Liebe Leserinnen und Leser,
kennen Sie das Sankt Floriansprinzip?
»Das Sankt-Florian-Prinzip (österreichisch: Floriani-Prinzip) oder die Sankt-Florian-Politik bezeichnet Verhaltensweisen, potentielle Bedrohungen oder Gefahrenlagen nichtzu lösen, sondern auf andere zu verschieben«, sagt Wikipedia.
Überliefert ist folgender Spruch: »Heiliger Sankt Florian / Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!«. Einmal ungeachtet, ob dieser Spruchjemals so gefallen ist oder ob das zu irgendwelchen Zeiten ein Stoßgebet war, was tatsächlich laut geäußert wurde: Manchmal nutzt dieses Prinzip jede und jeder. (wenn Sie das Sanktflorianprinzip nie nutzen, wollen wir Sie unbedingt kennen lernen, sie könnten (Achtung: Ironie on) uns helfen, die Welt zu retten: seitedrei(at)wochenblatt.net.)
Wie kommen wir ausgerechnet diese Woche darauf? Wir beschäftigen uns immer noch mit der Tuningszene. Und die steht für uns gerade stellvertretend für so ganz vieles, was bei uns in der Gesellschaft ein klein bisschen schief läuft: Die Szene trifft sich an einer privaten Tankstelle und um die privateTankstelle herum (also auf Privateigentum und auf den Zufahrten zum Privateigentum) und reklamiert, dass Sie ein Recht darauf hat. Privateigentum? Egal. Man muss sich ja irgendwo treffen… Und wenn es dort nicht geht, soll halt irgendjemand (hier lauert bereits Sankt Florian) uns einen Platz geben. Wirklich? Nein, so einfach ist es nicht. Weil diesen irgendjemand gibt es nicht. Die Stadt sperrt das Gebiet und verschiebt das Problem damit irgendwohin (Sankt Florian), wo dann die nächsten Sperrungen kommen können. Dann entstehen Vorschläge, wo sich die Freunde gepflegtem Carposings treffen können. Immer nicht auf dem eigenen Grund und Boden, sondern auf dem Grund und Boden von anderen (Sankt Florian).
Das Problem? Existiert fort. Und die Tuningszene (Sorry, Freunde) muss jetzt gerade als Beispiel des Zeitgeistes herhalten, der uns in der Gesellschaft oft von sinnvollen Lösungen abhält.
Unser Handynetzversorgungsproblem in Deutschland? Sollen die Chinesen lösen. Windkraft? Klar, aber nicht vor meiner Haustüre. Atomstrom? Keine Ahnung, kommt aus der Steckdose, aber den Atommüll lagert ihr gefälligst woanders. Billige Arbeit? Finden wir gut, wenn unsere Klamotten billig sind, aber ich möchte für meine Arbeit gut bezahlt werden, also soll von mir aus in Bangladesch für meine Klamotten billig gearbeitet werden. Lohnverzicht oder Mehrarbeit? Gut, wenn andere verzichten oder mehr arbeiten, damit bei mir alles gleich bleibt. Die neueste etwas abgewandelte Sankt-Florian-Variante: Anderen Menschen helfen? Geld spenden gerne (ich bin ja großzügig), aber meine Zeit, gar meinen aktiven Einsatz, darf es nicht kosten. Wir wollen einfach nicht berührt werden von den Problemen, oft nicht einmal von den Problemen, die wir selbst mit verursachen.
Die Lösung? In fast allen diesen Fällen: Einsehen, dass man nicht alleine auf der Welt ist, den eigenen Anteil am Problem anschauen, über den eigenen Schatten springen, miteinander reden, versuchen zu verstehen und daraus Ideen und dann Lösungen stricken und umsetzen. Miteinander reden schlägt übrigens auch Dirk Oehle von der Singener Interessengemeinschaft Süd für das Tuningtreffenproblem vor…
Ok, wir wissen, dass das ein paar Zeilen mit der Moralkeule waren. Aber wir wissen auch, dass wir (siehe oben) genauso oft unbewusst nach Sankt Florian rufen. Also sprichwörtlich im Glashaus sitzen und dort mit Steinen werfen, wenn Sie so wollen.
Lasst uns alle versuchen, ein bisschen mehr miteinander nach Lösungen zu suchen, statt Probleme zu verschieben.PS: Unser Chefredakteur Oliver Fiedler kann für diese Zeilen nichts, er befindet sich im mehr als wohlverdienten Urlaub, weshalb auch seinmorgendlicher Newsletter erst ab 29. Juli wieder zu lesen sein wird, worauf auch wir uns schon wieder freuen.
Carmen Frese-Kroll, Verlegerin
Anatol Hennig, Verlagsleiter
Autor:Redaktion aus Singen |
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