einer Stellungnahme.

Zu bedenken ist außerdem, dass aufgrund des angespannten Wohnungsmarkts in der Stadt Singen die Mietpreisbremse gilt, so Winfried Kropp weiter. Die Mietpreisbremse  lege fest, dass bei Neuvermietungen die Miethöhe maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfe. Da es bei sozialrechtlichen Mietobergrenzen auch darauf ankommt, ob zu diesen Mietpreisen überhaupt Wohnraum zur Verfügung stehe, wäre neben den Mietspiegelwerten auf jeden Fall auch der Zuschlag von zehn Prozent bei der Prüfung der Angemessenheit hinzuziehen ist sein Standpunkt.

Unabhängig vom Mietspiegel für Singen und Rielasingen-Worblingen erscheint es unplausibel, dass in den anderen Umlandgemeinden im Hegau gegenüber 2023 mehrheitlich höhere Mietpreise anerkannt werden, während in Singen und Rielasingen—Worblingen starke Kürzungen vorgenommen werden sollen, so der Mieterbund weiter in seiner Stellungnahme.

Der Mieterbund Bodensee empfiehlt daher, mit dem Jobcenter zunächst die Kriterien zu erörtern, anhand derer die die Mietobergrenzen zum 1.6.2024 angepasst wurden. Außerdem sei ein gemeinsames Vorgehen von Mieterbund, Sozialverbänden, dem Jobcenter und den Städten und Gemeinden gegen Mietpreisüberhöhung und Mietwucher erforderlich.

Quelle: Mieterbund Bodensee, "Die Linke" Kreisverband Konstanz

Autor:

Presseinfo aus Singen

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