Weihnachten
Das aktuelle Weihnachtsinterview von Anette Fintz

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Weihnachtsmarkt im Wochenblattland, später Vormittag, wenige Tage vor Heilig Abend. Der Duft von Magenbrot und Punsch lockt auch uns, während wir gespannt auf sie warten. Wir hatten am Telefon erwähnt, dass unsere Leserinnen und Leser nach dem letztjährigen Interview mit dem Weihnachtsmann sehr an diesem Interview interessiert seien. So freuen wir uns, dass sie sich trotz Endspurt Zeit dafür nimmt.
Unser Blick schweift umher – werden wir sie auf Anhieb erkennen? Dann kommt eine Frau Im Strickpullover und einen Nadelbaum geschultert auf uns zu. Beherzt stellt sie den Baum neben sich. Das muss sie sein: die Weihnachtsfrau.

WOCHENBLATT: Danke, dass Sie sich in der Hochphase ihres Berufsalltages Zeit für uns nehmen. Wir haben Sie ehrlich gesagt gar nicht gleich erkannt.
Weihnachtsfrau: Sie haben mich in meiner Berufskleidung erwartet.

WOCHENBLATT: Ja. Tragen Weihnachtsfrauen keinen bodenlangen Mantel und keine Mütze – alles in Rot mit weißem Kragen?
Weihnachtsfrau: Doch, natürlich! Aber tagsüber sind wir alle – Männer und Frauen – inkognito unterwegs und machen Besorgungen für unsere Kunden. Diesen Baum zum Beispiel liefere ich heute Abend einer Familie, die zurzeit arge finanzielle Sorgen hat. Die Kinder haben gemeinsam einen einzigen Wunsch auf den Zettel geschrieben: einen Christbaum.

WOCHENBLATT: Die werden sich freuen! Übrigens stark, dass Sie als Frau das Geschleppe nicht einem der männlichen Kollegen überlassen.
Weihnachtsfrau: (lacht) Das wäre ja nochmal schöner! Wieso sollte eine Frau keinen Christbaum schultern können?!

WOCHENBLATT: Da wären wir gleich bei unserer ersten wichtigen Frage, nämlich ob Frauen unbedingt in einen dieser letzten Männerberufe eindringen müssen. Sollte nicht wenigstens hier noch Tradition gelten?
Weihnachtsfrau: Sehr gerne gehe ich auf dieses heiße Thema in der kalten Jahreszeit ein. Das gibt auch die Möglichkeit, näher darauf einzugehen. Wir denken heutezutage immer nur an die eigene Kindheit. Die Weihnachtstraditionen sind aber viel viel älter! Es war zuerst eine Frau, die den Kindern zur Weihnachtszeit Geschenke brachte, nämlich die Heilige Barbara. Heute kennt man sie hauptsächlich als Beschützerin der Bergbauleute. Am 4. Dezember, dem Barbaratag, schneiden heute noch viele Menschen Zweige von Kirschbäumen und stellen sie ins Warme. Drei Wochen später, also am ersten Weihnachtstag, sehen sie das Symbol erwachenden Lebens. Blüten im Winter, Licht in der Dunkelheit. Wunder geschehen.

WOCHENBLATT: Wirklich spannend.
Weihnachtsfrau: Aus dieser Zeit kommt auch die Rute, die der Weihnachtsmann bei sich hat: Barbara befestigte die Geschenke am Reisig und brachte sie den Kindern. Dann kam der Nikolaus, der in den letzten Jahrzehnten vom Weihnachtsmann weitgehend abgelöst wurde. Bräuche wandeln sich.

WOCHENBLATT: Und jetzt kommt die Weihnachtsfrau?
Weihnachtsfrau: Wir ersetzen niemanden – wir ergänzen! Weihnachtsfrauen mischen schon seit Jahrzehnten im Hintergrund mit. Organisation, Service … „Back-Office“ nennt man das heute. Dann kamen wir immer häufiger als Weihnachtsmänner verkleidet in die Häuser.

WOCHENBLATT: Das heißt Sie waren im Wochenblatt-Land schon aktiv? Hatten die Kollegen das so nötig?
Weihnachtsfrau: Was glauben Sie, wie so mancher Weihnachtsmann durch einen schmalen Kamin passt – oder eben nicht?! Ich sag‘ Ihnen: da haben wir schon manche Rettungsaktion für Kollegen lanciert, die über die Sommermonate zu viel Eis gegessen und zu wenig trainiert hatten. Da sind Weihnachtsfrauen häufig schlanker und sportlicher. Natürlich gilt das nicht für alle. Jedenfalls werfen wir Frauen uns schon seit vielen Jahren in die roten Mäntel und Mützen, kleben weiße Bärte an, stellen die Stimme tiefer und los geht’s.

WOCHENBLATT: Weshalb wollen Sie dann jetzt bewusst als Weihnachtsfrauen wahrgenommen werden?
Weihnachtsfrau: Wir wollen uns nicht mehr verstecken. Es ist bei uns Weihnachtsleuten wie überall auf der Welt: ohne Frauen würde der Laden nicht laufen.

WOCHENBLATT: Eine steile Behauptung! Das müssen Sie begründen.
Weihnachtsfrau: Das ist keine Behauptung, sondern die Erfahrung der letzten hundert Jahre. Je mehr Frauen im Hintergrund und teilweise als Weihnachtsmänner verkleidet engagiert waren, desto geringer die Beschwerdequote. Das ist Fakt.

WOCHENBLATT: Worüber klagen die Kunden denn so?
Weihnachtsfrau: Die extreme Belastung im Dezember macht auch uns fehleranfällig. Sehr selten, aber es kommt vor, dass einem Kind aus dem Lieblingsbuch eines anderen vorgelesen wird. Womöglich noch zur falschen Uhrzeit. Der Zeitpunkt war früher nicht so wichtig, aber inzwischen wollen ja alle alles mit ihrem Smartphone filmen und deshalb die Familie dafür herausputzen.

WOCHENBLATT: Stört Sie das?
Weihnachtsfrau: Die Menschen wollen alles für später festhalten und verpassen dabei den Augenblick. Das Wichtigste an unseren Besuchen kann gar nicht festhalten werden. Wenn sich dann bei Tic-Toc-ein Wettbewerb entwickelt, wer den „coolsten Weihnachtsmann“ hatte, ist unser Besuch endgültig sinnlos geworden.

WOCHENBLATT: Welche Klagen seitens der Kunden gibt es außerdem?
Weihnachtsfrau: Wenn z.B. der Weihnachtsmann im Kamin stecken bleibt, von der Familie herausgezogen werden muss und dann viel Ruß im Haus verteilt. Ein Kollege ist tatsächlich vor Ort eingeschlafen, nachdem er entgegen dem strikten Alkoholverbot während der Arbeitszeit das Angebot annahm, den hausgebrannten Schnaps zu kosten. Der wird jetzt vorläufig im Back-Office eingesetzt.

WOCHENBLATT: Der Ärmste war an dem Abend wohl schon weit gereist. Wie reagieren Sie auf die Beschwerden?
Weihnachtsfrau: Wir hören gut zu, damit wir verstehen, was am Missgeschick schlimm war. Fast immer ist es die Kränkung, nicht exakt das Bestellte erhalten zu haben. Der oder die Betroffene fühlt sich persönlich nicht ernst genommen. Wir vermitteln dann, dass wir keine amazon-Lieferanten sind. Wir kommen auf die tieferen, die eigentlichen Wünsche zu sprechen. Am Ende bedanken sich die Menschen eigentlich immer. Sie haben im Gespräch einen Saum vom Weihnachtswunder berührt.

WOCHENBLATT: Was meinen Sie damit?
Weihnachtsfrau: Weihnachtswunder gehen ins Herz. Man spürt sie tief drinnen. Als ob die ganze Seele warm wird. Diese Wunder spüren Sie wie eine unerklärliche Geborgenheit. Materielle Gegenstände sind hingegen nur Symbole.

WOCHENBLATT: Geschenke scheinen uns aber doch wichtig.
Weihnachtsfrau: In Geschenken manifestiert sich das „ich-denke-an-dich“. Wobei auch hier der materielle Geldwert selten die wesentliche Rolle spielt. Der Weihnachtsbaum hier schenkt der Familie große Freude. Das liegt daran, dass die Familie erlebt, ein Teil der Weihnachts-Gemeinschaft zu sein. Die wirklich großen Wünsche sind aber nicht materiell.

WOCHENBLATT: Welche sind das?
Weihnachtsfrau: Ganz oben auf der Liste steht, ohne Angst leben zu können. Also in Frieden, Gesundheit und in Gemeinschaft geliebter Menschen. Das ist nur sehr bedingt käuflich. Das allerschönste Geschenk kann sowieso mit keinem Geld der Welt bezahlt werden.

WOCHENBLATT: Jetzt machen Sie uns aber neugierig!
Weihnachtsfrau: Es ist das Geschenk, so geliebt zu werden, wie man ist. Ohne Wenn und Aber. Da ist es völlig egal, ob einem das durch Weihnachtsfrau oder -mann widerfährt. Dass es über viele Generationen ein Männerberuf war, hat ursprünglich mit dem Bild des Weihnachtsmanns als Drohkulisse zu tun. Das wurde seit dem 19. Jahrhundert „pädagogisch“ genutzt, um Kinder zurechtzubiegen. Da gab es unterjährig den Vater, der abends die Kinder „züchtigte“. Nach diesem Muster brauchte es einen mächtigen Weihnachtsmann, der mahnende Worte sprechen, Geschenke verweigern und mit der Rute drohen konnte. Heute geht es darum, den Kleinen und auch den Großen zu zeigen, dass sie geliebt werden. Nicht für ein bestimmtes Verhalten, sondern einfach weil sie sind.

WOCHENBLATT: Wenn Sie das so erläutern, klingt das alles sehr einleuchtend. Dennoch gibt es noch ein Schema, wie ein Weihnachtsmann aussieht. Ehrlich gesagt brennt uns die Frage unter den Nägeln, ob Weihnachtsfrauen >oben ohne< oder >oben mit< gehen?
Weihnachtsfrau: (alarmiert) Wie bitte?!

WOCHENBLATT: Bart natürlich. Ob mit oder ohne Bart.
Weihnachtsfrau: (wieder entspannt) Da sprechen Sie etwas sehr Sensibles an. Der Bart diente immer dazu, möglichst bedrohlich und gleichzeitig – für die „braven“ Kinder – auch kuschelig aussehen zu können. Das ist nun ja überholt und so haben wir in unserem Rat entschieden, dass Bärte ab jetzt für alle optional sind.

WOCHENBLATT: Weil jetzt eben Weihnachtsfrauen offen auftreten wollen …
Weihnachtsfrau: Weit gefehlt. Etliche Kollegen waren in den vergangenen Jahren nicht mehr mit dem üblichen Bart einverstanden. Erstens will vor allem der Weihnachtsmann-Nachwuchs in den elf Monaten vor und nach Weihnachten sehr gerne Bärte nach der aktuellen Mode tragen. Wenn ein angeklebter Rauschebart entfernt werden muss, kann das sehr schmerzhaft werden.

WOCHENBLATT: Kann man den nicht mit einem Gummiband …?
Weihnachtsfrau: Das tragen nur Fake-Weihnachtsmänner! So ein Klamauk ist den Kleinen gegenüber nicht fair.

WOCHENBLATT: Entschuldigung. Kommen wir zu „zweitens“.
Weihnachtsfrau: Gerne. Zweitens sind unechte Bärte aus Kunststoff und werden unter unwürdigen Bedingungen in Asien hergestellt. Wir haben mit Naturmaterialien experimentiert, also zum Beispiel Holzspänen. Der Brandschutz hat uns davon allerdings dringend abgeraten. Rosshaare sind in entsprechender Qualität und Menge kaum zu bekommen und müssen regelmäßig beim Coiffeur nachgekräuselt werden. Einige Kollegen gehen jetzt zum Weiß-Färben ihrer modischen Barttracht über – das macht den Weihnachtsmann nicht nur für Kinder ganz neu attraktiv.

WOCHENBLATT: Das sind wirklich neue Aspekte vor.
Weihnachtsfrau: Es gibt aber sogar noch ein „Drittens“: in den vergangenen Jahren wird Weiblichkeit in Kombination mit Bart zunehmend Künstlern und Künstlerinnen zugeordnet. Letztes Jahr strahlte mich ein Kind beim Eintreten begeistert an und rief: „Da ist die Oma von Conchita Wurst!“ Es war beinahe eine Enttäuschung, dass ich „nur“ die Weihnachtsfrau war. Das Erlebnis hat uns gezeigt wie wichtig es ist, gerade Kindern gegenüber authentisch zu sein.

WOCHENBLATT: „Oben mit“ ist also nicht mehr der kleine Unterschied?
Weihnachtsfrau: Eher nicht. Jedenfalls haben wir uns nach solchen Erlebnisse entschieden, uns nicht als Männer zu verkleiden, sondern als Weihnachtsfrauen zu gehen. Weiterhin mit der Option, einen Rauschebart anzukleben.

WOCHENBLATT: Bei der Recherche zum Interview haben wir interessante Outfits für Weihnachtsfrauen entdeckt.
Weihnachtsfrau: Wenn Sie Frauen in kurzen roten Kostümen mit Einblick auf den Atombusen meinen: Das sind verkleidete Menschen, die dafür bezahlt werden, den Konsum anzuheizen. Bezüglich der Kleidung unterscheiden wir uns ganz und gar nicht von den Männern.

WOCHENBLATT: Wie finde ich heraus, ob ich einem echten Weihnachtsmann bzw. -frau oder einem Fake gegenüberstehe?
Weihnachtsfrau: Das ist ganz einfach. Spüren Sie in sich hinein: Würden Sie dieser Person Ihr Innerstes anvertrauen? Fühlen Sie sich mit allen diesen Geheimnissen angenommen? Hören Sie in den Glöckchen auch den Klang der Welt? Dann wissen Sie’s!
In uns geschieht das Weihnachtswunder. Da ist es völlig egal, ob Mann oder Frau.

Mit diesen Worten schultert sie den Baum und gibt uns zum Abschied die Hand. Sind es Glöckchen, die ihre Schritte begleiten? Wir sind uns nicht sicher. Aber sehr dankbar für diese wunder-bare Begegnung.

Autor:

Redaktion aus Singen

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