Totschlag-Prozess am Landgericht eröffnet
Angeklagter ohne Erinnerung
Konstanz/Singen (stm). »Sie können sich nicht erinnern, auf ihre Mutter acht- bis zehnmal eingestochen zu haben, sie aus dem Haus getragen zu haben, in eine Schmutzfangmatte gerollt und in einem Einkaufswagen anderthalb Kilometer durch Singen zur Ablagestelle geschoben zu haben«, fragte der Vorsitzende Richter Arno Hornstein den 33-jährige Angeklagten. Am Eröffnungstag des Totschlag-Prozesses am Freitag am Landgericht Konstanz erklärte der Singener, sich an den Tatverlauf nicht erinnern zu können.
»Da müsse er passen«, beteuerte er immer wieder. Er könne sich lediglich daran erinnern, dass seine Mutter nach einem Streit am 28. Dezember 2012 in der beengten Zwei-Zimmer-Wohnung in der Singener Franz-Sigl-Straße ihn mit einem Messer bedroht und ihn anschließend gewürgt habe. Daraufhin habe er sie auch am Hals gepackt. Doch über den weiteren Tatverlauf klaffe ein schwarzes Loch, entschuldigte sich der Angeklagte für seine Gedächtnislücken. Seine einzige Erinnerung sei noch, wie seine Mutter in der Wohnküche vor der Couch auf dem Boden gelegen sei und aus dem Hals geblutet habe.
Diese Gedächtnislücken stehen allerdings im Widerspruch zur polizeilichen Vernehmung Anfang des Jahres, als der junge Mann ausgesagt hatte: »Es sei der allergrößte Fehler meines Lebens gewesen. Ich habe meine Mutter getötet«, wie Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach beklagte. Auch die Aussage des Mannes, er habe selbst Todesangst gehabt, weil seine Mutter ihn gewürgt habe, bezweifelte Gerlach.
Möglicherweise werden die Aussagen von 18 Zeugen und zwei Sachverständigen in dem Prozess, der am Dienstag, 15. Oktober fortgesetzt wird, mehr Klarheit bringen. Könnten die handschriftlichen Notizen des Angeklagten auf einem Briefumschlag tatsächlich so etwas wie Stichworte für seine Lügengeschichte bei der Polizei sein, als er in der Tatnacht seine Mutter bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte. Und welche Rolle spielt ein gewisser »Hans« mit Knollennase und »Schalke«-Jacke, der bei Alu-Singen arbeiten soll und nach Angaben des Angeklagten, der Freund der Mutter gewesen sei, aber bislang nicht aufgetaucht ist.
Wesentlich auskunftsfreudiger als zum Tatverlauf zeigte sich der Angeklagte zu seinen widrigen Lebensumständen. Seine alkoholsüchtige Mutter, mit der er bis zu ihrem Tod gemeinsam die Wohnung in der Singer Südstadt und zeitweise auch im »Conti« geteilt habe, habe ihn bis ins Alter von 16 Jahren regelmäßig geschlagen. Sogar von einem sexuellen Übergriff erzählte der 33-Jährige. Zudem habe ihn die Mutter in seiner Jugend regelrecht abgeschottet und ihm selbst als Erwachsener kein Eigenleben eingeräumt. Sein einziger Freund sei deshalb ein Hund gewesen. Auch den Namen seines Vaters habe er lange nicht gekannt, Kontakt zu ihm hatte er keinen.
Die spärlichen Außenkontakte bedauerte auch der psychiatrische Sachverständigen Dr. Ulrich Jockusch. Dies habe das »ambivalente Verhältnis« zwischen Mutter und Sohn gefördert. Als Jockusch dem Angeklagten vorhält, »ihre Mutter hat ihnen das Leben zur Hölle gemacht und sie konnten sich nicht lösen«, aber sie haben sie schon als Mutter gesehen, bricht der ansonsten eher emotionslos wirkende Singener in Tränen aus. Nach seiner Haftstrafe wünscht sich der Angeklagte ein Leben mit eigener Familie. Doch nach dem Tod der Mutter ist er, bis er eine solche gefunden hat, alleine, wie er bei der fast dreistündigen Verhandlung bedauernd feststellte.
- Stefan Mohr
Autor:Redaktion aus Singen |
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