Liebe Leserinnen und Leser,
kurz vor der Landtagswahl stellte sich für uns die Frage: Wie gehen wir mit dem Thema Wahlwerbung um? Veröffentlichen wir alles, was von uns verlangt wird? Wir wissen seit Langem: Das Thema Wahlwerbung ist eine Gratwanderung, in stürmischen Zeiten wie diesen sowieso. Und das spüren wir gerade intensiv, nachdem uns einige Mails erreicht haben zur Werbung der AfD im Blatt, weniger zu den Anzeigen, sondern vielmehr zu einer Beilage, die in der Radolfzeller Ausgabe im Blatt war, unter anderem die eine oder andere Ankündigung, dass man künftig das Wochenblatt nicht mehr wolle. Irgendwie freut es uns erst einmal, dass es genug Menschen in dieser Region gibt, die dafür einstehen, was sie politisch nicht wollen. Und das gibt uns die Hoffnung, dass von Deutschland aus hoffentlich nie mehr das ausgehen kann, was 1930 bis 1945 von Deutschland ausgegangen ist. Danke also für Ihre Mails.
Nun glauben wir allerdings, dass man es sich auch hier nicht zu einfach machen darf. Wenn wir um uns herumschauen, dann stellen wir fest: Es hängen Plakate aller Par-teien in den Kommunen, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kommen alle Parteien mit ihrer Wahlwerbung zu Wort, die AfD sitzt im Landtag, im Bundestag und in Talkrunden, sie ist auf den Social-Media-Kanälen aktiv. Das ist ein Teil dessen, wie wir in diesem Land Demokratie leben. Und wir glauben, dass man in dieser Demokratie ruhig sehen darf, wes Geistes wer ist, vielleicht sollte man das sogar sehen, auch damit man weiß, was man nicht will.
Werbung ist indes übrigens in unserer Zeitung auch nichts, was wir nach unserem persönlichen Dafürhalten bewerten, wir würden uns ja nicht einmal einig, was dann noch im Wochenblatt sein dürfte und was nicht.
Und dennoch haben wir als Verlag, der wir mit dem Wochenblatt in nahezu alle Haushalte dieser Region kommen, eine Verantwortung. Die Verantwortung, dass wir die Demokratie nach bestem Wissen und Gewissen schützen, sie hat uns seit Beginn der Coronakrise immer wieder intensiv gefordert.
In einem Punkt sind wir uns relativ sicher: Was brauchen wir, um Corona und die sozialen Folgen, die noch gar nicht alle klar sind, in eine gute Zukunft münden zu lassen, um Herausforderungen wie den von uns verursachten Klimawandel, das Artensterben, Gleichberechtigung, Digitalisierung und Globalisierung einigermaßen zu meistern? Wir brauchen weniger Ideologie nach alter Bauart, sondern einen gewissen Pragmatismus und die Fähigkeit, einander zu verstehen. Da sind wir als Medium gefragt, aber eben auch die Politikerinnen und Politiker aller Parteien.
Wir beobachten, dass immer mehr Menschen, die eine Meinung zu einem Thema haben, in eine große Schublade gesteckt werden, aber das Thema nicht mehr besprochen wird. Das geht sogar so weit, dass alleine der Verdacht, in eine solche Schublade zu gehören, zu verbaler oder sogar körperlicher Gewalt führen kann. Das ist aus unserer Sicht die eigentliche große Gefahr für die Demokratie derzeit. Menschen, deren Themen und Gefühle von »der Politik« ignoriert werden oder die sich sogar für ihre Themen schämen müssen, suchen einfache Lösungen für sich und wenden sich im Zweifelsfall auch extremen Parteien zu, die mit einfachen Lösungen werben, auch wenn diese Parteien dann gar keine menschenfreundlichen Lösungen haben. Wer der AfD und ihren Vertreterinnen und Vertretern genau zuhört und genau hinschaut, bekommt ein ungutes Gefühl, wie diese Gesellschaft sich anfühlen würde, wenn diese Partei in der Regierung sitzen würde.
Und da sind wir sehr klar in der Aussage: Nein. Wir möchten keine AfD in einer Regierung.
Und wir möchten auch immer wieder in die Geschichte schauen, um aus ihr zu lernen: Und wenn man in diese Geschichte schaut, dann sieht man, dass die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1928 gerade einmal 2,6 Prozent der Stimmen bekommen hat und im September 1930 plötzlich 6,4 Millionen Stimmen. Sie trat für eine sich als ungerecht behandelt fühlende Bevölkerung damals als Erlöser auf, und die Bevölkerung, unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen und in Teilen latent judenfeindlich, fiel auf diese Erlösungssaga rein. Die »Erlösung« brachte 50 Millionen Menschen im zweiten Weltkrieg, weiteren 6 Millionen Juden und vielen weiteren Menschen, die für Hitler »lebensunwerte Untermenschen« waren, wie zum Beispiel geistig Behinderten, den Tod. Viele der Intellektuellen und Eliten dieser Zeit haben Hitler und seine Organisationen gewähren lassen, nicht zuletzt mit der Hoffnung, dass diese (also eben die anderen, weil man es selbst nicht will) im Land aufräumen würden und wenn sie dann ihre Schuldigkeit getan haben, man dann die Macht ja wieder an sich nehmen könne. Ein (bequemes und in der Folge grausames) Kalkül, das so nicht aufging.
Was resultiert daraus für uns? Erstens: dass einfach nur Werbung abzulehnen, nicht weiterhilft. Zumal die Ablehnung auf der Seite der AfD nur dazu führt, dass ihre Vertreter sich bestätigt sehen in ihrer Argumentation gegen die »Lügenpresse« und diese Bestätigung sie nur stärker machen würde. Zweitens: Wir haben für uns beschlossen, dass wir – ungeachtet dessen – als Unternehmen eine Haltung haben können. Und diese Haltung sagt: Wir wollen mit dieser Partei kein Geld verdienen und werden deshalb die Einnahmen spenden – in Projekte gegen Rassismus, gegen das Vergessen des Holocausts und für die Integration von Geflüchteten. Drittens: Wir werden uns an allen Ecken, wo wir es können, für einen respektvollen Umgang zwischen den Menschen einsetzen und für ein differenziertes Denken, das stattfinden darf, ohne dass die Schublade winkt, bevor jemand ausgesprochen hat. Und wir werden alles andere deutlich benennen, selbst wenn es in unserer eigenen Zeitung stattfindet, und uns in dieser Hinsicht konfrontieren lassen.
Zum Schluss möchten wir an dieser Stelle Helmut Schmidt zitieren: »Demokratie besteht aus Debatte und anschließender Entscheidung auf Grund dieser Debatte.«
Lassen Sie uns gerne debattieren über das, was uns bewegt, und den Mut haben, dies nie aufzuhören. Und überlegen Sie gerne, was Sie selbst tun wollen für den Erhalt dieser Demokratie und dafür, dass wir in eine menschenfreundliche und lebenswerte Zukunft kommen.
Schöne Woche und bleiben Sie uns gewogen, auch wenn wir manchmal anderer Meinung sind
Carmen Frese-Kroll, Verlegerin
Anatol Hennig, Herausgeber
Oliver Fiedler, Chefredakteur
- Verlag Singener Wochenblatt
Autor:Redaktion aus Singen |
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