Gedenken des Bombenangriffs von Liggeringen
Noch heute Tränen in den Augen

Bis auf den allerletzten Platz war die Liggeringer Torkel zur Gedenkveranstaltung des Bombenangriffs auf den Ort vor genau 80 Jahren besetzt gewesen, sogar die Fenster wurden genutzt um mehr Mengen zu ermöglichen, bei dem spannenden Vortrag zuzuhören. | Foto: Fiedler
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  • Bis auf den allerletzten Platz war die Liggeringer Torkel zur Gedenkveranstaltung des Bombenangriffs auf den Ort vor genau 80 Jahren besetzt gewesen, sogar die Fenster wurden genutzt um mehr Mengen zu ermöglichen, bei dem spannenden Vortrag zuzuhören.
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Radolfzell-Liggeringen. Am 21. Juni 1943 wurde Liggeringen, ein damals rein landwirtschaftlich geprägtes Dorf auf dem Bodanrück, von einem britischen Lancaster-Bomber völlig überraschend angegriffen. Acht Tote, über 20 Verletzte, acht zerstörte Häuser, 25 wurden schwer beschädigt und 50 leicht beschädigt –das war die Bilanz dieses Angriffs von damals. Liggeringen umfasste damals gerade mal 110 Häuser - um die Dimension der Zerstörung aufzuzeigen.
Exakt 80 Jahre später wurde am Mittwochabend an dieses dorfgeschichtlich so einschneidende Ereignis erinnert. Mit einer Gedenkveranstaltung in der Torkel Liggeringen. Schon der gewaltige Zuspruch machte deutlich, wie sehr dieses Ereignis gerade für die älteren Mitbürger noch gegenwärtig ist, denn so manche Träne floss noch an diesem Abend.

In einem Vortrag hatte Prof. Dr. Jürgen Klöckler, stellvertretender Ortsvorsteher und Konstanzer Stadtarchivar, neue Erkenntnisse zur britischen Seite dieses Angriffs präsentiert. Es war gelungen, den Bomberpiloten zu identifizieren und die wahren Hintergründe des Angriffs aufzudecken. Denn es war letztlich ein tragischer Zufall, dass es ausgerechnet Liggeringen getroffen hatte. Der Bomber war schon beim Anflug auf Friedrichshafen, dem eigentlichen Ziel der Aktion, von der Flugabwehr getroffen und beschädigt worden. Der Pilot war auch zu spät für den gemeinsamen Angriff dran gewesen und hatte, um überhaupt wieder zurückkehren zu können, seine Bombenfracht einfach "irgendwo" abgeladen. Mit freilich verheerenden Folgen für das Dorf am Bodanrück, wie im Vortrag auch mit zahlreichen historischen Aufnahmen vom zerstörten Ort dokumentiert wurde. Willi Mautz, der damals als Kind den Angriff erlebte, berichtete als Zeitzeuge, welch schwere Zeiten folgten. Denn der Krieg dauerte ja noch zwei Jahre, und danach herrschte lange große Not, an einen schnellen Wiederaufbau war also gar nicht zu denken gewesen. Die Betroffenen mussten bei anderen Familien unterkommen, was ein wirklicher Akt der Solidarität gewesen sei. Heinz Dieringer (Jahrgang 1927) war für diesen Abend auch als Zeitzeuge angekündigt, konnte aber an dem Abend nicht teilnehmen.

Wie auch Dr. Jürgen Klöckler in seinem Bericht zum Abschluss erzählte, ging der Wiederaufbau noch eine ganze Weile. Weil zum Zeitpunkt des Angriffs die Heuernte im vollen Gange war, seien an der Kirche drei provisorische Feldscheunen errichtet worden, um das Heu und später die weitere Ernte vor der Witterung zu sichern. Laut einem Bericht des damaligen Bezirksamts sei es zumindest gelungen, die beschädigten Gebäude bis zum Winter regendicht zu bekommen, so dass weitere Schäden eingegrenzt werden konnten, und die Häuser auch bewohnbar blieben. Der Wiederaufbau der zerstörten Gebäude zog sich freilich bis in die 1950er Jahre und war eine sehr starke Belastung für die Dorfgemeinschaft.

Ob der Bombenangriff wirklich ein Zufall gewesen sei, wurde in Liggeringen immer wieder hinterfragt. Nach der verlorenen Luftschlacht um England bauten die Alliierten, England und die USA, massiv Bomberflotten auf. Das strategisch wichtige Ziel Friedrichshafen mit seiner Rüstungsindustrie sei insgesamt 11 Mal angeflogen wurden, so Klöckler in seinem Vortrag. Schließlich durchliefen rund 60 Prozent der Panzermotoren die ZF, dort wurde auch ein Radargerät zur Flugabwehr gebaut und die Stadt war auf Platz 10 der "Top Ziele" der Alliierten.

Zur Flugabwehr waren auch bei Liggeringen, damals tituliert als "Kanonenbuckel" beim heutigen Bisongehege Flugabwehrkanonen stationiert gewesen in dieser Phase des Kriegs. "Terror-Bombing" oder "Moral-Bombing" war die Strategie der Briten, die bewusst auch bewohnte Bereiche und Innenstädte angriffen. Doch war der Angriff auf Liggeringen kein wirklicher Teil dieser Strategie, sondern eben ein tragischer Einzelfall.

60 Flugzeuge waren in der Nacht in Südengland gestartet, um Friedrichshafen anzugreifen. Die Flugzeuge, die verteilt in Richtung Bodensee unterwegs waren, sollten sich dann um 2 Uhr Nachts über Espasingen/ Bodman zum "Rendezvous" und gemeinsamen Anflug treffen. 59 Flugzeuge warfen eine Viertelstunde später rund 5.000 Bomben auf die Zeppelinwerke, 44 Menschen kamen dabei ums Leben, auch wenn nur rund 9 Prozent der Bomben das Ziel trafen. Die Flieger flogen danach in Richtung Algerien ab, um den Heimflug über Deutschland und Frankreich zu umgehen. Captain Leonard Cain Slee (1915 - 1979) der Kommandeur des Geschwaders, flog eben jenes 60. Flugzeug, galt als sogenannter "Masterbomber", was auch schon in Städten wie Pforzheim, Magdeburg, Darmstadt oder Potsdam schon mit verheerenden Folgen umgesetzt wurde. Und nun wurde dieser "Masterbomber" der eigentlich aus einer Höhe von rund 8.000 Metern, also hoch über dem Geschwader den Angriff koordinieren sollte, schon beim Anflug über Frankreich von einem Flugabwehrgeschütz getroffen. Eine der vier Motoren zerstört worden, weshalb das Flugzeug schon mit einer halben Stunde Verspätung beim Treffpunkt ankam und dann sei ein weiteres Triebwerk in Brand geraten und die Situation spitzte sich an Bord des Flugzeugs dramatisch zu. Der Anschluss an das Geschwader war trotz des gelöschten Brands laut dem erst jetzt ausfindig gemachten Protokolls nicht mehr möglich, der Weiterflug nach Süden ging nur über die Schweiz als Abkürzung, aber nicht mit den Bomben an Bord, deshalb musste man diese loswerden noch kurz vor der Grenze. Und da lag in der mondhellen Nacht Liggeringen auf dem Bodanrück sozusagen "auf dem Präsentierteller". "Damit sind die Hintergründe für diesen Luftangriff endgültig geklärt", so Dr. Klöcker in seinem Vortrag. Die Theorien, dass sich jemand nicht an die Verdunklungsverordnung gehalten habe und man dadurch auf das Dorf aufmerksam wurde, seien damit auch entkräftet.

Ortsvorsteher Hermann Leiz war froh, diese Veranstaltung in diesem großen Rahmen in der voll besetzten Torkel veranstalten zu können. Mit manchen Theorien, die um dieses tragische Ereignis rankten, habe man so auch aufräumen können, sagte er in seinem Schlusswort. OB Simon Gröger schlug in seiner Begrüßung die Brücke zur Gegenwart. "Das Erinnern und Gedenken an schreckliche Kriegsereignisse wird auch für künftige Generationen stets wichtig bleiben, und alles daran zu setzen, Kriege zu vermeiden", sagte er. Wie zerstörerisch Kriege sich auf die gesamte Bevölkerung eines Landes auswirken, sähe man aktuell sehr deutlich in der Ukraine. "Wir sind sehr betroffen angesichts der Zerstörungen, die dort auch immer wieder die Zivilbevölkerung treffen", so Gröger.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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