Was die Menschen im Europawahlkampf bewegt
"Ein schwieriger Weg, auf den wir alle mitnehmen möchten"
Kreis Konstanz. Europa ist für viele BürgerInnen auch hier in der Region kein Fremdwort. Welche Themen möchten sie im Wahlvorfeld wirklich ansprechen und wie können Sie für Europa begeistert werden? Unter anderem hierüber hat sich das WOCHENBLATT mit drei KandidatInnen zur Europawahl unterhalten.
Hierbei stellt sich eine Sache schon zu Beginn deutlich heraus, und zwar das große Interesse junger BürgerInnen an Europa, wie die SPD-Kandidatin Vivien Costanzo verrät. "Viele aus der jüngeren Bevölkerung sind sehr politisiert und wollen Europa sowie deren Privilegien schützen." Sie haben ihr zufolge einen ganz anderen Zugang zur EU. Ähnliches kann auch der CDU-Abgeordnete des EU-Parlaments, Andreas Schwab erzählen, so hätten ihm viele jüngeren Menschen schon gesagt, dass man von der EU im Entscheidungsfindungsprozess eher weniger mitbekäme.
Gerade bei der jüngeren Generation, von der ein Großteil in diesem Jahr zum ersten Mal wahlberechtigt ist, soll die Informierung an Schulen ganz oben stehen, wie die Lea Banger, Kandidatin des FDP-Kreisverbands Konstanz, erzählt: "In meiner Schulzeit haben wir nichts groß darüber gelernt." Für sie werde es dann gefährlich, wenn die Familien den Vermittlungspart übernehmen müssen. "In Familien, wo dann generell nicht gewählt wird, wählen dann auch die Kinder nicht." Die vielen Anfragen jedoch, welche sie von Schulen für Podiumsdiskussionen erhalte, zeigen, dass sich dort damit auseinandergesetzt werde. "Die jungen Menschen denken viel positiver über Europa als die älteren", so Andreas Schwab.
Themenvielfalt bei den BürgerInnen
Wie auch Schwab betitelten bei Vivien Costanzo viele Menschen im Wahlkampf die wirtschaftliche Abhängigkeit von der EU als wichtigen Aspekt, hänge doch jeder fünfte Job hiervon ab. "Diese Dinge werden im Alltag vielleicht nicht so stark wahrgenommen", betont Andreas Schwab. Wenn man sie aber darauf hinweise, käme man der Sache mehr auf den Grund.
Ein Thema, welches sich neben der Demokratie bei allen drei KandidatInnen wiederfindet, ist die Außenpolitik. "Schon bei einem Schulbesuch habe ich hierzu die meisten Fragen erhalten", gesteht Lea Banger. Vor allem in konfliktreichen Zeiten wie diesen sehen es viele Menschen als besonders wichtig an. Darüber hinaus gebe es aber auch viele Dinge, welche die Leute mit Europa und der EU verbinden, wie Andreas Schwab verrät.
So sei es bei der jüngeren Generation vor allem die Schul- und Auslandsaufenthalte sowie die kulinarischen Aspekte. "Es ist allgemein diese Vielfalt, welche Europa im Verhältnis zu anderen Regionen unglaublich anziehend macht." Dies werde ihm zufolge oft unterschätzt. "SchülerInnen sind auch oft mit der Frage nach der eigenen beruflichen Zukunft sowie der Frage, wie die Welt in Frieden und biologisch-ökologischem Gleichgewicht gehalten werden kann, beschäftigt", so Schwab weiter. Hier habe die EU viel getan, jedoch auch einen Ehrgeiz an den Tag gelegt, der nicht genug erklärt wurde. "Zudem sind die brisanten Themen je nach EU-Mitgliedsstaat unterschiedlich", erklärt Schwab. "Bei vielen Leuten geht es auch um das große Ganze wie beispielsweise einen funktionierenden, arbeitsfähigen Rechtsstaat", erläutert Vivien Costanzo.
Viel Zeit, um den BürgerInnen diese Vielzahl an Themen zu verdeutlichen, bleibe ihr zufolge jedoch nicht. "Bei gut 30 Sitzungswochen bleibt da nicht viel Zeit, um seinen Wahlkreis abzudecken, welcher bei der Europawahl ja viel größer ist als bei der Land- oder Bundestagswahl." Auch Andreas Schwab stoße immer wieder an seine Grenzen. Daher seien für ihn auch Städtepartnerschaften, welche bei jungen Menschen aber immer mehr an Interesse verlieren, enorm wichtig. "Vielleicht brauchen wir den wahren Kontakt, um die unterschiedlichen Probleme in Europa besser verstehen zu können", so Schwab. Hierin müsse man seiner Ansicht nach mehr investieren. "Wir müssen die Jugend dafür sensibilisieren, dass die EU nicht selbstverständlich ist", verdeutlicht auch Vivien Costanzo.
Nutzen der Europawahlen
Was jedoch nützt die Europawahl den BürgerInnen hier im Landkreis? „Wir haben viele Politikfelder, wo hier in der Region europäische Entscheidungen ankommen, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft, dem Obstbau oder der Badewasserqualität“, betont Andreas Schwab. Dies seien für ihn Themen, für die Wahl in einer ökologisch geprägten Region wie dem Landkreis Konstanz umso bedeutender sei, da viele Regeln nur dann umgesetzt werden können, wenn man es europaweit vereinheitliche. Die Nähe zur Schweiz sei dabei nicht ganz lückenfrei. „Die Abstimmung mit den europäischen Nachbarn ist einfacher als mit der Schweiz, was in gewissen Krisensituationen von Vorteil ist“, so Schwab.
„Hier im Dreiländereck leben wir Europa jeden Tag. Europa ist für uns Alltag und ein Privileg: Viele Freiheiten, wie der Schengenraum, hat uns die EU gebracht“, betont Vivien Costanzo. „Als Grenzregion im Herzen der EU haben wir einen besonderen Gestaltungsanspruch auf europäischer Ebene.“ Daher sei ihr nicht nur eine enge Zusammenarbeit mit europäischen Nachbarn wie Frankreich oder Österreich, sondern auch mit der Schweiz, mit der man über den Europäischen Wirtschaftsraum ebenfalls eng verbunden sei, sehr wichtig.
„Es gibt auch viele Projekte, die von der EU gefördert werden, wie Interreg-Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein, welche von 2021 bis 2027 Projekte auch im Bereich Klima am Bodensee unterstützen“, ergänzt Lea Banger. Die EU biete ihr zufolge unter anderem mit der Freizügigkeit im Schengenraum den BürgerInnen im Landkreis Konstanz zahlreiche konkrete Vorteile und Chancen, die oft übersehen werden. „Zudem ist die von der EU geförderte Mobilität innerhalb Europas besonders für Bewohnerinnen und Bewohnern von Grenzregionen wie dem Landkreis Konstanz von unschätzbarem Wert“, ergänzt Lea Banger.
Darüber hinaus seien die EU-Initiativen und -Programme, die Innovation und Unternehmertum fördern, für die Entwicklung des Landkreises Konstanz und seiner Umgebung äußerst wichtig. „Durch Stipendien wie das EXIST-Programm erhalten Start-up-Gründerinnen und -Gründer die Möglichkeit, ihre Ideen in die Realität umzusetzen und zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen“, so Banger. Auch in Sachen Bürokratieabbau, welches in den Kommunen des Landkreises stark diskutiert wird, hat sie eine klare Ansicht. Hierbei setze sie sich für das ‚One in, Two Out‘ Prinzip ein, worin zwei alte Regeln bei Inkrafttreten einer neuen abgeschafft werden sollen. Ihr zufolge biete die Europawahl den BürgerInnen im Landkreis Konstanz die Möglichkeit, sich für ein vereintes Europa einzusetzen und eine klare Richtung für die Zukunft der Europäischen Union zu wählen.
Zusammen die EU verbessern
Vivien Costanzo ist darüber hinaus davon überzeugt, dass die aktuelle Generation die EU verbessern will. „Jedoch müssen wir aktuell wieder eine Diskussion führen, ob wir die EU überhaupt wollen, machen daher einen Schritt zurück.“ Um dies zu ändern und die Menschen für Europa zu begeistern, setzt auch Andreas Schwab stark auf den Aspekt Zusammenhalt. „Vieles wie Meinungsfreiheit, Demokratie oder Gleichstellung wird nur funktionieren, wenn wir es gemeinsam angehen.“ Dies geschickt zu erklären, sei die Aufgabe der EU. Dabei müsse man ihm zufolge aufpassen, dass die BürgerInnen die Abgeordneten nicht als Zentralisten wahrnehmen. „Regeln für alle zu schaffen ist ein schwieriger Weg, auf den wir alle mitnehmen möchten.“
Autor:Philipp Findling aus Singen |
Kommentare