Chistian Nasca denk ganz ausführlich über einen "Hegau Ring" nicht nur für die Tuning-Szene nach
Singen - Eine Rennstrecke? - oder... Eine Rennstrecke für Singen!

Symbolbild | Foto: Symbolbild

Zu den aktuellen Problemen mit der Tuningszene in Singen hat das WOCHENBLATT ein interessanter Gastbeitrag von Christian Nasca erreicht, der zwar sehr ausführlich ist, aber doch einige Gedankengänge bietet, die man diskutieren sollte:

Frühling, Freitagabend, Singen Südstadt, in den Kreisverkehren der Georg-Fischer-Straße quietschen die Reifen und dröhnen die Motoren...

Die Singener ahnen, wovon die Rede ist. Zu viele Artikel begannen bereits mit diesen Worten. Doch geändert hat sich seither nichts: Eine größtenteils auswärtige Tuningszene hat die breiten, weitläufigen und dennoch relativ verkehrsarmen Straßen mit den großzügig dimensionierten Kreisverkehren der Stadt Singen am Hohentwiel zum Schauplatz für ihre allwöchentlichen Treffen auserkoren.

Dabei wird nicht nur flaniert und zur Schau gestellt, sondern auch im öffentlichen Straßenverkehr ausgelebt, was eigentlich auf eine Rennstrecke gehört. In den Kreisverkehren werden lautstarke Drifts vollführt, auf den nahegelegenen Autobahnteilstrecken finden illegale Straßenrennen statt.

Facebook und andere moderne Medien machen diese Massenverabredungen mit bis zu 300 Teilnehmern problemlos möglich. Die Polizei hat ihre liebe Mühe, da schrittzuhalten. Ein Ärgernis für alle.

Die bisherigen Lösungsansätze reichen von der Forderung nach mehr Polizeipräsenz über höhere Bußgelder, die Installation von stationären Überwachungskameras bis hin zur temporären Sperrung der betreffenden Kreisverkehre. Auch eine Petition an den Landtag wurde bereits gestellt. Einzelne aufgebrachte Anwohner haben in ihrer Not schon die Forderung formuliert, die Polizei möge den Rasern doch in die Reifen schießen.

Doch wohin soll das führen? Wollen wir denn "amerikanische" Verhältnisse auf Singens Straßen? Bei hinreichend großen Menschenansammlungen, die sich mit ihren Fahrzeugen frei und schnell über mehrere Straßenzüge hinweg bewegen und dabei über geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken auf ihren Smartphones blitzschnell kommunizieren können, ist ein Organisationsgrad ähnlich dem der Polizei erreicht, dem die Polizei nicht mehr ohne weiteres überlegen ist. Zumindest nicht mit einer Handvoll Streifenwagen.

In einer Art Katz-und-Maus-Spiel wird es immer genau dort zu Regelübertretungen kommen, wo die Polizei gerade nicht präsent war, während unter den Augen der Ordnungshüter ein z.T. demonstrativ provokatives, aber formal nicht sanktionierbares Verhalten zur Schau getragen wird. Anders als bei singulären Großveranstaltungen kann die Polizei in Singen nicht allwöchentlich Hundertschaften aufbieten.

Und mal ehrlich: Wollen wir das überhaupt? Wollen wir den allwöchentlichen Ausnahmezustand auf Singens Straßen mit Polizeihundertschaften, lückenloser Überwachung und abgesperrten Straßenzügen? Wäre das denn eine lebenswerte Alternative für unsere Stadt? Und wer kann auf Dauer einen solchen Aufwand bezahlen?

Die Erfahrung der vergangenen Monate hat gezeigt, dass trotz größtmöglicher Einsatzbereitschaft seitens der Polizei nur eine relativ magere Ausbeute an Bußgeldern verhängt werden konnte. Rein wirtschaftlich betrachtet ein Minusgeschäft für die Kommune und den Steuerzahler, während die ohnehin überlasteten Polizeikräfte gebunden sind und andernorts keine Präsenz zeigen können. Vom Imageschaden für Singen ganz zu schweigen.

Hinzu kommt, dass die verhängten Bußgelder von den teilweise aus der Schweiz angereisten Tuningfreunden als "preiswertes Schnäppchen" empfunden und dementsprechend in Kauf genommen werden. Von einer abschreckenden Wirkung keine Spur.

Auch dürften "Punkte in Flensburg" der schweizer Tuningfraktion eher weniger Kopfzerbrechen bereiten. Flensburg liegt nicht in der Schweiz. Dabei können wir uns in Singen noch glücklich schätzen: Trotz allen Ärgernisses durch Geräuschbelästigung, Provokation, grenzwertigem und offenkundig gefährlichem Verhalten im öffentlichen Straßenverkehr, ist es noch nicht zum Äußersten gekommen. Unfälle, sei es mit Blech- oder Personenschaden, sind bislang, Gott sei Dank, ausgeblieben. Aber wie lange noch?

Ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug macht bei dem, was sich ihm in den Weg stellt, keine Unterschiede. Ganz egal, ob Radfahrer, Kind oder Rentner, Beteiligten oder Unbeteiligten.

Andere Städte mit einem ähnlichen Problem wie Singen sind da bereits auf der nächsten Eskalationsstufe angelangt: Im Mai 2016 wurden in Hagen fünf Menschen bei einem illegalen Straßenrennen schwer, teils lebensgefährlich, verletzt, als ein rasendes Fahrzeug in den Gegenverkehr geriet. Vier der fünf Verletzten waren am Rennen unbeteiligt. Im Februar 2016 wurde in Berlin ein 69-jähriger Rentner als Unbeteiligter in seinem Fahrzeug getötet, als dieses von Teilnehmern eines illegalen Straßenrennens in einen schweren Unfall verwickelt wurde. Ebenfalls im Februar 2016 kam in Köln eine 19-jährige Radfahrerin ums Leben, als diese von einem außer Kontrolle geratenen Fahrzeug getroffen wurde, welches in ein illegales Straßenrennen verwickelt war. Weitere drei unbeteiligte Unfallopfer von illegalen Straßenrennen waren im Verlauf des Jahres 2015 in Köln zu beklagen. Im Dezember 2015 wurden bei einem illegalen Straßenrennen in Karlsruhe sechs Menschen verletzt, darunter auch Unbeteiligte. Weniger Glück hatte eine Rentnerin im Juni 2011 in München. Diese wurde als Unbeteiligte bei einem illegalen Straßenrennen getötet. Darüber hinaus gelten Wuppertal und Teile Brandenburgs als Schwerpunkte der Raserszene.

Dies sind nur einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, welche es in die Schlagzeilen geschafft haben. Es ist unschwer zu erkennen, dass Singen nicht die erste und nicht die einzige Stadt ist, welche sich mit dem Problem einer illegalen Raserszene konfrontiert sieht. Zudem, so scheint es, tun sich aber auch andere Städte schwer, das Problem mit konventionellen Maßnahmen in den Griff zu bekommen.

Interessant ist dabei, dass der Blick über den Singener Tellerrand hinaus zugleich auch einen Blick in die Zukunft darstellen könnte. Zugegeben, einen Blick in eine besorgniserregende Zukunft.

Höchste Zeit also, etwas dagegen zu unternehmen! Aber was tun, wenn konventionelle Maßnahmen in Singen, ebenso wie andernorts, nicht den gewünschten Effekt gebracht haben und, angesichts des Organisationsgrades der Tuningszene, wohl auch nicht bringen werden? Was, wenn konventionelle Maßnahmen also gar nicht geeignet sind, das Problem in den Griff zu bekommen?

Was tun, wenn Plan A sich als untauglich erwiesen hat? - Dann ist es womöglich Zeit, über einen Plan B nachzudenken.

Die bisherige Reaktion auf das Problem der Tuningszene in Singen und andernorts ist zwar natürlich und nachvollziehbar, aber ebenso unwirksam. Vielmehr gleicht sie dem Versuch, einer chronischen Parkplatznot durch das Ausstellen von mehr Strafzetteln Herr zu werden. Dadurch kann das Problem vielleicht zeitweise unterdrückt, niemals aber gelöst werden. Gelöst wird eine chronische Parkplatznot z.B. durch den Bau von Parkhäusern und die Bereitstellung von gebührenpflichtigen Parkflächen in geeigneter Lage.

In der selben Weise wird das zu Bruch gehen von Fensterscheiben durch Fußball spielende Kinder nicht durch das Aufstellen von Verbotsschildern verhindert, sondern durch das Anlegen von Spielplätzen und Bolzplätzen.

Was aber bei Parkplätzen und Bolzplätzen jedem sofort einleuchtet, das bedarf bei der Eindämmung von illegalen Straßenrennen, gefährlichen Verhalten im Straßenverkehr und Lärmbelästigung etwas mehr der Erläuterung und der Überzeugungsarbeit.

Was wäre, wenn...? Was wäre denn, wenn Singen eine Rennstrecke hätte? Eine richtige, permanente Rennstrecke, welche gegen Zahlung einer Gebühr für jeden, der mag, frei zugänglich wäre. Auf der man einfach mal, ohne Rücksicht auf Tempolimits, ein paar schnelle Runden drehen und, mehr oder weniger, den Grenzbereich ausloten könnte, endlich einmal das tun, was eigentlich im öffentlichen Straßenverkehr überall verboten ist.

Was wäre denn dann?

Wie würden sich Raser- und Tuningszene verhalten? Würden diese ein derart großzügiges Angebot der Stadt Singen ablehnen und sich stattdessen weiterhin am OBI-Kreisel treffen, wo sie ganz offenkundig unerwünscht sind und mit Anfeindung und rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen? Oder würden sie nicht viel eher das Angebot annehmen und sich an einem Ort etwas außerhalb der Stadt treffen, welcher für ihre Belange ohnehin viel besser geeignet ist?

Es kann hilfreich sein, sich in die Psyche der gegnerischen Konfliktpartei hineinzuversetzen, um deren Denken und Handeln zu verstehen. Der eine oder andere mag davon überzeugt sein, es sei das erklärte Ziel der Tuningszene zu stören, zu provozieren, sich in Opposition zu den Anwohnern und zur etablierten Gesellschaft zu stellen.

Viel wahrscheinlicher ist, dass in gesellschaftlichen Randgruppen Hobbies, Interessen und Bedürfnisse vorhanden sind, für welche die Gesellschaft einfach keinen Raum vorgesehen hat, innerhalb dessen diese Bedürfnisse ausgelebt werden können. Diese sind nicht per se kriminell oder verwerflich, nur die Art und Weise, wie diese Bedürfnisse, in Ermangelung geeigneterer Möglichkeiten, ausgelebt werden, macht sie inkompatibel mit geltendem Recht und mit den Bedürfnissen einer Mehrheit. Indem die Tuningszene sich einfach herausnimmt, geltendes Recht zu missachten und ihre eigenen Bedürfnisse über die der Anwohner zu stellen, begibt sie sich auf den Holzweg und manövriert sich ins gesellschaftliche Abseits.

Leidtragend ist aber vor allem die gesellschaftliche Mehrheit, und es ist daher vor allem auch in unserem Interesse, etwas zur Konfliktlösung beizutragen.Moment mal!

"Moment mal!" werden einige da rufen, und mit Recht. Schlägt da allen Ernstes jemand vor, die Stadt Singen solle den unwillkommenen, rücksichtslosen Rasern eine Rennstrecke zum Geschenk machen? Nachdem diese uns schon, weiß Gott, genug Nerven gekostet haben? Und wer soll das alles bezahlen?

Der Einwand ist berechtigt, und soll auch nicht unbeantwortet bleiben. Tatsächlich wäre eine Rennstrecke ein Geschenk an die Tuningszene, aber vor allem auch ein Geschenk an die Singener. Und zwar in vielerlei Hinsicht: Nicht nur könnte damit dem gefährlichen und störenden Treiben der unwillkommenen Gäste ein Ende bereitet werden, sodass endlich wieder Ruhe auf Singens Straßen einkehren würde.

Zu allererst wäre das Projekt einer Rennstrecke für Singen als Infrastrukturprojekt für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Stadt zu betrachten. Die Nutzung einer solchen Rennstrecke stünde zwar jedermann offen, allerdings natürlich nicht unentgeltlich. Zudem sollte eine solche Rennstrecke außerhalb der Stadt mit der Ansiedelung von ein paar Ladenzeilen mit Schnellrestaurants und Dienstleistungen rund ums Auto garniert werden, um zu verhindern, dass die Klientel weiterhin in die Stadt hinein fährt. Eventuell sogar mit Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste aus einem erweiterten Einzugsgebiet.

Außer einer täglichen Öffnung für Tuningfreunde und andere Rennsportbegeisterte, könnte das Gelände auch für andere regionale und überregionale Veranstaltungen mit oder ohne Bezug zum Automobil Verwendung finden. So ließe sich dort alljährlich ein Radrennen, ein Marathon oder auch ein Seifenkistenrennen abhalten.

Wichtiger noch wäre aber das Angebot von Fahrsicherheitstrainings im Sommer wie im Winter, oder auch durch Instruktoren geleitete Fahrdynamik- und Rennfahrertrainings für Fortgeschrittene.

Auch könnten die Singener Autohäuser ein Interesse daran haben, bei der Neuvorstellung besonders sportlicher Fahrzeuge, ihre Stammkunden, statt auf Kaffee und Kuchen ins Autohaus einzuladen, eher eine Präsentation an der Rennstrecke mit Möglichkeit zur Probefahrt anzubieten. Auch gewöhnliche Verkaufsgespräche im Autohaus könnten durch eine Probefahrt auf der Singener Hausrennstrecke gekrönt werden. Den Möglichkeiten sind nur durch Fantasie und Einfallsreichtum Grenzen gesetzt.

So weit, so gut.Aber wenn das tatsächlich so eine grandiose Idee ist, warum ist dann noch niemand anders vor uns darauf gekommen? - Irrtum. Tatsächlich wäre eine solche Rennstrecke in Singen - nennen wir sie, der Einfachheit halber, doch einfach mal "Hegau-Ring" - nicht die erste und nicht die einzige Rennstrecke für sogenannte Touristenfahrten auf der Welt oder in Deutschland.

Allen voran zu nennen, wäre die Mutter aller Rennstrecken: der Nürburgring - die grüne Hölle. Dieser ist seit mittlerweile rund 90 Jahren in Betrieb und ist, neben einigen tatsächlichen Rennveranstaltungen, vor allem für Touristenfahrten geöffnet. Das sind Fahrten für Motorsportlaien ohne Rennlizenz. Rechtlich betrachtet, hat eine solche Rennstrecke den Status einer privaten Einbahnstraße ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. In finanzielle Schieflage geriet der Nürburgring erst durch den Bau eines überdimensionierten Vergnügungsparks, der kaum Besucher anlockte.

Der eigentliche Rennbetrieb hingegen war nie von einem Besuchermangel betroffen. Im Gegenteil! Außer den Besuchern aus der Region pilgern auch Motorsportbegeisterte aus ganz Deutschland, Europa und aus allen Teilen der Welt an den Nürburgring.

Außer dem Nürburgring gibt es in Deutschland nur noch den Hockenheimring, der, nicht täglich, aber an ausgewählten Terminen, für Touristenfahrten geöffnet ist. Die anderen Rennstrecken in Deutschland sind nicht für Touristenfahrten zugänglich, allenfalls hochpreisige, geführte Fahrdynamik- oder Fahrsicherheitstrainings mit Voranmeldung werden angeboten.

Die Idee eines Bolzplatzes zum spontanen Fußballspielen ohne die einengenden Organisationsstrukturen einer Vereinsmitgliedschaft ist uns vertraut. Nicht aber die Idee einer für jedermann zugänglichen Rennstrecke für Touristenfahrten. Das liegt wohl daran, dass solche Rennstrecken in Deutschland rar sind. Dem ist jedoch nicht überall so: In England, z.B., wurden zur Flugabwehr während des Zweiten Weltkriegs, über das Land verteilt, viele Militärflugplätze mit asphaltierten Start- und Landebahnen errichtet. Diese wurden mit dem Ende des Krieges überflüssig. Nur wenige wurden weiterhin als Luftwaffenstützpunkte beibehalten. Viele wurden jedoch durch einfache Maßnahmen in Rennstrecken mit freiem Zugang umfunktioniert. Das bloße Angebot einer solchen Möglichkeit führte dazu, dass der Motorsport von einem elitären Betätigungsfeld für die Werksteams der damaligen großen Automobilhersteller zu einem Massenphänomen und einem Breitensport wurde. Die Vielzahl der heute etablierten britischen Formel 1 Teams hat ihre Ursprünge auf den englischen Flugplätzen der Nachkriegszeit.

Auch in den autoverrückten USA gibt es eine Vielzahl an öffentlich zugänglichen Rennstrecken: Eine davon ist der Virginia International Raceway. Ähnlich einem Golf Resort, ist dies eine luxuriöse Hotelanlage mit, der geneigte Leser hat es bereits erraten, einer Rennstrecke statt eines Golfplatzes hinterm Haus. Der motorsportbegeisterte Gast reist mit seinem Auto an, übernachtet im Hotel und verbringt den darauffolgenden Tag auf der hauseigenen Rennstrecke. Nach einer weiteren Übernachtung reist der Gast tief befriedigt wieder ab und befolgt fortan die geltenden Verkehrsregeln in der beruhigenden Gewissheit, dass er jederzeit wiederkommen kann, wenn er ein Jucken im Gasfuß verspürt.

Nur ein weiteres Beispiel in den USA ist der Las Vegas Motor Speedway. Dieser beinhaltet neben einem Ovalrundkurs auch einen Dragstrip, also eine 400 Meter lange, kerzengerade Piste zur Austragung von reinen Beschleunigungsrennen. Letzterer ist für jedermann zugänglich, und die Polizei lädt die Bleifuß-Fraktion der örtlichen Tuningszene offen dazu ein, mit ihren Fahrzeugen auf dem Dragstrip gegen modifizierte Polizeifahrzeuge anzutreten, statt illegale Rennen auf öffentlichen Straßen auszutragen.

Anstatt die Tuningszene zu kriminalisieren und begrenzte Polizei-Mittel darauf zu verwenden, diese im öffentlichen Straßenverkehr zu verfolgen, geben die Ordnungshüter den Tuningfreunden in freundschaftlicher Manier wertvolle Tips, wie diese noch ein paar Zehntelsekunden oder km/h aus ihren Autos herauskitzeln können. - Mit Erfolg, denn das Problem der illegalen Straßenrennen konnte so deutlich entschärft werden.

Wie so oft im Leben kommt es auf den Kontext an, innerhalb dessen eine Handlung stattfindet. Was im einen Kontext kriminell ist, kann in anderem Kontext Sport sein. Man denke nur an einen Faustkampf, der in den geregelten Verhältnissen eines Boxrings ausgeführt, in ganz anderem Licht dasteht, als wenn er in einer dunklen Straßenecke stattfindet.

In gleicher Weise wäre Singen gut beraten, das, was ohnehin schon auf Singens Straßen stattfindet, in geregelte Verhältnisse zu überführen und ganz nebenbei einen neuen Wirtschaftszweig mit sprudelnden Einnahmen daraus zu generieren. Der Bau und der anschließende Betrieb würde dauerhaft Arbeitsplätze schaffen. Aber auch das bereits vorhandene Gewerbe könnte von einem solchen Projekt profitieren.

Außer einer Betreibergesellschaft der Rennstrecke wären das z.B. der Fremdenverkehr mit Gastronomie und Hotellerie, sowie das Kfz-Gewerbe mit Tankstellen, Reifenhändlern, Werkstätten und Abschleppdiensten. - Ja, es wird sicher auch manchmal zu Blechschäden kommen. Aber auf einer geschlossenen Rennstrecke mit modernen Sicherheitsstandards sollte es bei Blechschäden bleiben und ernsthafte Personenschäden die absolute Ausnahme sein. Unbeteiligte wären zudem per Definition in Sicherheit, weil außerhalb der Gefahrenzone.

Warum aber sollte ausgerechnet Singen sich eine Rennstrecke vor die Tür bauen und damit auch noch wirtschaftlichen Erfolg einfahren?

Zum einen, weil die Klientel bereits da ist und nicht gedenkt zu gehen. Zum anderen, weil Singen, trotz seiner geringen Größe, auf eine bewegte Motorsportvergangenheit zurückblicken kann. Am gewichtigsten aber wiegt der Wirtschaftsfaktor eines solchen Schlüsselprojektes für die Stadt: Der zuvor erwähnte Nürburgring ist anerkanntermaßen die erste Adresse für Touristenfahrten und ist weit über Region und Landesgrenzen hinaus bekannt. Konstant hohe Besucherzahlen aus dem In- und Ausland belegen dies. Warum toben unsere schweizer Tuningfreunde sich dann nicht auf dem Nürburgring aus? Nun, vielleicht tun sie es ja. Aber die Anfahrt zum Nürburgring beträgt von Singen aus fast 500 km. Aus der Schweiz ist es nochmals entsprechend weiter.

Zum Hockenheimring, der ein stark eingeschränktes Angebot an Terminen für Touristenfahrten hat, sind es immerhin noch rund 300 km. Mit An- und Abreise im eigenen Auto und zwei Hotelübernachtungen vor Ort kostet das nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit, die nicht jeder aufbringen kann. So einen Ausflug an eine Rennstrecke kann man einmal im Jahr machen, oder auch ein paar mal, aber nicht jeden Freitagabend. Dafür sind die Distanzen einfach zu groß.

Das Fahrdynamische Zentrum Bodensee im nahegelegenen Steißlingen ist in dem, was es anbietet - Fahrsicherheitstrainings auf einer bewässerten Fahrdynamikfläche neben einer Kartbahn - zwar ein Highlight in der Region und weit darüber hinaus, allerdings wäre es keine direkte Konkurrenz für eine vollwertige Singener Rennstrecke. Mit einer Streckenlänge von nur 750 m ist die Kartbahn des Fahrdynamischen Zentrums Bodensee für Touristenfahrten im eigenen Pkw einfach zu kurz und in der Breite für sicheres Überholen zu schmal. Eine Alternative für die Tuningszene wäre es damit nicht.

Sehen wir uns stattdessen doch mal in der Schweiz um. Was gibt es dort für Möglichkeiten seine Motorsportfantasien einmal ungezügelt auszuleben? Die Antwort ist kurz und einfach: Keine.

In der gesamten Schweiz gibt es derzeit keine permanente Automobil-Rennstrecke, geschweige denn eine für Touristenfahrten für jedermann zugängliche.Daraus ergibt sich ein konkurrenzfreies Einzugsgebiet für potenzielle Besucher einer Rennstrecke vor den Toren Singens mit einem Radius von 300 km und darüber hinaus! Aber es wären nicht nur die vielzitierten Tuningfreunde, welche als zahlende Kunden für Touristenfahrten auf einer Singener Rennstrecke in Frage kämen. Diese sind nur die Spitze des Eisbergs.

Die Tuningszene ist ja gerade dadurch auffällig geworden, dass sie ihre Fantasien von ungehemmtem Verhalten und illegalen Straßenrennen nach dem Vorbild von "Need for Speed" oder "The Fast and the Furious" tatsächlich ausleben. Wie groß hingegen ist die Masse derer, die zwar am Sonntag beim Formel 1 Grand Prix oder andere Rennserien mitfiebern oder sich für o.g. Filmreihe und Computerspiele begeistern, evtl. auch ein sportliches Auto fahren, sich aber sehr wohl an geltende Verkehrsregeln halten und sich im Straßenverkehr anständig und rücksichtsvoll verhalten? Die aber dennoch einer legalen Möglichkeit zum Ausleben ihrer PS-Fantasien nicht abgeneigt wären?

Da scheint das Bild des Eisbergs auf einmal gar nicht weit hergeholt.Dem Bau der ECE Einkaufspassage werden gute Chancen eingeräumt, eine Sogwirkung auf Kunden aus dem Umland auszuüben, obwohl es doch nicht die einzige Einkaufsmöglichkeit im Umkreis von 300 km wäre. Um wieviel größer wäre dann die Sogwirkung einer regional und überregional konkurrenzlosen Rennstrecke in Singen? Diese müsste nicht mit anderen Rennstrecken um Besucher buhlen, sie wäre die einzige Option in einem Einzugsgebiet mit mehreren Millionen Einwohnern von Stuttgart bis Zürich, vom Schwarzwald über den Bodensee bis zum Allgäu und weit darüber hinaus.

Konkurrenzlosigkeit, ein Alleinstellungsmerkmal und ein großer Absatzmarkt sind zuverlässige Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg. Bei einer Rennstrecke in Singen wären diese Kriterien definitiv erfüllt. Was eine Rennstrecke und eine Einkaufspassage jedoch verbindet, sind der Wunsch und das Bemühen Singens sich wirtschaftlich und gesellschaftlich weiter zu entwickeln, neue Betätigungsfelder zu erschließen und nicht auf der Stelle zu treten.

Wie und wo?

Natürlich benötigt eine Rennstrecke ein ausreichend großes Gelände. Und natürlich muss eine Rennstrecke auch eine ausreichende Länge und Breite aufweisen, um im oben beschriebenen Maße attraktiv zu sein und wirtschaftlichen Erfolg zu ermöglichen. Wohlgemerkt, wir sprechen nicht von einer Kartbahn!

Ein solches Gelände wäre etwa in einer stillgelegten Kiesgrube gegeben, von denen es mehrere im Umland gibt. Auch Bedenken wegen des Lärmschutzes wären damit entkräftet, da Kiesgruben in aller Regel weit außerhalb und naturgemäß in einer Senke liegen. Selbstverständlich dürfen aber auch die Belange des Umweltschutzes bei einem Vorhaben solcher Größe nicht unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus würden Investitionssummen in zweistelliger Millionenhöhe benötigt werden. Diese könnten neben dem klassischen Weg in Form von Bankkrediten einer Betreibergesellschaft zusätzlich durch Beteiligungen von Singener Unternehmen bereitgestellt werden.

Hierbei könnten sich in erster Linie Unternehmen angesprochen fühlen, welche direkt oder indirekt von einer Rennstrecke in Singen profitieren würden, allen voran die Tourismusbranche und die Kfz-Branche. Auch das ECE Handelsunternehmen könnte als Nutznießer eines erhöhten Besucheraufkommens Interesse an einer Beteiligung haben und als Investor in Frage kommen, sowie auch die Betreibergesellschaft des Fahrdynamischen Zentrums Bodensee. Die Stadt Singen könnte sich beispielsweise durch die unentgeltliche Bereitstellung des Geländes beteiligen, ohne tatsächliche Ausgaben zu haben.

Kommt dann die DTM zurück nach Singen?

Dies wäre nicht ganz unmöglich, aber eher unwahrscheinlich. Um die DTM oder andere hochkarätige Rennserien zurück nach Singen zu holen, müsste eine Rennstrecke zusätzliche Anforderungen an die Infrastruktur, sowie sich ständig ändernde Sicherheitsauflagen erfüllen. Es wären zusätzlich ausgedehnte Parkplatzflächen, sanitäre Anlagen und Tribünen für die Zuschauerströme anzulegen. Darüber hinaus ein Fahrerlager mit Boxengebäuden, einem Pressezentrum uvm. Die Kosten würden explodieren, die Wahrscheinlichkeit diese Kosten wieder reinzuholen wäre gering. Selbst für traditionsreiche Rennstrecken ist die Ausrichtung von Rennveranstaltungen hochkarätiger Rennserien oft ein Nullsummenspiel.

Mit einer Beschränkung aufs Wesentliche, nämlich auf Touristenfahrten und Fahrsicherheitstrainings, und einer dafür maßgeschneiderten Infrastruktur würde die Investitionssumme hingegen überschaubar bleiben und die wirtschaftliche Tragfähigkeit gesichert.Denkbar wären aber wiederkehrende Rennveranstaltungen seriennaher Kategorien, z.B. der Gruppe N Tourenwagen und dergleichen. Diese sind auch als Einstiegsklassen in den richtigen Motorsport fürengagierte und technisch versierte Amateure geeignet.

Und wer weiß? Bei solcher Förderung kommt vielleicht der nächste Michael Schumacher oder Sebastian Vettel aus Singen am Hohentwiel!

Was steht auf dem Spiel? Motorsport hat seit jeher die Nation in Befürworter und Gegner gespalten. Dabei war das Lager der begeisterungsfähigen Befürworter jedoch immer mindestens ebenso groß, wie das der Gegner. In der gegenwärtigen Situation in Singen ist es jedoch so, dass selbst die traditionellen Motorsport-Gegner in einer Rennstrecke vor Singens Toren das geringere Übel im Vergleich zu einer illegalen und gefährlichen Straßenrennszene innerhalb des bewohnten Gebietes sehen sollten. Man könnte also von der seltenen Konstellation sprechen, bei der alle Beteiligten nur profitieren können:

Ruhe und Sicherheit kehrt auf Singens Straßen ein.

Die Tuningszene bekommt eine Heimat und darf sich in Zukunft als willkommener und integrierter Bestandteil der städtischen Gesellschaft fühlen.

Die Stadt bekommt einen neuen und überregional konkurrenzlosen Wirtschaftszweig mit Einnahmen durch Fremdenverkehr und Gewerbesteuer.

Die Polizei wird von einer frustrierenden und fruchtlosen Aufgabe entlastet und kann ihre Kräfte auf andere Aufgaben konzentrieren.

Und Singen bekommt mit dem "Hegau-Ring" nicht weniger als ein neues Wahrzeichen, welches unsere Stadt weit über den Hegau hinaus bekannt und beliebt machen wird. Singen war und ist: Hohentwiel, Maggi, Alu-Singen, +GF+, Einkaufstadt, DTM, Landesgartenschau... und in Zukunft vielleicht auch "Hegau-Ring".

Die gesellschaftliche Debatte ist eröffnet! Mögen die Singener, die Stadträte und die potentiellen Investoren wohlüberlegt sich eine Meinung bilden und danach eine kluge Entscheidung treffen.

Autor: Christian Nasca

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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