Pfarrer Andreas Sturm im Gespräch
Dankbarkeit für die kleinen Dinge

Pfarrer Andreas Sturm ist dankbar für die kleinen Dinge des Alltags. swb-Bild: Tobias Lange
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Singen.  Andreas Sturm ist Pfarrer und Seelsorger der alt-katholischen Gemeinden Singen und Sauldorf. An sich ist das nichts Außergewöhnliches, wäre da nicht die Vorgeschichte des Geistlichen. Als Generalvikar von Speyer bekleidete er ein hohes Amt in der römisch-katholischen Kirche. Im Mai 2022 erklärte er seinen Kirchenaustritt. Seine Begründung: Die Kirche sei zu wenig wandlungswillig. Im August übernahm er sein derzeitiges Amt.

Heute – fast sieben Monate nach seinem vielbeachteten Kirchenaustritt – fühlt sich der 48-Jährige angekommen. Er ist dankbar für das Willkommen, das ihm zuteilgeworden ist. Die große Bereitschaft, sich auf ihn einzulassen. „Ich bin sehr herzlich empfangen worden“, sagt Pfarrer Sturm.

„Wer da genau kommt, wusste niemand. Das war lange Zeit geheim gehalten“, berichtet er. Ende Mai kam dann das erste Kennenlernen. „Ein Gemeindemitglied hat gesagt: Oh Gott, so ein hohes Tier“, erinnert sich Andreas Sturm. „Aber ich glaube, es war eine große Neugier und Offenheit, mich kennenzulernen und zu erleben. Da waren wenig Berührungsängste.“
Es gibt vieles, für das der Seelsorger dankbar ist. „Ich bin für das ehrenamtliche Engagement in meiner Gemeinde dankbar“, sagt er. „Ich bin sehr dankbar für die wunderschöne Gegend, in der ich jetzt leben darf.“ Auch über die Nähe zu den Mitgliedern seiner Gemeinde ist er glücklich. Der Kontakt ist persönlicher und er kann sich mehr Zeit nehmen. „Ich bin dankbar dafür, dass ich einfach Seelsorge machen kann.“

Der Austritt aus der katholischen Kirche hatte für Pfarrer Sturm eine sehr persönliche Auswirkung: Er fühlt sich befreiter. „Ich hatte immer den Eindruck, ich muss mich verbiegen“, sagt er. Etwa, wenn es um kirchliche Feiern für Geschiedene oder die Segnung von Homosexuellen ging. „Ich habe das zwar gemacht, aber immer gedacht: Oje, was passiert, wenn das rauskommt?“ Auch privat ist der Pfarrer dankbar, dass er nun offen sein kann und sich nicht verstellen muss. „Ich weiß nicht, ob auch Kinder das Haus hier wieder füllen, aber ich will nicht alleine sein.“

Und selbst für den Medienrummel um seinen Wechsel zur altkatholischen Kirche ist Andreas Sturm dankbar. „Für meine Gemeinde war es eine komische Situation, weil alt-katholisch normalerweise in der Wahrnehmung untergeht“, sagt er. Aber: „Es ist schon mal spannend für die Gemeinde, wenn ein Licht auf sie fällt.“ Schon deshalb, weil Menschen, die sich in den großen Kirchen nicht mehr heimisch fühlen, damit sehen, dass es Alternativen gibt. „Das finde ich ganz gut und wichtig.“

Einen Groll hegt der Pfarrer aber nicht. „Ich war fast 47 Jahre römisch-katholisch und habe wunderbare Menschen kennengelernt, die mich sehr geprägt haben.“ Er vermisst auch manchmal die großen Gottesdienste mit vielen Feiernden. „Das ist etwas Erhebendes, wenn hunderte Menschen gemeinsam Lieder singen.“ Auch der weltkirchliche Aspekt fehlt ihm. Bei Besuchen von Gottesdiensten irgendwo auf der Welt hat er sich immer beheimatet gefühlt, weil vieles bekannt gewesen ist. „Das habe ich in Brasilien erlebt, in Ruanda, in Indien. Das fehlt mir.“

Große Dankbarkeit fühlt der Geistliche gegenüber seiner Familie, die in der Zeit des Wechsels sehr wichtig und von Anfang an eingebunden war. „Sie haben mich sehr getragen und gestützt und mir die Liebe zur Region hier ans Herz gelegt“, sagt er. Lachend erinnert er sich daran, wie ihm seine Mutter Fotos von ihm als Baby geschickt hat, die ihn beim Schwimmen lernen und Herumplanschen auf der Höri zeigen. „Ich glaube, sie sind auch dankbar, dass ich hier bin“, sagt Andreas Sturm über seine Familie.

Selbst in schweren Zeiten mit Pandemien, Energiekrise und Krieg sieht Pfarrer Sturm Gründe, dankbar zu sein: „Ich finde es wichtig, dass man darauf schaut, was man im Kleinen erlebt“, sagt er. Für ihn sind das beispielsweise gemalte Bilder seiner Nichten oder Begegnungen mit Menschen. „Es sind Tage, an denen ich aufwache und einen schönen Tag habe. Ich gehe raus und erlebe das Positive.“ Es ist wichtig, betont er, dass man auf die persönlichen Kleinigkeiten schaut, die nicht in den Tagesthemen auftauchen. „Wir können mit den Negativmeldungen sonst in eine Spirale kommen, in der man nur noch schwarzsieht.“

Autor:

Tobias Lange aus Singen

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