Ausstellungseröffnung in der Robert Gerwig Schule
„Lasst uns wieder Mensch sein“

Von rechts nach links: Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler, Viktoria Hartmann von der Initiative Stolpersteine, Historiker Axel Huber, Stolperstein-Aktive Roswitha Besnecker, RGS-Schulsprecher Giuseppe Femia, Heidi Lorenz-Schäufele von der Stolperstein-Initiative, RGS-Schulleiter Andreas Grimm und Hans-Peter Storz MdL, Sprecher der Initiative (v.re.n.li.)
 | Foto: Bernhard Grunewald
  • Von rechts nach links: Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler, Viktoria Hartmann von der Initiative Stolpersteine, Historiker Axel Huber, Stolperstein-Aktive Roswitha Besnecker, RGS-Schulsprecher Giuseppe Femia, Heidi Lorenz-Schäufele von der Stolperstein-Initiative, RGS-Schulleiter Andreas Grimm und Hans-Peter Storz MdL, Sprecher der Initiative (v.re.n.li.)
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Singen. Reges Interesse bei den Schülerinnen und Schülern der Robert-Gerwig-Schule fand am Freitagvormittag, 24. Januar, die Eröffnung der Ausstellung „Auschwitz - Ein Ort dieser Erde (A place on earth)“ in deren großer Pausenhalle.

Gezeigt werden großformatige Bilder aus dem „Auschwitz-Album“, einer Sammlung von 193 Aufnahmen der SS-Männer Ernst Hoffmann und Bernhard Walter aus dem Spätfrühling 1944, die im brutalen Lageralltag Erkennungsphotos und Fingerabdrücke jener registrierten „arbeitsfähigen“ Häftlinge im KZ Auschwitz anfertigten, die nicht sogleich nach deren Ankunft ermordet wurden. Darüber hinaus schufen sie mit ihren Bildern das einzige fotografische Beweismaterial für die Ankunft von Juden in Auschwitz und in Todeslagern überhaupt.

Die Dokumente zeigen unmenschliche Praktiken nach dem Verlassen der Viehwaggons und der unmittelbaren Selektion auf der Rampe, bevor die ahnungslosen Todgeweihten unter dem Vorwand einer harmlosen Dusche direkt in die Gaskammern geschickt wurden. Bildunterschriften der beiden SS-Männer folgten dem trügerischen und zynischen Nazi-Jargon, mit dem die gewaltsame Deportation und die planmäßige Ermordung von Jüdinnen und Juden als verharmlosende „Umsiedlung“ betitelt wurde. Die Bilder dieser Gräueltaten zeigen den gesamten Ablauf - bis auf die Tötung selbst. Ein einziges Exemplar dieses „Albums“ konnte die 19-jährige jüdische Gefangene Lilly Jacob zufällig am Tage der Befreiung im Lager Dora bergen - ein kostbares Dokument, welches sie 1980 der jüdischen Gedenkstätte Yad Vashem übereignete.

Hans-Peter Storz, SPD-Landtagsabgeordneter und Sprecher der Initiative Stolpersteine in Singen, welche unter dem Motto „Nie wieder - ist jetzt“ eine vielfältige Aktionswoche bis zum 2. Februar mit vielen Veranstaltungen organisiert hat, berichtete eingangs von seinem letztjährigen und erschütternden Besuch in Auschwitz, wo stumme Zeugen wie Schuhe, Koffer, Kleidung, Brillen und abgeschnittenes Frauenhaar an die systematische und brutale Entmenschlichung der Unschuldigen durch die Nazi-Schergen erinnern. Nach Auschwitz wurden 1,3 Millionen Menschen deportiert, wovon 1,1 Millionen nicht überlebten, darunter 960 000 Juden, von denen 860 000 sofort vergast wurden.

Storz mahnte, dass vor allem bei Jüngeren das Wissen um den Holocaust und die Shoah schwindet, so wie auch Zeitzeugen zunehmend fehlten. Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler würdigte ausdrücklich die langjährigen Bemühungen der Stolperstein-Initiative, unschuldige Opfer des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Häusler erinnerte an Singens langjährigen katholischen Stadtpfarrer August Ruf, der 1942 einer verfolgten jüdischen Frau zur Flucht in die Schweiz verhalf, danach verraten wurde und von den Nazis mit 74 Jahren für sechs Monate ins Rottenburger Gefängnis geworfen wurde, was Ruf furchtlos kommentierte: „Ich sehe es als einen Ehrentag an, dass ich auch noch in meinen alten Tagen ins Gefängnis darf für eine Liebestat.“ Fünf Tage nach seiner Haftentlassung starb Ruf am Karsamstag 1944 an den Folgen der brutalen Haft.

Aus Singen wurden nachweislich siebzehn Mitbürgerinnen und Mitbürger in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, so Häusler, nur vier überlebten die Gräuel. Andreas Grimm, Schulleiter der Robert-Gerwig-Schule, bedankte sich insbesondere bei Hans-Peter Storz und der Stolperstein-Initiative für die Aktionswoche, begrüßte die Ausstellung ausdrücklich in seinem Haus und ermutigte die anwesenden Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit den gezeigten Dokumenten und mit Themen unserer Tage.

Schulsprecher Giuseppe Femia hob in seinem eindringlichen Grußwort hervor, dass der Holocaust nicht am Anfang der Nazi-Schreckensherrschaft gestanden habe, sondern Verachtung, Hass und zunehmende Verfolgung von Menschen anderer Meinung, Religion und Überzeugungen. Selbst wenn wir 70 Jahre in Frieden leben, sollten und müssen wir wieder aufpassen, dass Diskriminierung, Ausgrenzung und Hass nicht unser Leben bestimmen. Femia schloss seinen spontanen Beitrag mit dem Appell an die Anwesenden: „Lasst uns wieder Mensch sein.“

Am kommenden Montag, 27. Januar, wird der Historiker Axel Huber ab 19 Uhr im Ratssaal der Singener Rathauses über „Die Guttmanns. Eine jüdische Familie aus Singen.“ berichten, welche die Scheffelstrasse ab 1907 mit ihrem Modehaus geprägt hatten, bis sie vor Ort in ein nationalsozialistisches Räderwerk mit dramatischem, teils tödlichem Ausgang gerieten.

Autor:

Bernhard Grunewald aus Singen

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