Einblick in die EU-Kommission
Ein absolut subjektiver Eindruck aus "Brüssel"
Brüssel/Singen. Ich würde an dieser Stelle sehr gerne einen fachlich einwandfreien Text über die Europäische Union (EU) und die EU-Kommission schreiben. Einen Lobgesang, voller Euphorie. Oder einen Abgesang, der die Mängel im System glasklar aufdeckt. Nur: All das kann ich nicht. Mir fehlt das Fachwissen, der Durchblick – ich bin keine Europa-Journalistin. Ich bin lokal unterwegs, im Landkreis Konstanz, im Hegau, in Singen, in Stockach und in Radolfzell. Aber viel wichtiger: Ich habe keine eindeutige Meinung über die EU. Aber was hat das hier dann auf der Titelseite des WOCHENBLATTs zu suchen?
Das WOCHENBLATT hat vor einigen Monaten eine Einladung der EU-Kommission bekommen: Drei Tage Brüssel, mit einem Einblick in die Kommission, Gesprächen mit Personen dort, Anfahrt und Unterbringung auf Kosten der EU, für 20 Volontäre und Jung-Redakteure aus Bayern und Baden-Württemberg. Mit einer Prise Glück, ausgewählt zu werden, habe ich diese Reise inzwischen hinter mir. Und jetzt stehe ich vor der Frage, was sich bei mir dadurch verändert hat. Um das herauszufinden, muss ich vor der Reise anfangen.
Ich war gnadenlos nervös und hatte viele Fragezeichen. Wie wird es sein, in Brüssel? Habe ich die richtigen Fragen vorbereitet? Werde ich überhaupt Antworten bekommen oder nur Floskeln? Wie werden die anderen Leute aus der Gruppe sein? Und warum karrt die EU-Kommission uns überhaupt aus Süddeutschland nach Brüssel?
Den wohl größten Teil an der Nervosität machte aber die gefühlte Distanz aus, zwischen mir als Person und der politischen Macht "EU".
Die EU hat ein Image-Problem. Das fängt damit an, dass "die EU" und "in Brüssel" gerne verwendet werden – der Einfachheit halber -, aber ein falsches Bild vermitteln. Es gibt nicht "die EU", als große, unantastbare und unerreichbare Instanz, die über unser Leben bestimmen will.
Exkurs in die Organisation der EU
Die EU-Regierung besteht einerseits aus dem EU-Parlament, dessen Abgeordnete bei der Europawahl gewählt werden.
Dann gibt es den "Europäischen Rat", in dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten sitzen. Nicht zu verwechseln ist der mit dem "Rat der Europäischen Union", der die Minister der Nationen umfasst und dem "Europarat", einer Menschenrechtsorganisation.
Zuletzt ist da noch die EU-Kommission, die mit einer Regierung auf Staatsebene zu vergleichen ist. Ihre Mitglieder, die EU-Kommissare, kommen jeweils aus den Mitgliedsstaaten der EU. Es gibt also 27 Kommissare, die jeweils einen politischen Bereich verantworten. Sie werden durch die Regierungen der EU-Staaten nominiert und dann durch das EU-Parlament gewählt, vertreten dabei aber immer die Interessen der EU im Gesamten.
Was ich damit verdeutlichen möchte: Das alles auf "die EU" einzustampfen, wird der Komplexität der Europäischen Union, die ich damit ja nur oberflächlich gestreift habe, nicht gerecht.
Persönlich am lehrreichsten und eindrücklichsten war dabei die Begegnung mit Menschen, die als Teil der EU-Kommission arbeiten. Das waren keine Kommissare, aber beispielsweise Menschen aus deren Kabinett, also quasi aus deren "Team". So banal es klingt, eingeprägt hat sich mir deren Menschlichkeit: Es standen Personen vor uns, die ihr Wissen, aber auch ihre eigene Meinung und ihre Einschätzung mit uns geteilt haben. Egal wie weit es in den Ämtern innerhalb der EU auch nach oben gehen mag, bleibt das gewiss: Es stecken Menschen dahinter, die etwas repräsentieren und eine Aufgabe haben. Aber hinter ihrer Rolle sind sie auch Menschen mit einem individuellen Charakter, mit Beweggründen und Haltungen. Ist das gut? Oder schlecht? Je nach Situation mal das eine, mal das andere, würde ich sagen.
Sicher ist für mich: Entscheidungen werden nicht "in Brüssel" von "der EU" getroffen. Entscheidungen werden "in Brüssel" von einer großen Gruppe Menschen gemeinsam vorbereitet, erarbeitet, diskutiert und getroffen, die als Teil "der EU" arbeiten und von uns als BürgerInnen der EU-Mitgliedsstaaten direkt oder indirekt mitbestimmt werden.
Aber zugegeben: Auch mir fällt es leichter, einfach "die EU" zu schreiben.
Der gegenseitige Zeigefinger
Eine der übergeordneten Fragen, mit denen ich nach Brüssel gereist bin: Wie lokal ist und denkt die EU? Denn allein, dass es hier um 27 ganz verschiedene Staaten geht, mit noch viel mehr verschiedenen Menschen, die betroffen sind, lässt mich an den getroffenen Entscheidungen zweifeln. Kommt man da nicht am ehesten bei einem Kompromiss à la Nullnummer heraus? Wie viel haben diese Entscheidungen mit der Lebensrealität vor Ort zu tun?
Auch diese Fragen kann ich mir selbst nicht eindeutig beantworten. Das hat zum einen damit zu tun, dass in einigen Arbeitsbereichen der EU der lokale Raum letztlich eher indirekt betroffen ist. Bei der Sicherheitspolitik etwa oder bei der kürzlich angestoßenen Reform des Asyl- und Migrationssystems. In anderen Bereichen, die etwa die Wirtschaft oder Klimapolitik betreffen, sieht das anders aus. Ein gerade in jüngster Zeit sehr prominentes Beispiel geben die Proteste von Landwirten. Unter anderem dort hat die EU den Ruf eines Bürokratie-Monsters, das mit Umweltauflagen die Bauern zugrunde richtet.
Bei der EU-Kommission sieht man das natürlich anders: Oftmals seien die Vorgaben durch die EU gar nicht so strikt, wie sie von den Staaten später im nationalen Recht umgesetzt werden. Und warum schimpfen dann immer alle so auf die EU? Vermutlich, weil es recht einfach ist, mit dem Finger woanders hinzuzeigen, um nicht selbst Verantwortung übernehmen zu müssen - "aber die EU hat gesagt..." Und weil die nun mal zumindest räumlich weit weg ist, gibt es keine bis kaum Gegenwehr.
Ich verstehe jetzt jedenfalls mehr, wie schwer es sein kann, die Interessen von 27 Staaten unter einen Hut zu bringen. Ich verstehe, dass auf dieser Ebene selbst der kleinste Kompromiss ein großer Fortschritt sein kann, weil er 27 Staaten betrifft. Ich verstehe, dass jeder dieser 27 Staaten seine eigene Identität, seine eigenen Anliegen, seine eigenen Werte, seine eigenen Vorstellungen und Ideen hat. Ich verstehe, dass jedes Veto eines Staates Gründe und seine Berechtigung hat, so sehr man sich dabei auch manchmal an den Kopf fassen mag. Kritik an den Vorgaben und Empfehlungen der EU ist sicher manchmal berechtigt, manchmal auch nicht. Manchen gehen Entscheidungen zu weit, anderen nicht weit genug.
Wie viel EU steckt im Landkreis?
Und wie lokal denken die Menschen bei der EU-Kommission? In Teilen ist das ausbaubar, in Teilen hat mich das Wissen tatsächlich erstaunt. Dass dort jemand Landrat Zeno Danner kennen würde, hätte ich zum Beispiel nie gedacht. Außerdem wurden wir aufgefordert, mit unseren Fragen auf den lokalen Bezug der jeweiligen Themen abzuzielen. Quasi wie um den lokalen Nerv unserer Gesprächspartner zu kitzeln. Interessant fand ich auch, dass es eine ganze Internetseite gibt, die sich der Frage widmet: Was tut Europa für mich? In verschiedenen Bereichen und auch regional heruntergebrochen kann man das unter what-europe-does-for-me.europarl.europa.eu sehen. Auch der nebenstehende QR-Code führt dorthin. Unter anderem, dass der Bau des neuen Fastnachtsmuseums mit durch Fördermittel der EU finanziert ist, gibt es unter kohesio.ec.europa.eu/de/ oder über den zweiten QR-Code zu erfahren. Die Projekte konzentrieren sich großteils auf die Städte im Landkreis. Thematisch dreht sich insgesamt viel um Arbeit und Ausbildung, wo auch einige Gelder in die ländlicheren Gemeinden des Kreises geflossen sind.
Was mich am meisten davon abhält, den Besuch bei der EU-Kommission als "positiv" abzulegen, ist, dass alle Gespräche vertraulich waren. Den Sinn verstehe ich und ich glaube, in einem anderen Setting hätten unsere Gesprächspartner keinesfalls so offen gesprochen. Dennoch hat das den Beigeschmack einer Image-Kampagne. Und ich bin ein Teil davon. Ist das gut? Ist das schlecht? Vielleicht brauche ich auf diese Fragen gar keine Antwort. Am Ende konnte ich so viel lernen und neues Wissen aufsaugen. Es macht mich zugleich aber auch skeptisch dem gegenüber, was ich dort gehört und gesehen habe.
Mein Bild von der Europäischen Union hat sich auf jeden Fall verändert. Ein beliebtes Bild für eine Gruppe ist die Kette: Jede Kette ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Das stimmt hier nicht. Ich finde, die EU ist ein Seil. Jeder Mitgliedsstaat ist ein Strang und vielleicht jeder Staatsbürger eine Faser daran. Jeder Strang sieht unterschiedlich aus, ist aus einem anderen Material, ist stabiler oder weniger stabil. Jeder fügt dem Seil etwas hinzu. Und in der EU-Kommission sitzen diejenigen, die mit dafür verantwortlich sind, dass dieses Seil zusammenhält, dass etwaige Schwachpunkte nicht alles gefährden.
Es kann sehr gut sein, dass dieses Bild vollkommener Quatsch ist. Ich habe weder die EU-Politik studiert, noch habe ich eine Ausbildung im Seiler-Handwerk. Aber dafür ist es ein Bild und keine Tatsache.
Ich habe keine eindeutige Meinung zur EU, weil die Dinge nie so einfach sind, nie nur gut oder nur schlecht sind. Auch nachdem ich in Brüssel war und mich selbst informiert habe, verstehe ich nicht im Detail genau, wie die EU nun funktioniert. Auch nachdem ich in Brüssel war, finde ich Aspekte in der Arbeitsweise der EU und die Schlupflöcher, die sich bieten, nicht gut (Stichwort Lobby - im Europaviertel gibt es ein paar interessante Klingelschilder). Wenn das alles durch drei Tage Brüssel ausradiert wäre, wäre ich in dem Beruf, den ich hier ausübe, vermutlich falsch.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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