Ohne Journalismus und Pressevielfalt keine Demokratie

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»Wer in der Öffentlichkeit die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeiten oder Maßnahmen herabwürdigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.«

Dieser Paragraph 220 kommt aus dem Strafgesetz der DDR und ist im Jahr 1977 eingeführt worden. So wurde in der DDR dafür gesorgt, dass es nur noch eine Meinung zu geben hatte: Die der Regierenden, Pressefreiheit war da nicht mehr möglich. Der Paragraph wurde zwei Jahre später noch wesentlich ausgeweitet.

Noch weiter zurückgeblickt: Im Januar 1934 ließ Adolf Hitler das Schriftleitergesetz in Kraft treten. Inhalt: »Die im Hauptberuf oder auf Grund der Bestellung zum Hauptschriftleiter ausgeübte Mitwirkung an der Gestaltung des geistigen Inhalts der im Reichsgebiet herausgegebenen Zeitungen und politischen Zeitschriften durch Wort, Nachricht oder Bild ist eine in ihren beruflichen Pflichten und Rechten vom Staat durch dieses Gesetz geregelte öffentliche Aufgabe…« Im Klartext: der Staat bestimmte, was veröffentlicht wurde, indem er die, die schreiben, unter staatliche Kontrolle stellte und so 1.300 Journalisten ihrer Funktion beraubte.

Heute in Deutschland gilt (und in der Bundesrepublik seit Veröffentlichung des Grundgesetzes): »Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten .... Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.
Eine Zensur findet nicht statt.«

Nicht legal sind Gewalt anzudrohen, zum Hass gegenüber anderen Menschen aufzurufen, Beleidigungen oder bewusst falsche Tatsachenbehauptungen - all das wird aber auf den »Social Media-Kanälen« nicht konsequent geahndet.

Das heißt: Die Väter des Grundgesetzes haben eigentlich genau überlegt, was es braucht, dass die Medien eine Säule der Demokratie sind und dass diese Medien ihre Macht nicht missbrauchen können, sie hatten vor allem gelernt: Der Bevölkerung die Freiheit zu nehmen geht nur, wenn man vorher die Medien entmachtet. Mit »Social Media« haben die Väter des Grundgesetzes allerdings nicht gerechnet.

Den Medien (und damit meine ich nicht die »sozialen« Medien, sondern die klassischen) kommt in Demokratien die Position des Systemerhalters zu, im wahrsten Sinne des Wortes. Oder wie es in diesen Tagen das Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund schreibt: »Journalismus ist systemrelevant, und zwar auf fundamentale Weise. Ohne freie, unabhängige, professionelle Medien verlieren Gesellschaften in weiten Teilen die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung… …Gesellschaften sind dann staatlicher Propaganda, Public Relations und den wüsten Lärmspiralen der Sozialen Medien schutzlos ausgeliefert. Wenn der unabhängige Journalismus stirbt, dann stirbt die Demokratie. Beispiele dafür gibt es weltweit reichlich.« Zitatende.

Lange Jahre war der unabhängige Journalismus im Prinzip ungefährdet, bis auf Momente wie die Spiegelaffäre, die aber immer zeitlich begrenzt waren.

Heute ist der unabhängige Journalismus tatsächlich gefährdet, existentiell sogar, was die Coronakrise beschleunigt hat: Weil es nichts mehr zu berichten gibt? Nein, es gibt sehr viel zu berichten und in Coronazeiten noch mehr. Journalisten haben mehr Arbeit als in den letzten Jahren, und gerade die Einordnung dessen, was derzeit alles gesagt, gemeint, gepostet wird, fordert viel Zeit. Aber viele Einnahmen der nicht GEZ-gestützten Medien bleiben aus, weil Großteile der Werbeeinnahmen weg sind: Keine Veranstaltungen, ganze Branchen wie die stationäre Möbelbranche oder Bekleidungshandel zeitweise stillgelegt, Einstellungsstopps und damit weniger Stellenanzeigen. Eine immer teurere Logistik und horrende Ausgaben für Digitalisierung und Bürokratisierung, denen nicht ansatzweise ausgleichende Einnahmen entgegenstehen, haben schon vorher für einen beispiellosen Konzentrationsprozess gesorgt und damit dafür, dass lokale Pressevielfalt zum Beispiel nur noch in sehr wenigen Regionen vorhanden ist - ein Trauerspiel.

Und ja, hier spielt Social Media eine Rolle: Die Meinungsfreiheit ist dank Social Media mittlerweile für den einzelnen in der Gesellschaft nicht nur garantiert, sondern jeder einzelne kann über Facebook, Twitter und Co. auch seine Meinung und Inhalte von anderen Quellen auf Knopfdruck weltweit verbreiten und beliebig verändern, manipulieren und interpretieren, kann sogar meistens ungestraft haten, beleidigen und falsche Tatsachenbehauptungen in die Welt setzen. Jeder kann jetzt Dinge behaupten, die nicht mehr überprüfbar sind, schon deshalb, weil es zu viele Behauptungen sind, die kursieren. Die Meinungsfreiheit für alle ist zum Alptraum gewachsen, der uns in diesen Zeiten orientierungslos und verunsichert zurücklässt.

Die Inhalte von Russia Today und von chinesischen Propagandaorganen kommen auf unzähligen Whatsapp-Accounts oder auf Telegram an, die Verursacher freut es, sie produzieren diese Inhalte bewusst, und führen ihren Krieg mit Worten und bewegten Bildern statt mit Bomben und Fliegern, die Corona-Unsicherheit ist hier zum willkommenen Schlachtfeld geworden.

Jeder, auch der Politiker, ist sein eigener »Nachrichtenverbreiter« geworden, ungefiltert, so ist es manchen Politikerinnen und Politikern wohl auch lieber – der eigene Videokanal muss es mindestens sein. Verständlicherweise übrigens – man will ja gehört und gesehen werden und muss sich gegen den steten Lärmpegel auf Social Media durchsetzen, der sich gleich einem Schwall über uns alle ergießt, und der uns letztlich auch oft davon abhält, zu denken. Wer immer schaut, was es neues in seiner Timeline gibt, ob er auch ja selbst genug Likes bekommt und sich in seiner Filterblase bestätigt sieht, wird keine Zeit mehr zum denken haben. Brot und Spiele auf neue Weise.

Die klassischen Medien sind in diesen Zeiten für viele zum Prellbock geworden. Ich glaube, weil es die meisten von uns auch nicht mehr gewohnt sind, mit Meinungen und Sichtweisen konfrontiert zu werden, die uns manchmal aufhalten, innehalten und nachdenken lassen müssten, aber die wir gerade so eben nicht wollen.

Da wird von Lügenpresse gesprochen, ohne zu erkennen, dass die klassischen Medien etwas unterliegen, was in »Social Media« schon alleine aufgrund der schieren Menge an Posts unmöglich ist, noch anzuwenden: Die klassischen Medien wie das WOCHENBLATT unterliegen dem Presserecht, haben eine Impressumspflicht und im Landespressegesetz ist klar geregelt, dass ein von einem Artikel direkt Betroffener immer die Möglichkeit hat, zu widersprechen, wenn falsche Tatsachenbehauptungen veröffentlicht wurden oder er oder sie falsch zitiert wurden.

In Youtubefilmen kann man derzeit hören, dass die klassischen Medien Pressemitteilungen der Behörden ja veröffentlichen müssten. An dieser Stelle: Klares nein. Sie tun es, wenn sie der Auffassung sind, dass es verantwortungsvoll ist, es zu tun. Müssen tun klassische Medien gar nichts, außer in einer freien Marktwirtschaft ein Finanzierungsmodell zu finden, was angesichts der Vormachtstellung von Facebook und Google immer schwieriger ist, wenn nicht langsam unmöglich wird. Zumal immer mehr Geschäftsmodelle wie Pilze im feuchten Herbst aus dem Boden sprießen, deren Initiatoren es sich allzu einfach machen: Sie bieten Unternehmen kostenlose Werbung, Teil- und Repostdienste UND den Lesern PR-Inhalte kostenlos an, schmeicheln sich bei den Unternehmen so ein, bieten dahinter bezahlte Dienstleistungen an und umschiffen so den Wert, den Medien wie das WOCHENBLATT und viele andere klassische Medien wie Tageszeitungen, Rundfunksender etc. in die demokratische Gesellschaft einbringen: Den Wert, den der Journalismus in unsere Gesellschaft bringt.

Die klassischen Medien und damit der unabhängige Journalismus, ist nicht deshalb demokratieerhaltend, weil er so toll berichtet oder weil er irgendjemand nach dem Mund schreibt, irgendetwas repostet oder Schlagzeilen entwickelt, die nur mehr geklickt werden sollen, sondern deshalb, weil hier mit Erfahrung und Verantwortung und nie mit der Auffassung, dass es nur eine Sichtweise geben kann, recherchiert, geordnet, hinterfragt, verworfen, kritisch betrachtet, neu geordnet, zum Schluss veröffentlicht wird. Ein intensiver Prozess...

Die Redakteurinnen und Redakteure des WOCHENBLATTs sind in ihrer journalistischen Tätigkeit nicht der verlängerte Arm von Pressestellen, auch wenn sie viele Presseinformationen veröffentlichen oder zitieren.

Viele reden immer vom Wunsch nach einer objektiven oder neutralen Berichterstattung. Die gibt es nicht. Die, die davon reden, meinen eigentlich eher: Eine Berichterstattung in ihrem Sinne. Das ist aber nicht Aufgabe von Journalisten und Journalistinnen in der journalistischen Berichterstattung.

Das ist Aufgabe von bezahlter PR und bezahlter Werbung, und die gibt es im WOCHENBLATT auch, das ist unser zweiter Auftrag: Zielgerichtete Kommunikation in der Region für die Wirtschaft. Wir machen erkenntlich, wo es um bezahlten Inhalt geht. Dafür gibt es im Haus eine klare Richtlinie. Bezahlter Inhalt finanziert, dass wir für Sie jede Woche in nahezu jedem Haushalt journalistisch da sein können.

So bieten wir fundierten Journalismus für alle, weil wir glauben, dass Pressefreiheit für alle da sein sollte und nicht nur für einen Teil. Das WOCHENBLATT sorgt für eine informierte Bürgergesellschaft vor Ort. Das prägt uns seit der Gründung des Verlags durch Hans-Joachim Frese.

Selbstverständlich, wissen wir jetzt seit Corona, ist es nicht, dass dieser Journalismus für alle finanzierbar ist.

Die ersten unserer Kollegenzeitungen haben in den letzten Wochen Auflagen reduziert, Erscheinungstermine eingestellt oder sogar ganz aufgegeben. Ende oder Einschränkung der Pressefunktion durch wirtschaftliche oder wirtschaftspolitische? Rahmenbedingungen.

Journalist zu sein, ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf, vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Leserinnen und Leser heute einen Text nicht mehr von Anfang bis Ende lesen, sondern viele nicht viel mehr wahrnehmen als die Überschrift. Das war ein versteckter Appell an Sie, liebe Leserinnen und Leser, Texte auch bis zu Ende zu lesen, weil sie sonst eben nicht mitbekommen, was der Journalist mitteilen wollte.

Journalisten sind Spezialisten, Spezialisten des Wortes, des Bildes und der Wahrnehmung, was gerade passiert. Und sie sind, auch das muss einmal klar sein: Keine Virologen, Wirtschaftswissenschaftler, Politologen und Verwaltungswissenschaftler gleichzeitig. Sie sind eher die Allgemeingebildeten, und das ist gerade im Lokaljournalismus auch das richtige.

Ich persönlich glaube, es ist gut, wenn diskutiert wird und ich glaube, wir werden auch diskutieren müssen, was unseren politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und medizinischen Umgang mit Corona angeht.

Die klassischen Medien müssen Fragen stellen, wenn sie es dann noch können, auch unbequeme Fragen wie die, ob den älteren Menschen wirklich die gesundheitliche Sicherheit gerade wichtiger ist als der Kontakt mit anderen Menschen UND welche menschlichen (und gesundheitlichen) Folgen der Lockdown haben wird UND ob die Renten sicher bleiben UND ob die ganzen Maßnahmen eine Katastrophe weltweit verhindern, die beispiellos in der Geschichte wäre und viele von uns vielleicht einfach nicht verstehen, dass die Todes-Zahlen wegen des Lockdowns so harmlos sind UND wie es gehen kann, dass wir wieder unsere Freiheit zurückbekommen ODER ob wir vielleicht unsere individuelle Freiheit in Teilen sowieso gegen eine ganz andere Definition von gemeinsamer Verantwortung für die Gesellschaft, die wir alle sind, eintauschen müssen.

Die klassischen Medien werden gebraucht werden, wenn wir jetzt die Welt nach Corona anfangen zu gestalten.

Dem stellen wir uns im Verlag und werden uns noch mehr stellen müssen. Das wird nicht einfach, weil es schon alleine schwierig ist, zu bewerten und zu sortieren, was wie relevant ist und was verantwortungsbewusst veröffentlicht werden kann und weil wir nicht wissen, wie lange wir überhaupt unsere Pressefreiheit für Sie alle leben können unter diesen Bedingungen.

Aber ich möchte mich vor allem bei Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, unseren Geschäftspartnern und anderen Multiplikatoren in dieser wundervollen Region dafür bedanken, die Sie uns in diesen Zeiten als Kombination aus journalistischem kritischem lokalem Medium für alle und wirksamem Kommunikator für Werbeinhalte die Treue halten, unsere Leistungen abrufen und uns konfrontieren.

Das fühlen ganz viele im WOCHENBLATT-Team als starke Verantwortung – jetzt – und für die Zukunft – für eine freie Gesellschaft und eine Region, in der wir heute und morgen gerne leben wollen – auch nach Corona.

Jetzt habe ich das geschrieben, was für unsere Redaktion, zu der ich nicht gehöre, ein Riemen ist, ein allzulanger Text. Ich danke Ihnen fürs Durchhalten.

Und wünsche mir vor allem, dass die Presse, die unabhängigen journalistischen Medien, in diesen Zeiten bestehen bleiben – und nicht aus wirtschaftlichen Gründen oder weil sie sich mangels Haltung gar selbst ad absurdum führen, die Coronakrise nicht überstehen.

Die Demokratie hat guten Journalismus verdient, nein: Sie braucht ihn wie die Luft zum Atmen. Vielleicht in Coronazeiten genau das richtige Bild.

Autor:

Anatol Hennig aus Singen

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