Schulen im Landkreis werden am Freitag wohl wieder schließen müssen
Soziales Lernen kann nicht nachgeholt werden

Schule Zu | Foto: Bis solche ungbeschwerten Szenen sich wieder an den Schulen im Landkreis abspielen, dürfte wohl noch einige Zeit vergehen. swb-Bild: Adobe Stock
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Kreis Konstanz/ Singen/ Radolfzell. Die Freude über eine schrittweise Rückkehr in die Schulen nach den Osterferien währte leider nur kurz. Durch die neue »Bundesnotbremse«, die am Samstag in Kraft getreten ist, wurde der Inzidenzwert, bei dem Schulen und Kitas schließen und auf Fernunterricht wie Notbetrieb umstellen müssen, auf 165 gesenkt, was leider für den Landkreis Konstanz bedeutet, dass dort ab Freitag voraussichtlich die Türen wieder zu gehen müssen.
Schon am Sonntag hatte der Landkreis die kritische Marke mit 184,8 überschritten, am Montag kam er mit 191,8 sogar gefährlich nahe an die 200er-Marke, was nochmals verschärfte Einschränkungen bedeutet hätte, sank aber am Dienstag wieder auf 170,1.

Schon am Montag mussten die erneuten Schulschließungen vorbereitet werden, was die SchülerInnen, LehrerInnen wie die Familien aus ganz verschiedenen Blickwinkeln nochmals stark belastet. Erst wenn die Marke von 165 für fünf Tage in Folge unterschritten würde, können die Schulen dann wieder in die Präsenz wechseln. Stand Dienstagnachmittag rechnet auch das Landratsamt Konstanz damit, dass die Schulen ab Freitag wieder geschlossen bleiben müssen.

Die Schulleitungen mahnen klar, dass es um viel mehr geht, als nur zwischen Präsenz- und Fernunterricht zu wechseln, nämlich dass die Defizite in der Entwicklung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eben nicht wie Lerninhalte nachgeholt werden können, sondern fehlen. Auch im Hegau hat sich inzwischen eine Initiative gebildet die für die Petition eines »Corona-Aufholjahrs« für die Gymnasien eintritt, um damit die Gelegenheit zu bieten, Rückstände aus diesem Corona-Jahr wieder aufholen zu können. Schüler der 5. bis 10. Klassen zum Beispiel waren erst letzte Woche erstmals in diesem Jahr wieder persönlich in die Schule zum Wechselunterricht zurückgekehrt und waren nur wenige Tage in der Schule.

Die Schulleiter sehen die Jugendlichen als die Verlierer des ständigen Auf-und-zu der Schulen. Lernrückstände könne man angehen, was am sozialen Miteinander fehlt, eben nicht.

Wechselvoll für Grundschüler

Es ist bislang ein sehr wechselvolles Jahr zum Beispiel für die Grundschüler: »Wir hatten hoffnungsvoll nach den Sommerferien angefangen, jetzt ist es der vierte Wechsel zwischen Präsenz, Wechselunterricht und Fernunterricht und der Notbetreuung«, sagt Anja Claßen, Rektorin der Singener Waldeck-Schule und Geschäftsführende Schulleiterin der Singener Schulen. »Gerade die Grundschüler brauchen Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit, die brauchen Strukturen, deren Vermittlung ja eine der Aufgaben der Schule ist. Das erleben sie in der Zeit ständiger Wechsel überhaupt nicht, obwohl es für sie wichtig wäre«, so Claßen im Gespräch mit dem Wochenblatt. Die Schulen haben sich mächtig ins Zeug gelegt, bieten digitale Klassenzimmer, Kinder werden auch über Notbetrieb hinaus in die Schule einbestellt, wenn Lernrückstände spürbar werden, auch die Schulsozialarbeiter halten mit viel Aufwand Kontakt. »Viele Kinder können flüssig arbeiten, manche aber nicht«, sagt Anja Claßen. »Wir sehen auch, dass viele Kinder das Lernen zu Hause ernsthaft und toll hinbekommen. Aber die Schule lebt einfach auch mit dem sozialen Lernen und es ist sehr stark spürbar, wie sehr das den Kindern fehlt. Es gehe längst nicht nur um »Freunde«, sondern ja auch darum, zum Beispiel Konflikte zu lösen, auch Streit schlichten gehört zum Lernen mit dazu.

Im Stich gelassen

»Die Jugendlichen fühlen sich immer mehr im Stich gelassen«, bringt es Sabine Beck, Leiterin des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums, auf den Punkt. Die Unter- und Mittelstufe war bis zur letzten Woche seit Weihnachten nicht mehr in der Schule und nur im digitalen Klassenzimmer zu Gast. Dass es da ziemliche Ermüdungserscheinungen gibt, kann sie nachvollziehen. »Diese Tage haben keine Höhepunkte, den Schülern wird die Motivation durch das Alleine-lernen-müssen genommen. Schon deshalb, weil die Tage durch den fehlenden Wechsel von daheim und Schule keine Struktur haben. Da spüre ich Prozesse, die mir Sorge bereiten, denn da sind wir nicht weit weg von Depressionen«, macht sie klar. »Die Schule ist ein Sparring-Platz, diese Rolle kann sie seit Monaten nicht mehr einnehmen.« Man könne sich ja nur noch mit wenigen Freunden treffen, der Rahmen, der sonst in der Schule durch Rivalitäten gegeben ist, fehlt und macht das Leben auch eintönig. Dagegen würden auch keine Nachhilfeprogramme helfen.

Nie in Quarantäne

Das Friedrich-Hecker-Gymnasium Radolfzell gehört wohl zu den wenigen Schulen in Baden-Württemberg, die seit Beginn der Pandemie noch nie eine Klasse in Quarantäne schicken mussten. Trotzdem betont Schulleiterin Ulrike Heller im Gespräch mit dem Wochenblatt: »Mir tun die Schülerinnen und Schüler leid.« Denn kaum durften die Klassen 5 bis 10 wieder mit dem Wechselunterricht starten, droht die nächste Schulschließung. »Die SchülerInnen hatten sich sehr darauf gefreut, wieder an die Schule kommen zu dürfen. Das hat man deutlich gemerkt«, betont Heller. Zudem sei es wichtig, im Präsenzunterricht eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass das, was im Fernunterricht geleistet wurde, auch fruchtet.
Als »Katastrophe« bezeichnet Heller den Fernunterricht für solche Kinder, denen es ohnehin schwerfällt selbständig zu arbeiten und die auch keine Chance auf Unterstützung aus der eigenen Familie haben. »Eine Lösung wären massive Förderprogramme in Kleingruppen. Dazu müssten aber viele Lehrer eingestellt werden und das Land müsste dafür viel Geld investieren«, betont Heller.

Tests bringen etwas

Letzte Woche sollte durch eine ausgeweitete Teststrategie für mehr Sicherheit gesorgt werden. An der Singener Waldeck-Schule waren es in dieser Woche 510 Tests. Einer war positiv und das gleich am ersten Tag. »Was wäre gewesen, wenn das Kind die ganze Woche noch in die Schule gekommen wäre, weil es symptomfrei gewesen ist?«, fragt Schulleiterin Anja Claßen. Viele Eltern übten gegenüber dem Wochenblatt Kritik an der Praxis vieler Schulen, die Tests zusammen im Klassenzimmer vorzunehmen. Wenn SchülerInnen mit positivem Ergebnis die Klasse verlassen müssten, verstoße das gegen Datenschutz, so ein Argument. »Wir sehen es als Möglichkeit, darüber mit dem Lehrer zu reden«, sagt Sabine Beck. »Was denken Sie, wie schnell es in sozialen Netzwerken rumgehen würde, wenn Schüler deshalb nicht zur Schule kommen würden.«

Corona-Aufholjahr

Ein »Corona-Ausgleichsjahr« zum Beispiel für Lernende in den Gymnasien wird von Eltern vehement ins Spiel gebracht. Landesweit wurde eine Petition für ein freiwilliges »Corona-Aufholjahr« gestartet, für die Schüler, die sich im Rückstand fühlen. Auch Eltern aus dem Hegau streuen den Link, um Mitstreiter zu finden.
Mehr unter www.openpetition.de/petition/blog/corona-aufholjahr-im-g9-modus-zur-rettung-der-bildungsqualitaet
Auch Schulleiterin Sabine Beck hat solch ein Gelenkjahr schon früher in die Diskussion gebracht und Ulrike Heller steht ebenfalls hinter der Idee.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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