Kreis-Behindertenbeauftragter Oswald Ammon
„Die Barrieren in den Köpfen überwinden“
Singen. Er weiß, wie es sich anfühlt, vor Hindernissen zu stehen, Gräben zu überwinden und weiterzukämpfen, auch wenn die Kraft fehlt: Oswald Ammon, 71 Jahre alt und leidenschaftlicher Sportler, war siebeneinhalb Jahre lang ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter für den Landkreis Konstanz und setzte sich in dieser Zeit stark für die Belange von Menschen mit Handicap ein. Sein Rat aus eigener Erfahrung: „Gebt niemals auf, geht raus und auf die Leute zu, damit auch die Barrieren in den Köpfen der Menschen überwunden werden“.
Was es heißt, mit Einschränkungen zu leben, musste Oswald Ammon am eigenen Leib erfahren. Mit 46 Jahre erlitt er einen Schlaganfall, konnte nicht mehr sprechen und ist seither halbseitig gelähmt. „Ich musste alles neu lernen“, erinnert sich der pensionierte Gymnasiallehrer, der am FriWö in Singen die Fächer Englisch, Wirtschaft und wissenschaftliche Politik unterrichtete. Damals musste er erkennen: "Mein erstes Leben ist vorbei." Und er fragte sich: "Will ich jetzt in Selbstmitleid vor mich hindümpeln oder ein neues Leben beginnen?"
Zurück gekämpft
Er entschied sich für Letzteres. Mit dem Willen, so selbständig wie möglich seinen Alltag zu gestalten, kämpfte er sich zurück und begann bereits ein Jahr nach seinem Schlaganfall wieder zu unterrichten. Auch seiner Sportleidenschaft ging er trotz Handicap wieder nach, trainiert bis heute mindestens ein- bis zweimal pro Woche im Fitnessstudio und startet für den StTV Singen Leichtathletik. Seinen jüngsten Coup landete der agile Sportler Ende Juni dieses Jahres bei den IDM Para Leichtathletik-Meisterschaften in Singen, als er sich zum wiederholten Male die Deutschen Meistertitel in seiner Alters- und Schadensklasse im Kugelstoß und Diskuswurf aus dem Rollstuhl holte.
Gerade im Sport werden Respekt und Kameradschaft gelebt, bekommen die Menschen mit oder ohne Behinderung Anerkennung und Bestätigung, betont der 71-Jährige. Aus diesen Gründen rief er im Jahr 2018 gemeinsam mit Alt-Landrat Frank Hämmerle den Inklusion-Sport-Tag ins Leben. Zur Premiere im Singener Münchriedstadion kam gar Sozialminister Manne Lucha und übernahm spontan die Schirmherrschaft für die Veranstaltung. Sein Kommentar: „Wenn Oswald Ammon ruft, dann kommen wir alle.“
Früh sensibilisieren
Engagiert ging Ammon als Behindertenbeauftragter auch weitere Themenbereiche an wie "Barrierefreie Schwimmbäder", "Inklusiver Krankenhausaufenthalt", "Barrierefreies Bauen" sowie den Inklusionspreis des Landkreises Konstanz - er wird jedes Jahr vergeben - und die „Slow Inclusion“, die Aufklärungsarbeit in Kindergärten. Die frühe Sensibilisierung für Inklusion ermögliche eine nachhaltige Verankerung von Toleranz und gleichberechtigter Teilhabe, ist Oswald Ammon überzeugt: „Je früher wir das Thema spielerisch auf den Weg bringen, desto größer wird die Akzeptanz“.
Note "Mangelhaft"
Und die ist Voraussetzung für das Miteinander zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Denn trotz seiner Projekte und Verbesserungen in der Barrierefreiheit bei Bauvorhaben und der Mobilität muss er der gelebten Inklusion und Teilhabe im Land die Note „Mangelhaft“ erteilen. „Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und den USA sind wir nach meinen Erfahrungen weit hinterher“, stellt er unmissverständlich fest. Es mangele am offenen Umgang und dem gegenseitigen Verständnis, so Ammon. Er wünscht sich, dass sich die Leute mehr trauen, auf behinderte Menschen zuzugehen, ihnen ihre Hilfe anzubieten und allgemein die Distanz zwischen behindert und „normal“ zu überwinden.
Zurück zum Zivildienst
Dabei sieht er auch die Politik gefordert, die Inklusion zum Beispiel in Schulen oder Kindergärten nicht nur vorzugeben, sondern durch ausreichend geschultes Personal und bei Bedarf mit Begleitpersonen auch zu ermöglichen. Ebenso wie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und unterschiedliche Wohnformen für behinderte Menschen. Wie etwa mit gemischten Wohnmodellen für ältere und gehandicapte Bewohnern sowie Familien und jungen Leuten. „Da würde jeder profitieren“, ist sich der 71-Jährige sicher. Um den Mangel an Personal auszugleichen, spricht sich Ammon wieder für einen verpflichtenden Zivildienst aus, denn „dabei lernen die jungen Menschen fürs Leben“.
Gleichzeitig sieht er aber auch die Risse in den sozialen Strukturen, die ein selbstverständliches Zusammenleben und Zusammenwohnen erschweren. „Dafür braucht es wahrscheinlich einen wahren Inklusions-Marathon, bis diese Möglichkeiten in den Köpfen der Menschen ankommen“, befürchtet Ammon. Wichtige Anstöße und Verbesserungen dafür hat er als Behindertenbeauftragter bereits auf den Weg gebracht, nun kann sein Nachfolger, Dieter Johne,darauf aufbauen.
Autor:Ute Mucha aus Moos |
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