"Zukunft entsteht leise" mit Simon Gröger
„Wir brauchen eine Politik, die Bürgern und Unternehmen zuhört“
Bereits beim Betreten seines Rathauszimmers merkt man Radolfzells Oberbürgermeister Simon Gröger an, wie viele Herausforderungen er derzeit als Stadtoberhaupt zu bewältigen hat. Im Gesprächsverlauf wird deutlich, welche vielfältigen Aufgaben Kommunen bewältigen müssen.
„Wir brauchen eine Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die den Bürgern, aber auch Unternehmen zuhört, um deren Bedürfnisse zu erkennen“, stellt Gröger direkt zu Beginn klar. Die zahlreichen Krisen haben für ihn dazu geführt, dass mittlerweile viele Menschen in der Gesellschaft mit Fragezeichen in die Zukunft blicken. „In dieser Situation sind wir daher alle gefragt“, ist er sich sicher. „In der Politik und auch als Gemeinschaft sollte uns bewusst sind sein, dass jeder seinen Beitrag dazu leisten kann.“ Zudem könne man aus diesen Krisen auch gewisse Lerneffekte mitnehmen. Ein wichtiger Aspekt, unter dem dies aktuell in Radolfzell gut gelinge, sei das dort mit über 300 Vereinen stark ausgeprägte Ehrenamt. „Dieses Engagement zeigt, dass die Menschen in Radolfzell zusammenhalten und wir eine starke Stadtgesellschaft haben.“
Allerdings klagten nicht wenige Vereine in der Region über Nachfolgeprobleme in der Vorstandschaft. Als ehemaliger Vereinsvorstand könne er sehr gut nachvollziehen, wie schwer es sei, Menschen dafür zu finden. „Hier spielt in gewisser Hinsicht auch die Nachwuchsförderung eine große Rolle“, erläutert Gröger. Als positives Beispiel hierfür hob er die Jugendfeuerwehr der Stadt hervor, für die man im vergangenen Jahr 46 Kinder begeistern konnte. Hier wie auch in anderen Vereinen werde die Nachwuchsförderung einfach gebraucht. Zudem habe man vor Kurzem mit dem Fachbereich Partizipation und Integration sowie dem Mehrgenerationenhaus die Ehrenamtsplattform FlexHero auf den Weg gebracht. Vereine haben dort die Möglichkeit, ehrenamtliche Projekte anzulegen und sich dafür Projektion wie Steuerung zu überlegen. „Ich hoffe sehr, dass zukünftig in der ganzen Region das ehrenamtliche Engagement vorangetrieben werden kann“, bekräftigt Gröger.
Der Weg zur Klimaneutralität
Das wahrscheinlich größte Ziel, das Radolfzell in Zukunft anstrebt, ist die eigene Klimaneutralität bis zum Jahr 2035. „Im Jahr 2030 werden wir daher noch auf dem Weg dahin sein“, gesteht Gröger. Hier habe man zum einen ein Klimamobilitätskonzept auf den Weg gebracht, um die klimanachhaltige Mobilität weiter zu verbessern. „Auch die Aspekte Carsharing und Ladeinfrastruktur sind hier große Punkte“, so Gröger. Photovoltaik spiele ebenfalls eine tragende Rolle, so könne man nach dem stetigen Ausbau an öffentlichen Gebäuden bald den Spatenstich zum Solarpark Tenn feiern.
Zudem werde im Gemeinderat aktuell über den Sanierungsfahrplan diskutiert, bei welchem städtische Gebäude dahingehend untersucht und kategorisiert wurden, wo noch Potenziale zur Reduzierung des Energieverbrauchs und CO2-Ausstoß vorhanden sind. „Hierbei haben wir eine finanziell wie auch arbeitstechnisch große Herausforderung vor uns, da wir uns als Stadt durch die hohe Anzahl an Gebäuden entsprechend fordern möchten und dies die nächsten Jahre Schritt für Schritt angehen“, erzählt Simon Gröger. Zudem habe man durch die Stadtwerke einen starken Partner an der Hand, um die kommunale Wärmeplanung umzusetzen und werde in Zukunft in den Ausbau von Fahrradwegen investieren.
„Wir werden die Klimaneutralität nur erreichen, wenn die öffentliche Hand, das Gewerbe aber auch die Privatpersonen mitwirken.“ Hierzu wurde vom Gemeinderat das Projekt „Sonnige Zukunft“ beschlossen. Mit diesem Projekt werden Balkonkraftwerken bezuschusst. 75.000 Euro Fördermittel werden für BürgerInnen bereitgestellt. Mieter erhalten so die Möglichkeit, sich dadurch an CO2-Einsparungen zu beteiligen und zugleich die eigenen Kosten für die Investition zu reduzieren. Langfristig gesehen müsse man sich nicht nur um den Klimaschutz bemühen, sondern stark engagieren, damit die nachfolgenden Generationen nicht die Verlierer sind.
Um diese wie auch andere Ziele zu erreichen, stehe laut Gröger nicht nur die Politik in der Verantwortung. „Letztendlich sind die Personen, die politische Ämter bekleiden, durch die Bürgerschaft gewählt. Daher stehen wir auch als Gemeinschaft und Gesellschaft in der Verantwortung.“ Dabei gebe es für ihn drei Säulen, die eine Verantwortung dafür haben, dass man als Gesellschaft zusammenhalte: Die öffentliche Hand, Menschen, die sich ehrenamtlich wie sozial engagieren und die Kirche.
Verlässlichkeit für die Menschen
„Zudem sollte die Politik nicht nur Wahlversprechen abarbeiten, sondern in gewissen Situationen auch ein offenes Ohr für die Bevölkerung oder entsprechenden Gruppen haben“, stellt Gröger klar. „Wir brauchen auf Bundesebene eine klare Zielrichtung und bessere Struktur, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Wirtschaft verlassen können.“ Hierzu führt er die Erhöhung von Fahrgastzahlen im ÖPNV als Beispiel an. „Wenn wir beispielsweise in Radolfzell den Stadtbus ausbauen möchten, brauchen wir große Finanzmittel.“ Bei solchen, aber auch anderen ambitionierten Zielen müsse neben dem Finanziellen auch die Umsetzbarkeit berücksichtigt werden.
Ein weiterer Punkt, der ihn beschäftige, sei die Wettbewerbssituation von Baden-Württemberg im internationalen Vergleich. „Gerade, wenn sich eine Firma überlegt, in die Schweiz zu gehen, müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir hier und in Deutschland in Bezug auf unserer wirtschaftlichen Stabilität her auch wettbewerbsfähig sind.“ Wenn man zurückblicke, warum man in der Vergangenheit wirtschaftlich erfolgreich war, dann zeige sich, dass man in Baden-Württemberg sehr viel Kompetenz sowie auch einen großen Erfinder- und Innovationsreichtum habe.
„Dieser Vorsprung muss weiterhin bestehen bleiben.“ Als großer Exporteur waren deutsche Firmen in der Technologie, aber auch in der Innovation weit voran. „Dies brauchen wir zwingend, weil wir ohne wirtschaftliche Stärke die sozialen Themen in den nächsten Jahren gar nicht schaffen.“ Hierzu zähle er auch, Grundbedürfnisse wie Wohnen ernsthaft und verantwortungsbewusst zu betrachten, um in den nächsten Jahren auch Wohnraum schaffen zu können.
Bezüglich des Bürokratieabbaus sei für Gröger entscheidend, dass Reformen auch wirklich zu einem Abbau führen und nicht an anderen Stellen mehr werden Aufwand bedeuten. Beim Thema Arbeit habe man aufgrund der geringen Geburtenrate eher das Problem des Fachkräftemangels. „Hier hängt es davon ab, dass auch in Zukunft unsere vielen erfolgreichen Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, gut und erfolgreich arbeiten sowie Arbeits- und Ausbildungsplätze anbieten können.“ In einer Sache ist sich Simon Gröger sicher: „Es liegt viel an den Entscheidungen in der Zukunft, ob sich daraus gewisse Gesellschaftsgruppen als Verlierer sehen.“ Auch bei der Wahrung der Demokratie hat Simon Gröger einen klaren Standpunkt: „Wir müssen die Grundwerte unserer Demokratie aufrechterhalten, damit wir am Ende als Gesellschaft nicht alle Verlierer sind.“
Autor:Philipp Findling aus Singen |
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