Angst vor noch mehr Apothekensterben
Apotheker schlagen vor der nächsten "Reformrunde" bereits Alarm

Ariel Wagner von der See-Apotheke Ludwigshafen mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Lina Seitzl, dem Konstanzer Apotheker Murat Baskur und Stéphanie Haas-Komp von der Viola-Apotheke in Volkertshausen beim politischen Austausch zur geplanten Apothekenreform, von der die Apotheker schlimmes befürchten. Zumal sie seit 2004 auf eine solche schon warten, also 20 Jahre! | Foto: Fiedler
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  • Ariel Wagner von der See-Apotheke Ludwigshafen mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Lina Seitzl, dem Konstanzer Apotheker Murat Baskur und Stéphanie Haas-Komp von der Viola-Apotheke in Volkertshausen beim politischen Austausch zur geplanten Apothekenreform, von der die Apotheker schlimmes befürchten. Zumal sie seit 2004 auf eine solche schon warten, also 20 Jahre!
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Singen/Kreis Konstanz. "Stell dir vor" ist ein aktuelles Video der Apotheken im Land überschrieben, das gerade über soziale Netzwerke und in verschiedene Versionen sogar bundesweit verteilt wird. Wenige Wochen nach ihrer letzten Aktion "Wir sehen rot" im April wollen damit auch die Apotheker aus der Region auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen - im Vorfeld einer neuen Reformrunde, die die Apotheker bereits in der Entwurfsphase auf die Barrikaden treibt.

Sie prophezeien eine Beschleunigung des Apothekensterbens nicht nur im ländlichen Raum. Einer dieser Apotheken, die das Sterben unmittelbar betrifft, ist in diesen Tagen die Central-Apotheke in der Singener Innenstadt, die erst mal geschlossen hat. „Für uns wurde es in den letzten Monaten immer schwieriger, die wirtschaftlichen und finanziellen Anforderungen zu erfüllen“, erzählt Inhaber Johannes Danassis gegenüber dem WOCHENBLATT mit Verweis auf die Rahmenbedingungen. Seiner Auskunft nach könnte die Apotheke offenbar Anfang Januar 2025 unter neuem Inhaber eröffnet werden. „Ich selbst hoffe sehr, dass ich dann unter der neuen Leitung weiterhin als Angestellter hier arbeiten kann“, so der 62-Jährige.

Die Schließung der Singener Innenstadt-Apotheke ist für Stéphanie Haas-Komp von der Viola-Apotheke Volkertshausen, Ariel Wagner (PTA) von der See-Apotheke Bodman-Ludwigshafen wie Murat Baskur, Betreiber von drei Apotheken in Konstanz, nur eines von vielen aktuellen Warnzeichen, weshalb sie die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Lina Seitzl zum Informationsaustausch eingeladen haben, um damit vielleicht direktere Informationen zur Lage bei Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach platzieren zu können.

Seit 2004 würden die Apotheken auf eine Erhöhung der Tarife warten, was die wirtschaftlichen Gründe für das Aufhören erklärten. Habe es 2015 noch 20.000 Apotheken in Deutschland gegeben, so liege man inzwischen noch bei 17.400 und jeden Tag würden statistisch ein bis zwei Apotheken mehr aufgeben müssen. Während im EU-Schnitt auf 32 Apotheken 100.000 Menschen versorgten, seien es in Deutschland inzwischen gerade noch 20. Und die müssten, wie das Video auch drastisch vorführt, oftmals passen, aus Material- wie aus Personalmangel, wie Ariel Wagner ausführte.

Auch wenn für dieses Jahr Lohnerhöhungen angesetzt sind, so verdiene eine Pharmazeutisch-Technische Angestellte (PTA) meist nur wenig über dem Mindestlohn, wird die Personalknappheit erklärt. Und wenn man hier 22 Euro die Stunde für einen Notdienst betrachte, so sollte man das mit 105 Euro entgegenstellen, die eine Steuerberater für seine Arbeit in der gleichen Zeit berechne, so Ariel Wagner.

Nicht alleine der Politik, auch den gesetzlichen Krankenkassen geben die Apotheker hier eine Mitschuld. Die medizinische Entwicklung habe dazu geführt, dass inzwischen bei rund 40 Prozent der per Rezept ausgegeben Medikamente der Packungspreis bei über 1.000 Euro liege. Das müssten die Apotheken vorfinanzieren, bis es von den Kassen erstattet wird. Das summiere sich dann schnell zu einigen hunderttausend Euro, die die Apotheken finanzieren müssten, was ihre Wirtschaftlichkeit zusätzlich belastet. 

Wenn man im Gesundheitssystem sparen wolle, seien die Apotheker die falsche Adresse. Der Anteil der Honorare der Apotheken im gesamten Kuchen der Kosten der gesetzlichen Krankenkassen, der für 2023 mit 306 Milliarden Euro angegeben wird, liege gerade noch bei 1,9 Prozent, die Kosten der Arzneimittel bei 12,4 Prozent.

Besonders kritisch sehen die Apotheker zudem Pläne, "Systemapotheken" zu protegieren, bei denen dann ein Apotheker für mehrere Filialen zuständig wäre, also immer nur wenige Stunden vor Ort wäre. Auch Pläne, in Drogeriemärkten etwa Abgabestellen einrichten zu wollen, werden sehr skeptisch betrachtet, denn das sei eben keine Apotheke mehr, die mindestens auch ein Labor bräuchte. Die Apotheker aus der Region hoffen, inständig, dass ihnen nun durch die neue Reform, die aus ihrer Sicht der "Landapotheke" gewiss nicht helfe, nicht noch mehr Prügel zwischen die Beine gelegt wird.

"Wir tun ja jetzt schon ganz viel, was wir im aktuellen System gar nicht abrechnen können", sagt Stéphanie Haas-Komp. "Diese Reform in den jetzigen Plänen ist ganz und gar nicht sozialdemokratisch", ist das, was hier der Abgeordneten Dr. Lina Seitzl mitgegeben werden sollte. "Wir befürchten, dass davon nur ganz wenige profitieren werden und die einzelne Apotheke auf der Strecke bleibt", so Murat Baskur.

Engpässe mehren sich

„Die Situation der Apotheker hat sich über Jahre hinweg schon stark verschärft“, erzählt auch Andreas Pfleger, Pächter der Sauter-Apotheke, auf Nachfrage des WOCHENBLATTs. Die Vergütung sei für die Apotheken einfach nicht mehr zeitgemäß, so wurde das Fixum von 2004 im Jahr 2013 nur minimal um 25 Cent erhöht. „Es beträgt seither rund 8,35 Euro“, so Pfleger weiter. Sogleich seien die Anforderungen in den Apotheken gestiegen, wozu ihm zufolge unter anderem Lieferengpässe, E-Rezepte, der Austausch von Medikamenten sowie die erhöhte Anzahl an Notfällen zählen.

Die aktuelle Schieflage der Apotheken würde sich ihm zufolge durch die „Apotheke Light“ von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nur noch mehr verschlimmern. Generell gebe es nach Auskunft des Pächters der Sauter Apotheke eine Apotheker-Pflicht, das heißt, dass in der aktuellen Situation in der Apotheke zu den Öffnungszeiten immer ein Apotheker anwesend sein müsste.

Durch die „Apotheke Light“ würde der Apotheker mit seiner Erfahrung für den Betrieb nicht mehr notwendig sein. „Dadurch dürfen nicht mehr alle Medikamente (BTM) abgegeben werden, bei Bedarf soll ein Apotheker über einen Videocall zugeschaltet werden“, berichtet Andreas Pfleger. Die Spezifikation würde ihm zufolge aufgrund des Fachkräftemangels und des daraus resultierenden Mangelberufs fehlen und der Markt sich verschieben.

Trotz aktuell sehr guter Kundenfrequenz stellt sich auch in der Sauter Apotheke die Situation derzeit als schwierig dar. Der Umsatz steige zwar stetig, jedoch wird die Diskrepanz aufgrund der gestiegenen Kosten, darunter Energie und Personal, Inflation und erhöhten Kassenabschlag immer größer. „Unterm Strich bleibt immer weniger übrig“, so Pfleger.

Was kommt nun an?

Lina Seitzl bedankte sich für die deutliche Darstellung der Situation ausdrücklich. Die Schärfe mancher Probleme sei ihr auch nicht so bewusst gewesen, sodass sie hier viel mit nach Berlin mitnehmen könne, wo die nächsten Runden zur Reform nach der Sommerpause anstehen. "Wir wollen nicht mehr Geld, sondern einfach nur den Ausgleich der allgemeinen Preisentwicklung", sagen die Apotheker.

Von Oliver Fiedler und Philipp Findling

Ariel Wagner von der See-Apotheke Ludwigshafen mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Lina Seitzl, dem Konstanzer Apotheker Murat Baskur und Stéphanie Haas-Komp von der Viola-Apotheke in Volkertshausen beim politischen Austausch zur geplanten Apothekenreform, von der die Apotheker schlimmes befürchten. Zumal sie seit 2004 auf eine solche schon warten, also 20 Jahre! | Foto: Fiedler
Mitten in der Singener Innenstadt ist eine weitere Apothekenschließung zu beklagen, auch wenn der Inhaber hier noch auf eine Wiederöffnung hofft. | Foto: Findling
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Redaktion aus Singen

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