Enormer Andrang an 20 Orten
Radolfzell bringt die Kultur für eine Nacht zum Leuchten
Radolfzell. Zum 20. Mal verwandelte sich Radolfzell am Mittwoch, 2. Oktober, in einen Treffpunkt für Kunstschaffende und Kunstinteressierte. An 20 verschiedenen Ausstellungsorten in der historischen Innenstadt wurden die Werke von über 50 Künstlerinnen und Künstlern präsentiert. Von Malerei über Skulpturen bis hin zu Klangkunst und Performances – für jeden Geschmack war etwas dabei, und das Interesse des Publikums war bis spät in die Nacht ungebrochen groß.
Oberbürgermeister Simon Gröger eröffnete die Kulturnacht im Lichthaus Biller in der Löwengasse. Dort wartete die Ausstellung »Rettung der Naturobjekte« von Alexander Weinmann auf die Besucher, die perfekt in das stimmungsvolle Ambiente des Lichthauses integriert war. Begleitet wurde die Eröffnung durch die Musik von Anna Hainmüller.
Die diesjährige Kulturnacht hatte keinen klassischen »Publikumsmagneten« – und das war gerade ihre Stärke. Wo auch immer man hinkam, bildeten sich Gruppen von Kunstinteressierten, die die Gelegenheit nutzten, die Kunstwerke nicht nur zu bewundern, sondern auch über sie zu diskutieren. Die gesamte Innenstadt wurde so zu einem Raum des Austauschs und der Inspiration.
Ein besonderes Highlight war die Installation der Radolfzeller Künstlerin Victoria Graf. Gemeinsam mit Daniel Rahm erschuf sie im Keller der Villa Bosch eine eindrucksvolle Installation mit dem Titel »Ebene«. Diese beschäftigte sich kritisch mit der finanziellen Lage der Kulturförderung und regte die Besucher zum Nachdenken über die Frage an, wie eine lebendige Kulturszene auch in Zukunft erhalten werden kann. In den Ausstellungsräumen spielte der blinde Liedermacher Michael Haaga einfühlsam am Klavier und begeisterte mit seinen gesungenen Balladen.
Ein »Muss« für jeden war der Besuch im Milchwerk und drumherum. Abwechslungsreich und unterhaltsam wurde einiges geboten. Besonders beliebt waren die Tango-Aufführungen von Bailando Tanztraining. Diese Shows wurden insgesamt fünfmal aufgeführt und waren so gut besucht, dass die Sitzplätze immer knapp waren. Viele Zuschauer verfolgten die 20-minütigen Shows begeistert im Stehen.
Zahlreiche Künstler zeigten ihre in den unterschiedlichsten Stilrichtungen geprägten Gemälde. Unterhaltsames boten »Die eleganten Tanten«, die mit Musik und viel Witz das Publikum mit Zeichnungen karikierte. Zudem begeisterten Fotografien, Skulpturen, Filz-Kunstwerke oder einfach nur »Strukturen«. Sehr gut besucht waren »Altersbilder« - eine Aktion des Seniorenrats, der die Frage stellte, wie es sich in der älteren Generation heute so lebt.
Im Münster unserer Lieben Frau erlebten die Gäste in einer der drei Aufführungen Orgelmusik, die durch eine eindrucksvolle Lichtinstallation ergänzt wurde. Die frisch sanierte spätgotische Basilika bot mit ihren mittelalterlichen Spitzbogenfenstern den idealen Rahmen für dieses faszinierende Zusammenspiel aus Klang und Licht. Während die Außenfassade des Münsters bewusst im Dunkeln blieb, strahlten die Fenster in warmen Rottönen.
Auch in der Christuskirche gab es Klangkunst der besonderen Art. Dort lud der aus Pinneberg angereiste Klangvirtuose Holger Mantey zu einer »Musikreise« ein. »Wohin Sie die Reise führen wird, weiß ich auch nicht. Vielleicht ins Nichts, oder ins All«, moderierte er zu Beginn bei seinen insgesamt drei Aufführungen. Rasch entführte er die begeisternden Besucher in der Welt der Klänge, gespielt auf einem melodisch-perkussiven Musikinstrument, dem Hang und einem Handpan, welches er mit verschiedenen Gongs und exzellent gespielten Klavierstücken ergänzte.
Pfarrer Alexander Philipp zeigte sich von der Kulturnacht begeistert. »Seit der Kirchenrenovierung sind wir wieder das zweite Mal dabei«, erzählte er, während er persönlich die zahlreich eintretenden Gäste am Eingang begrüßte und zum Verweilen einlud.
Auch das Carl-Duisberg-Centrum war ein beliebter Anlaufpunkt. Hier wurden die Gemälde von Tanja Stein, Lucie Metz und Miriam Mangold ausgestellt. Das Duo »2 Sam« bot Lyrik und Musik dar, während die Compurama mit historischen Rechenmaschinen Technikgeschichte zum Leben erweckte.
Die 20. Kulturnacht in Radolfzell zeigte eindrucksvoll, wie vielseitig und lebendig die lokale Kunstszene ist. Ob Tanz, Musik, Malerei oder Installation – an diesem Abend wurde die Stadt selbst zur Bühne, auf der sich Kunst und Kultur auf faszinierende Weise entfalteten.
Und so ging die Nacht zu Ende, aber die Gedanken, die sie angestoßen hatte, werden noch lange nachwirken. Denn wie die Künstler Victoria Graf und Daniel Rahm in ihrer Installation fragten: »Wie lässt sich eine lebendige Kulturszene bewahren?« – Vielleicht genau durch solche Nächte.
Autor:Uwe Johnen aus Singen |
Kommentare