Alexander Kupprion von »Der Sport Müller« im Kontrovers-Interview
Kontrovers: Die Einkaufs-Stadt muss so freundlich und sauber werden wie der »Europapark«

Müller Kontrovers | Foto: Alexander Kupprion im Versandbereit der Singener Sporthausen. Dort werden die Päckchen der Onlinebestellungen zusammengestellt. swb-Bild: of
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Zwei Seelen in der Brust

Singen. »Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust ...« legte Goethe einst seinem Dr. Faustus in den Mund, der damals hin und her gerissen war im uralten »Kampf« zwischen Kopf und Bauch, zwischen Rationalität oder Sinnlichkeit. Die Frage, ob der Onlinehandel vielleicht doch ein Pakt mit dem Teufel sein könnte, bei dem man die eigene Seele verkauft, stellte sich besonders seit März 2021. Angesichts geschlossener Läden wurden aufgrund des Corona-Lockdowns viele Strohhalme gesucht, die das Überleben sichern sollten. Doch was ist draus geworden? Jedenfalls gibt es sie hier noch nicht, die reinen Onlinehändler, die sich aus dem Ladengeschäft verabschiedet haben. Das »und« ist der spannende Part zur Frage, wie viel Internet eine Einkaufsstadt verträgt, und wie viel sie braucht. Alexander Kupprion als Geschäftsleiter von »Der Sport Müller« in Singen kämpft auf beiden Seiten - denn der Laden hat eben die zwei Seelen in seiner Brust, erklärt er im kontroversen Interview des Wochenblatts.

Wochenblatt: Herr Kupprion, wie geht es ihnen denn, wenn sie selbst KundInnen beraten und ihnen etwas verkaufen können, von dem sie meinen, dass es sie bestimmt glücklich macht?
Alexander Kupprion: Richtig gut. Dieser Beruf ist ja einer derer, wo ich fast sofort ein Feedback bekomme auf das, was ich tue und ob ich alles richtig gemacht habe. Das ist auch das schöne daran, dass, das wie ein Echo folgt.
Wochenblatt: Trotzdem müssen Sie viele Wege dafür gehen und brauchen manchmal auch ganz schön Ausdauer.
Alexander Kupprion: Nicht immer, aber eine gute Beratung für Skischuhe, die es hier im Laden schließlich auch mit Passformgarantie gibt, oder aber für neue Sportschuhe, kann schon mal eine Stunde und mehr dauern, weil es uns ja auch darum geht, hier nicht einfach nur zu verkaufen, sondern auch darum, hier eine Dienstleistung anzubieten, die über dem eigentlichen Produkt steht. Den Schuh gibt es schließlich fast überall und meist auch zum gleichen Preis. Unser Job hier im Laden ist es einfach, zum Beispiel den richtigen Schuh mit dem richtigen Menschen zusammenzubringen, damit sie zusammen glücklich werden können. Oder den richtigen Rucksack für den individuellen Rücken, das perfekte Shirt für Sport drinnen oder draußen ... Denn manchmal kommt man mit was ganz anderem raus als geplant, weil es eben viel mehr gibt als die Standards, die jeder kauft. Und die Kunden kommen auch gerne wieder, wenn wir ihren Horizont erweitern können.
Wochenblatt: Klingt gut. Sie kennen ja die Kunden auch, die in ihr Geschäft kommen.
Alexander Kupprion: Wir wollen die Kunden gut beraten, damit sie gerne wieder kommen, da entstehen schon Kontakte über längere Zeiten.
Wochenblatt:
Jetzt gibt es ihr Geschäft aber auch im Internet. Gerade als jetzt die Läden zu hatten, haben sie da eigentlich richtig Gas gegeben. Lernt man da auch die Kunden kennen? Weil im Internet gehts ja dann doch wieder um die Ware und weniger um die Dienstleistung, für die sie eigentlich brennen?
Alexander Kupprion: Wir haben uns gerade durch die Erfahrung des Lockdwons stärker auf zwei Säulen gestellt. Aber das kam auch nicht über Nacht, denn das Phänomen zurückgehender Frequenzen in den Städten baut sich ja schon seit einigen Jahren immer stärker auf. Wir agieren hier also mit unserem Laden im Premiumbereich, wenn wir auch wissen, wo wir unsere Hausaufgaben noch machen müssen, und wir sind mit unserem Onlineshop weit über die Stadt bundesweit präsent und auch nachgefragt. Dort können wir etwas von der wegfallenden Frequenz der Städte für uns auffangen. Ein Ladengeschäft unserer Größe mit 4.000 Quadratmetern mít den Kunden einer Stadt wie Singen und dem Einzugsbereich zu »befüttern« wird ambitionierter. Deshalb brauchen wir den Online-Handel, um auch weiter für das stationäre Geschäft das gute Sortiment bieten zu können für die unterschiedlichsten Kundenwünsche. Es geht nun freilich darum, online keinen Ramsch-Auftritt zu haben, sondern genauso Qualität zu vermitteln und Kompetenz.
Wochenblatt: Haben ihre Bemühungen aus der Zeit des Lockdowns in Sachen Onlineshop eine nachhaltige Wirkung gehabt, bleibt ihnen das Plus der letzten Monate?
Alexander Kupprion: Das können wir noch nicht genau sagen, weil wie noch nicht lange genug aufhaben und der Juni im Sporthandel wenig Aussagekraft hat. Der Zuwachs wird nicht so weitergehen, aber gestoppt wird er durch offene Läden nicht. Da haben sich die Kunden daran gewöhnt.

Wochenblatt: Aber die Kunden aus dem Onlinehandel kennen sie eigentlich nicht?
Alexander Kupprion: Die Adresse oder den Namen bekommen wir mit. Wir haben zu Fragen inzwischen aber extra eine Hotline eingerichtet, weil manche eben doch Fragen haben, die das Portal nicht beantworten kann. Wir wollen aber auch eine andere Positionierung des Onlineshops, und dass der Kunde hier im Laden mehr Leistung erwarten darf.
Wochenblatt: Und sie lernen die Online-Kunden dann kennen, wenn sie sich beschweren wollen.
Alexander Kupprion: Das spielt sich meist auch in einem ganz anderen Rahmen ab, weil es da auch meist nur um ein Produkt geht. Der aus unserer Sicht typische Onlinekunde, der damit auch sehr gut zurecht kommt, weiß meist genau, was er will: zum Beispiel die Laufschuhe, die er eh schon hat und nun durch neue ersetzt. Oder Sportbekleidung, bei der die Größe klar ist. Er würde dort selten die Marke wechseln, das wäre dann wieder unser Job hier im Laden, weil wir ihm da was besseres zeigen könnten. Und das ist hier für uns auch das Salz in der Suppe.
Die Zeit des Lockdowns haben wir übrigens in vielfältiger Weise nutzen können, zum Beispiel auch dadurch, dass wir unser Warenwirtschaftssystem gründlich überarbeitet haben, damit wir jederzeit wissen, was an Ware verfügbar ist. Sonst funktioniert kein Onlinehandel wirklich. Und da stehen wir gut da.
Wochenblatt: Das ist dann eigentlich nicht viel anders als in der Bank, wo ich alles aus dem Automaten hole und die Bank nur bei der Beratung kennen lerne?
Alexander Kupprion: Fast. Aber doch anders.
Wochenblatt:
Sie sind also mit beiden Säulen glücklich?
Alexander Kupprion: Wir brauchen beides. Wir lernen von beiden Seiten, beides hat sich befruchtet. Regional brauchen wir ein stationäres Geschäft weil, wir das wollen und weil ich das auch einfach gerne mache. Aber wir können das wirklich nur tun, weil wir einen Online-Fuß haben. Da dürfen wir aber nicht die einzigen sein, weil die Stadt muss einfach für die Dienstleistung in ihren Geschäften stehen, nicht nur einzelne Geschäfte.
Wochenblatt: Das klingt interessant, aber auch nach einer Menge Arbeit. Denn nach der Krise der letzten 12 Monate steht eher die Suche nach alter Normalität im Vordergrund.
Alexander Kupprion: In einer Zusammenkunft hier habe ich kürzlich gesagt, dass sich die Einkaufsstadt der Zukunft eigentlich aufstellen müsste wie ein Freizeitpark. Ich erlebe das, wenn ich gelegentlich den Europark besuche, der hier den Service für die Besucher aus meiner Sicht sehr positiv umgesetzt hat. Überall helfen einem dort freundliche Menschen weiter. Der Park ist sauber und gepflegt und es gibt alles, wonach mir das Herz begehrt. So was wäre eigentlich die Blaupause für eine Innenstadt der Zukunft. Wir wollen den Kunden hier ja eine Freizeitaktivität bieten, denn für die Ware braucht er nicht mehr in die Stadt zu kommen.
Und auch diese Erkenntnis ist nicht neu. Die Entwicklung hat sich durch die Lockdowns einfach beschleunigt. Und eigentlich hat Singen das ja auch schon einige Male mit speziellen Aktionen geboten, bis zum Streetsoccer, Beachvolleyball- oder Tischkickerturnier in der Innenstadt (in Kooperation mit dem Wochenblatt übrigens).
Wochenblatt: Vielen Dank. Ich höre, dass die Seelen schon richtig gut zusammen gefunden haben.

Das Gespräch führte
Chefredakteur Oliver Fiedler

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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