Anliegerstädte wehren sich mit allen Mitteln
Gäubahn: „Keine Abbindung ohne Alternative“

Im Bild Bernd Häusler (OB Singen), Prof. Dr. Georg Hermes, Dr. Stefan Belz (OB Böblingen), Peter Rosenberger (OB Horb a. N.) bei der Medienkonferenz im Böblinger Rathaus. | Foto: Strauch/ Stadt Böblingen
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  • Im Bild Bernd Häusler (OB Singen), Prof. Dr. Georg Hermes, Dr. Stefan Belz (OB Böblingen), Peter Rosenberger (OB Horb a. N.) bei der Medienkonferenz im Böblinger Rathaus.
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Böblingen/ Singen. Die Großen Kreisstädte Singen, Rottweil, Tuttlingen, Villingen-Schwenningen, Horb am Neckar, Herrenberg und Böblingen haben die rechtlichen Voraussetzungen für die beabsichtigte „Abbindung“ der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof prüfen lassen. Dieses wurde nun in einer gemeinsamen Pressekonferenz in Böblingen vorgestellt. „Keine Abbindung ohne Alternative“ ist dabei die klare Ansage der Anliegerstädte.
Der Spezialist für Infrastrukturrecht an der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Dr. Georg Hermes, kommt in seinem Kurzgutachten zu dem Ergebnis, dass die geplante „Abbindung“ der Gäubahn eines vorherigen eisenbahnrechtlichen Stilllegungsverfahrens bedarf. Außerdem bedürfe eine zukünftige Nutzung der Grundstücke auf der bisherigen Panoramabahntrasse für andere als Eisenbahnzwecke eines vorherigen Freistellungsverfahrens nach dem Eisenbahngesetz.

Unklare Planungssituation

Schließlich spreche trotz der noch unklaren planungsrechtlichen Situation viel dafür, dass das Schicksal der Gäubahn in der mehr als fünfjährigen Übergangsphase bis zur Fertigstellung der Anbindung über den Flughafen zum Gegenstand eines gesonderten Planfeststellungsverfahrens gemacht werden müsse. Prof. Hermes bestätigt damit die Ergebnisse der rechtlichen Prüfung, die Prof. Kramer aus Passau bereits im April vorgelegt hatte. Auf dieser Grundlage prüft das Gutachten Hermes, ob den Anliegerkommunen der Gäubahn eine Rechtsposition zukommt, die eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Abbindung der Gäubahn ermöglicht.
Denn die mehrjährige Unterbrechung der Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof bedeute für Fahrgäste der Bahn und insbesondere für Pendlerinnen und Pendler aus Richtung Singen, Rottweil, Tuttlingen, Villingen-Schwenningen, Horb, Herrenberg und Böblingen erhebliche Nachteile insbesondere im Hinblick auf Fahrzeiten und Anschlussmöglichkeiten in Stuttgart an den Nah-und Fernverkehr.

Ende nicht absehbar

Für die Anliegerkommunen der Gäubahn bedeute dies einen (Standort-)Nachteil, der mehrere (voraussichtlich mindestens fünf) Jahre andauern würde und dessen Ende nicht bestimmbar sei. Diese Nachteile bedeuten nach Hermes zwar keinen Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Anliegerkommunen. Ein gerichtliches Vorgehen der Kommunen sei deshalb schwierig. Allerdings bestehe aus seiner Sicht die theoretische Möglichkeit, sich selbst oder durch ein beauftragtes Eisenbahnunternehmen als „Dritte“ an dem erforderlichen Stilllegungsverfahren zu beteiligen mit dem Ziel, die Gäubahn-Strecke zwischen Vaihingen und Stuttgart Hauptbahnhof weiter zu betreiben oder aber betreiben zu lassen, bis die Alternativstrecke über den Flughafen fertiggestellt und befahrbar ist.
Die an der Gäubahn gelegenen Großen Kreisstädte könnten also über ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen gegen eine –mangels Durchführung eines vorherigen Stilllegungsverfahrens oder wegen fehlerhafter Erteilung einer Stilllegungsgenehmigung –rechtswidrige Abbindung der Gäubahn gerichtlich vorgehen, wenn sie über Eisenbahninfrastrukturunternehmenglaubhaft machen, an der Übernahme der Strecke durch Kauf oder Pacht interessiert zu sein.
Die glaubhaft gemachte Absicht, die Strecke (nach Übernahme) während der Übergangszeit bis zur Anbindung der Gäubahn über den Flughafen durch ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen betreiben zu lassen, würde ausreichen.

Anlieger werden massiv benachteiligt

So bewerten die Oberbürgermeister des Ergebnis dieses neuerlichen Gutachtens: "Die von der DB beabsichtigte Unterbrechung der Gäubahn über einen mehrjährigen Zeitraum – der mit jeder planerischen Veränderung und Verkündung neuer Zeitabläufe bisher immer länger geworden ist –benachteiligt die über 1,4 Millionen AnwohnerInnen der Gäubahn massiv. Die Versprechungen einer nur sechsmonatigen Unterbrechung an den Stuttgarter Hauptbahnhof sehen wir massiv gebrochen", so die OB's in ihrer Erklärung.

Die derzeitige Faktenlage bedeute nicht nur, dass sich die Realisierung des Projekts und die eventuellen Vorteile für die Gäubahn-AnliegerInnen nach derzeitigem Stand  bereits von 2019 auf 2025 verschoben haben, sondern die Gäubahn-AnliegerInnen dafür auch noch danach über viele (mindestens fünf, eher mehr als zehn) Jahre nicht direkt zum Flughafen fahren könnten und zum Hauptbahnhof Stuttgart in Stuttgart-Vaihingen in S-oder Stadtbahn umsteigen müssten, wurde hier nochmals unterstrichen.
"Angesichts dieser Tatsachen und der Zumutung der jahrelangen Verschlechterung für die AnwohnerInnen durch den geplanten Projektablauf nach der Inbetriebnahme von Teilen von Stuttgart 21 können und wollen wir es nicht hinnehmen, dass wir vom Eisenbahnknoten Stuttgart und damit vom internationalen Fernverkehr auf unabsehbare Zeit faktisch abgeschnitten werden",  so die OB's erneut und mit gemeinsamer Stimme.

Keine "Rechtsgüter" für die Anlieger der Strecke

"Wir haben deshalb juristisch prüfen lassen, ob wir als betroffene Kommunen spezifische Rechtsgüter für juristische Argumentationen geltend machen können. Das Gutachten von Prof. Hermes sehen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ernüchternd ist die Klarheit seines Gutachtens, dass wir als AnliegerInnen einer Eisenbahninfrastruktur keine Rechtsgüter bei einer Verschlechterung an einer außerhalb unserer Gemarkung liegenden Stelle haben – Rechte für AnliegerInnen oder Fahrgäste sind interessanterweise im Eisenbahnrecht nicht vorgesehen", stellen die ernüchtert fest.
In der Zeit zwischen der Beauftragung und heute wurden zwei weitere Rechtsgutachten zur Frage der Abbindung beziehungsweise Betriebspflicht für den Stuttgarter Teil der Gäubahn, die Panoramabahn, öffentlich.

"Einfach unterbrechen" geht nicht

Bezugnehmend auf das Gutachten von Prof. Kramer (Passau) hatte Prof. Hermes dessen Auffassung geprüft und bestätigt, dass die Gäubahn nicht „so einfach“ unterbrochen werden darf, sondern dafür seitens der DB ein Stilllegungsantrag gestellt werden muss. Ebenso gilt dies für eine extra zu beantragende und laut Prof. Kramer wohl kaum genehmigungsfähige Freistellung oder gar  Entwidmung der Gleisfläche der Panoramabahn.
Der dritte ermutigende übereinstimmende Punkt für die Anlieger  ist die Einschätzung, dass die geänderte Faktenlage ergibt, „dass die mehrjährige Verzögerung der Verlagerung der Gäubahn auf die neue Verbindung über den Flughafen durch den Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2005 nicht mehr gedeckt ist und die deshalb erforderliche "Zwischenlösung" einer neuen oder aber einer Änderungsplanfeststellung bedarf“. Damit werde sich das Eisenbahnbundesamt (EBA) auseinandersetzen müssen, dass die DB Stuttgart 21 in –auch die Unterbrechung der Gäubahn betreffenden–Teilen nicht mehr so plant und baut, wie in ihren Anträgen beim EBA behauptet und vom EBA in den Planfeststellungsbeschlüssen festgelegt.

"Prof. Hermes hat uns in seinem Gutachten darauf aufmerksam gemacht, dass wir unsere Interessen auch im Rahmen des notwendigen Stilllegungsverfahrens geltend machen können", schöpfen die OB hier Mut. Sollte die DB die Stilllegung beantragen und eventuell genehmigt bekommen, hätten  Dritte das Recht, die Strecke zu übernehmen und zu betreiben. Sowohl der Gemeinderat der Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart durch Gremienbeschlüsse als auch die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag hätten sich politisch zu einer Erhaltung der Panoramabahn mindestens bis zu einem noch zu errichtenden Nordhalt bekannt.

Landespolitik steht in der Pflicht

"Wir werden nun im politischen Raum die Gespräche suchen und führen mit unserer Botschaft „Keine Abbindung ohne Alternative“.
Die neue Führung über den Flughafen müsse zuerst fertiggestellt sein, damit der Betrieb der Gäubahn über den Flughafen ohne Unterbrechung vonstattengehen könne. "Wir sehen vor allem die Landesregierung mit ihren Partnern in der Pflicht, die Interessen eines guten, zukunftsfähigen Schienenverkehrs zu verfolgen und mutig zu vertreten", machen die OB hier auch nicht zum ersten Mal deutlich. "Zusagen für Finanzierungen, Plan-und Vertragsänderungen gegenüber der DB müssen aus unserer Sicht von der Landeshauptstadt, der Region und dem Land mit der Betriebspflicht der ganzen Gäubahn bis zum Hauptbahnhof erfolgen. Wir sagen sogar: Sie sind in der Pflicht."
Inwiefern dies mit einer Lösung für den dauerhaften Erhalt der Panoramastrecke, das heißt auch nach Inbetriebnahme der Verbindung Stuttgart –Zürich über den Flughafen in den 2030er-Jahren, verbunden werde, wollte man zum heutigen Zeitpunkt offen lassen. Dies müsste sich für die Gäubahn-AnliegerInnen erst noch als positiv in die Zukunft wirkende Infrastruktur nachweislich herausstellen. "Wir fühlen uns an dieser Stelle vom Gutachten ermutigt und bestärkt –das ist das lachende Auge", so die Stimmen aus Böblingen.

Im Bild Bernd Häusler (OB Singen), Prof. Dr. Georg Hermes, Dr. Stefan Belz (OB Böblingen), Peter Rosenberger (OB Horb a. N.) bei der Medienkonferenz im Böblinger Rathaus. | Foto: Strauch/ Stadt Böblingen
Der Anschluss nach Zürich bei der Gäubahn erfolgt durch die SBB schon mit neuem Rollmaterial. | Foto: of
Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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