Baukonjunktur lahmt weiter erheblich
Lieber weniger Förderungen - dafür weniger Vorschriften

Wenn Baugenossenschaften derzeit noch bauen, geschieht das fast durchweg als Nachverdichtung, wie hier durch die Baugenossenschaft Familienheim Bodensee am Malvenweg in Singen. Grundstückskosten würden die Investitionen nochmals in unermessliche Höhen treiben. | Foto: Oliver Fiedler
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  • Wenn Baugenossenschaften derzeit noch bauen, geschieht das fast durchweg als Nachverdichtung, wie hier durch die Baugenossenschaft Familienheim Bodensee am Malvenweg in Singen. Grundstückskosten würden die Investitionen nochmals in unermessliche Höhen treiben.
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Hegau/Kreis Konstanz. Die Zahlen lassen einen schnell erschrecken: In Baden-Württemberg sank die Zahl der genehmigten Bauten in 2023 um 33 Prozent, in der ersten Jahreshälfte kommt man gar auf ein Minus von über 40 Prozent gegenüber dem langjährigen Mittel. Aber das hat einen klar definierbaren Grund: Hohe Zinsen, die Grundstückspreise und vor allem eine schier unendliche Zahl an Auflagen, für die privaten wie öffentlichen Bauherren, wirken schon seit Jahren wie ein Bremsklotz.

Gerade die Baugenossenschaften (BG), die sich schon als Grundidee den bezahlbaren Wohnraum auf die Fahnen geschrieben haben, sehen sich in ihrem Bemühen, die seit Jahren drückende Wohnungsknappheit zu mildern, blockiert. Vor über zwei Jahre hatten bereits ein Krisentreffen mit der Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und den Vertretern der regionalen BG in Konstanz stattgefunden. "Die Wirkung im Nachhinein war gleich null", beklagt im Rückblick Stefan Andelfinger, Vorstand der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee, die bei ihren Projekten hier in der Region auf die Bremse getreten ist. Erst mal wird nur realisiert, was schon so weit fortgeschritten ist, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Zahl der Vorschriften rund um Bauen sei in den letzten Jahren sogar noch von 5.000 auf 20.000 angestiegen. Zur Baugenehmigung sind inzwischen dicke Aktenordner nötig, deren Erstellung Unmengen an Arbeitszeit verschlinge. "Wer heute baut, geht bankrott", als Ausspruch von Andreas Mattern, Präsident des Zentralen Immobilienausschusses, ist längst zum geflügelten Wort in der Branche geworden. Bei dem ganzen Wust an Auflagen käme man inzwischen auf eine Quadratmetermiete von 21 bis 23 Euro, um überhaupt auf eine schwarze Null zu kommen.

E wie Einfach

Die Baugenossenschaften schielen da aktuell in Richtung Schleswig-Holstein, wo im letzten Herbst die Formel "E-Bauen" von der Politik gesetzt worden sei. "E" bedeutet "Einfach", also die Senkung der geforderten Standards für bestimmte Gebäude. Damit, so die Aussagen aus Schleswig-Holstein, könne man Baukosten um mindestens 25 Prozent senken, was durch geringere Anforderungen zum Beispiel Schallschutz oder Wandstärken und bei Ausbaustandards erreicht werden könne. Im Juni wurde dort eine Studie vorgestellt, die gemeinsam vom Land Schleswig-Holstein, dem Gemeindetag und der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) in Auftrag gegeben wurde, und der nun Taten folgen sollen, denn dort lahmt der Wohnungsbau ähnlich gravierend.

"Es würde einfach viel mehr Sinn machen, von vielen Anforderungen wieder abzurücken", sagte der technische Vorstand der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee, Marco Bächle, kürzlich bei der Mitgliederversammlung der BG. Damit könne man sich im Prinzip viele Förderprogramme sparen, was unter dem Strich durch weniger Bürokratie zusätzlich Kosten senken könnte.

Ohne Förderungen geht es nicht mehr

Wie mit den Förderungen der Schuss nach hinten losgehen kann, dafür gibt es auch einige Beispiele aus der Region. Die Baugenossenschaft Gottmadingen wollte im letzten Jahr einen Ersatzneubau in der Fliederstraße beginnen. Doch sie musste die Notbremse ziehen, weil sie mit ihren Förderanträgen abgeblitzt war, angesichts blitzschnell ausgeschöpfter Fördertöpfe. Jetzt hofft man im Herbst endlich starten zu können, mit deutlich abgespeckter Planung, einer auf das Minimum reduzierten Tiefgarage und mehr Wohnungen. Doch ohne KfW-Förderungen wäre auch das nicht realisierbar.

Die Baugenossenschaft Hegau musste ihr Projekt der "Überlinger Höfe" erst mal um ein Jahr verschieben, weil auch dort der Fördertopf leer war. "Das Projekt ließ sich nur deshalb angehen, weil wir hier Nachverdichtung auf einem eigenen Grundstück durchführen", sagte der damalige Vorstand Axel Nieburg. Ein Jahr später gab es zwar eine Förderung, aber die fiel viel geringer aus. "Wir bauen jetzt nur, weil es zu spät ist, das Projekt zu stoppen", klagte Nieburg zum Spatenstich im letzten Jahr. Denn trotz eigenem Grundstück sei es aufgrund der geforderten Baustandards nicht mehr möglich, unter der für ihn absoluten Schallmauer von 5.000 Euro Baukosten für den Quadratmeter Wohnraum zu bleiben. Denn drauflegen können die Genossenschaften auch nur begrenzt.

Selbst die große WOBAK in Konstanz als städtische Baugesellschaft verkündete bei ihrem Spatenstich in der Leipziger Straße für eine Obdachlosenunterkunft, dass jetzt angesichts der negativen Rahmenbedingungen erstmal Schluss sei mit neuen Projekten. Doch gerade in Konstanz ist der Mangel an Wohnraum eklatant. Die Planungen für dieses Gebäude, dessen Bedarf als "dringend" eingestuft wurde, hatten schon in 2019 begonnen und mussten einige rechtliche Hürden überwinden.

Die schwarze Null

Dass die Genossenschaften hier an Grenzen gehen, macht das aktuelle Bauprojekt der BG Familienheim Bodensee in Engen an der Aacher Straße deutlich. Dort habe man sich dazu entschieden, die Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter zu belassen und für die nächsten fünf Jahre auch nicht zu erhöhen. "Das sind wir unseren Mitgliedern schuldig, auch wenn wir damit auf null herauskommen, also kein Geld verdienen." Die Baugenossenschaft kann derzeit noch damit leben, da sie eine sehr hohe Eigenkapitalquote hat und den Neubau nicht über Banken finanzieren musste, wie der Aufsichtsratsvorsitzende Bernhard Hertrich zum Richtfest kürzlich sagte. Aber eine Zukunftslösung ist das auch nicht.

In Baden-Württemberg will man derzeit vom E-Bauen noch nichts wissen. Der Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen hat im Juni darüber diskutiert, den stehen gebliebenen Baumotor mit einer "Realisierungsprämie" wieder zum Laufen bringen zu wollen. Die Prämie sei als Zusatz zur Basisförderung für sozial gebundenen Wohnraum angedacht, so das Protokoll aus dem Landtag. Allerdings ist dabei immer noch von "beabsichtigt" die Rede. Diskutiert wurden hier 6.000 Euro für Wohnbauunternehmen und 20.000 Euro für private Bauherren mit selbst genutztem Wohnraum, der neu erstellt oder mit erheblichem Aufwand wieder hergestellt werde. Seit einem Jahr laufen die Planungen dafür bereits. Schon bei der Ankündigung der Prämie Anfang 2023 wurde dem Ministerium hier vom Verband der Wohnungswirtschaft "mangelnder politischer Wille" unterstellt. Auch dort wird die Bremse in der Bürokratie gesehen, weil man für größere Bauvorhaben mit Bauleitplanung inzwischen vier bis fünf Jahre benötige.

Gesetzentwurf auf Bundesebene

Auf Bundesebene wiederum wurde am 29. Juli ein Gesetzentwurf "zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus" (kurz "Gebäudetyp-E-Gesetz") veröffentlicht. Wie der Name sagt, geht es auch hier um das E-Bauen, als einfaches und innovatives Bauen. Hierbei sollen Komfort-Standards bei Neubauten reduziert werden, um Kosten zu sparen. Vorgaben im Bereich Sicherheit bleiben erhalten. So könnten laut Bundesjustizminister Marco Buschmann bis zu zehn Prozent der Kosten gespart werden. Angesetzt wird dazu an den "anerkannten Regeln der Technik": Diese sind laut Mitteilung des Bundesjustizministeriums "für das Bauvertragsrecht sehr relevant. Beim Neubau von Wohnungen müssen die 'anerkannten Regeln der Technik' grundsätzlich eingehalten werden." Diese Regeln selbst seien jedoch nicht gesetzlich definiert, sodass Gerichte auch anhand von (technischen) Normen urteilen, die eher dem Komfort dienen. So gibt es etwa eine DIN-Norm, die eine Mindestanzahl an Steckdosen für ein Wohnzimmer vorschlägt, abhängig von dessen Größe - ab 20 Quadratmetern fünf, darunter vier Steckdosen. Andere Beispiele, die rein dem Komfort dienen, sind Erwartungen an die Raumhöhe oder die Balkongröße. Der Gesetzesentwurf soll die "anerkannten Regeln der Technik" konkretisieren und es einfacher machen, davon abzuweichen, um so auch innovative Baustoffe und Bauweisen einsetzen zu können. In Kraft treten könnte das Gesetz frühestens Anfang 2025.

Die Talsohle der Bautätigkeit hat indes auf den Haushalt des Landkreises deutliche Auswirkungen: Schon in 2023 lag die Grunderwerbssteuer deutlich unter den Ansätzen und in diesem Jahr noch viel niedriger als in früheren Jahren. Das ist unter anderem Geld, das dem Landkreis für andere Aufgaben fehlt. Auch für die Kommunen drohen viele Ausfälle bei der Gewerbesteuer durch die stockende Baukonjunktur.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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