Hallo und guten Tag
Von Abrissbirnen und Bushaltestellen

Wissen Sie, dass die ehemalige freie Reichsstadt Radolfzell gerade ein ganz neues Wirtschaftsförderungsprogramm auflegt, liebe WOCHENBLATT - Leserinnen und - Leser? Ich sage Ihnen auf so eine Idee muss man erst mal kommen, einfach gigantisch. Bei einem meiner letzten Streifzüge durch das WOCHENBLATT - Revier konnte ich diese topaktuelle Konjunkturankurbelung mit eigenen Augen bewundern. Zur Erinnerung: Im Frühling 2000 sollte die Linie 5 des Radolfzeller Stadtlinienverkehr zunächst vollständig eingestellt werden. Nach massiven Protesten wurde u. a. die Buslinie 5 auf die Mettnau ausgedünnt; etliche Haltepunkte fielen der Neuerung zum Opfer und wurden vollständig abgebaut. Mit großem Erstaunen habe ich bei meinem letzten Besuch in der schönen Stadt am Untersee feststellen können, dass jetzt wieder Bushaltestellen an genau diesen Plätzen eingerichtet wurden! Toll, das gibt Arbeit und Umsatz und täusche ich mich nicht, sagen die Zweibeiner dazu Wirtschaftsförderung, gell?! Die Streifzüge durch die WOCHENBLATT - Region liebe ich über alles. Jedes Mal entdecke ich Neues. Entdecken, Veränderungen feststellen im positiven wie im negativen Sinn, das ist immer wieder interessant. Neulich bin ich mit meinem Kumpel Struppi durch die Hohentwielstadt gezogen. Wir standen an der Ecke Erzbergerstraße / Hegaustraße. Wie zwei feindliche Trutzburgen stehen sich hier die beiden Riesenbauten einer hiesigen Bank und eines Drogeriemarktes gegenüber. Früher waren das alte Verwaltungsgebäude des Gas- und E-Werkes und eine wunderschöne Villa im Garten vertraute Nachbarn. An der nächsten Ecke war Singens erste Adresse, das Central - Hotel. Für einen gesichtslosen Neubau fiel Singens schönste Fassade der Spitzhacke zum Opfer. Erinnern Sie sich noch an den Kastaniengarten der »Alten Post«, meine Damen und Herren? Das wäre heute wieder ein attraktives Eingangstor in die Stadt. Sicher, Singen hat aufgrund seiner Geschichte keine Prachtbauten wie Radolfzell oder Konstanz vorzuweisen. Doch es gab viele Häuser, die das Stadtbild prägten, einer Straße  oder einem Straßenabschnitt ihren Stempel aufdrückten. Aus meiner Sicht als Vierbeiner waren das Häuser mit Charakter. Das vorläufig letzte Opfer der Modernisierungswelle war das Haus von Theodor Hanloser; Ecke Freiheitstrasse /Erzbergerstraße wird jetzt gerade auch so ein moderner - in meinen Augen - nichts sagender Bau hochgezogen. Naja, die Zweibeiner sehen das eben anders. Das Motto heißt - wenn ich nicht irre - Stillstand ist Rückschritt; das bedeutet im täglichen Leben also »weg mit den alten Häusern, was Neues muss her«. Die nächste Abrissbirne steht schon bereit. Der eindrucksvolle Bau des »Caf© National« wird als nächstes aus dem Stadtbild von Singen verschwinden. Einem Zweckbau mit fast 700 Quadratmetern Verkaufsfläche im Erdgeschoß und fast 1300 Quadratmetern Büroflächen (weil in Singen keine solchen Flächen leer stehen und absolute Mangelware sind, ha ha!) muss das Haus Platz machen. Mein heiß geliebter Hausberg verschwindet dann auch, zumindest ist er nach dem Neubau dort nicht mehr zu sehen. Die Bewohner der gegenüber liegenden Gebäude und die Besucher des Heinrich-Weber-Platzes werden sicher mit mir »hell begeistert« sein von der Entscheidung des Bauausschusses, der zum ersten Mal von Singens neuem OB Oliver Ehret geleitet wurde. Traurig und wütend muss ich die nicht nachzuvollziehende Entscheidung eines Bauausschusses zur Kenntnis nehmen, der immer noch nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Zumindest ein Teil der Ausschussmitglieder war vor vielen Jahren in Winterthur. Diesen Herrschaften wurde von den dort Verantwortlichen gezeigt und erklärt wie es auch gehen kann. Die Lösung heißt Fassade stehen lassen und dahinter alles neu bauen. Doch an diesen Besuch erinnern sich die Damen und Herren wohl nicht mehr. Eine gesichtslose Stadt, Häuser ohne Charme und Charakter, das sind wohl die neuen Ideale. Liebe Mitglieder des Gemeinderates, auf, auf zum fröhlichen Jagen, lasst auch die letzten markanten Gebäude noch auslöschen.

Mit einem tiefen Knurren und böse auf diesen Frevel verabschiedet sich diese Woche, Ihr bunter Hund.

Autor:

Redaktion aus Singen

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