WOCHENBLATT-Interview zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen
Jede dritte Frau ist betroffen

Gewaltprävention | Foto: Eva Wernert von der TERRE DES FEMMES Gruppe Radolfzell, Petra Martin-Schweizer, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Annette Oepen vom Diakonischen Werk des evangelischen Kirchenbezirks Konstanz und Anita Maurer von der Beratungsstelle am Gerbe
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Radolfzell. Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Im Gespräch mit dem WOCHENBLATT erklären Eva Wernert von der TERRE DES FEMMES Gruppe Radolfzell und Petra Martin-Schweizer, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, warum das Thema mehr Aufmerksamkeit verdient, was betroffene tun können und welche Aktionen zum 25. November in Radolfzell geplant sind.

WOCHENBLATT: Viele denken, dass das Thema Gewalt gegen Frauen bei uns in Europa heutzutage kein großes Problem mehr ist. Wie stellt sich das für Sie dar?
Eva Wernert: Viele glauben, dass in unserer idyllischen Region am Bodensee so etwas nicht passiert. Realität ist aber, dass es in Konstanz, Singen und Radolfzell jeweils ein Frauen- und Kinderschutzhaus gibt. Diese sind immer voll belegt. Eine EU-weite Erhebung hat ergeben, dass in Deutschland jede dritte Frau in ihrem Leben eine Form von körperlicher- oder sexualisierter Gewalt erfährt. 2018 war das Frauen- und Kinderschutzhaus in Radolfzell im Jahresdurchschnitt zu 86 Prozent beleget. Mehr als 32 Wochen im Jahr war das Haus davon voll-, beziehungsweise überbelegt. Besonders tragisch dabei ist, dass 75 Anfragen auf später vertröstet werden mussten.
WOCHENBLATT: Ist das Problem in allen Gesellschaftsschichten vorhanden?
Petra Martin-Schweizer:
Ja, man kann das nicht fest machen an einer bestimmten Bevölkerungsschicht. Weder an der Nationalität, noch am Bildungsstand. Diese Gewalt kommt in vielen Familien vor.

WOCHENBLATT: Gab es Fälle, die Ihnen als besonders in Erinnerung geblieben sind?
Petra Martin-Schweizer: Ich habe vor kurzem eine Frau, die ich kenne, aus der Polizei kommen sehen. Sie hat mir ihre Verletzungen gezeigt. Das hat mich sehr berührt, weil ich so nah dran war. Ich kenne ihren Mann und hätte das niemals, niemals erwartet. Die Frau hat mir gesagt »Ich ertrage es jetzt schon so lange«.
Eva Wernert: Beim letzten Sommerfest im Frauen- und Kinderschutzhaus kam ich mit einer jungen Frau ins Gespräch. Wir haben erst ein bisschen geplaudert und dann sagte sie: »Ich bin ja erst seit gestern Abend da. Meine Tochter hat es noch gar nicht begriffen. Sie glaubt, wir würden hier am Bodensee Urlaub machen«. Ich habe mich gefragt, wie sie das dem Kind erklären wird, dass das gar kein Urlaub ist.

WOCHENBLATT: Was passiert denn, wenn sich eine Frau entschließt Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Petra Martin-Schweizer: Das Frauenhaus ist die letzte Anlaufstation nach einem langen Leidensweg. Was wir erreichen möchten, ist, dass früher darüber gesprochen wird. Das Hilfetelefon hat deshalb das Motto »Schweigen brechen«. Denn man kann diese Endstufe eventuell verhindern, zum Beispiel, wenn man gut hinhört als Nachbarin oder Bekannte und die Betroffene auch mal anspricht, wenn man das Gefühl hat, da ist etwas nicht in Ordnung.

WOCHENBLATT: Was kann man also konkret tun, wenn einem so etwas auffällt?
Eva Wernert: Die Betroffene vorsichtig ansprechen. Das ist klar. Man kann sie auch darauf hinweisen, dass es solche Anlaufstellen wie das Hilfetelefon gibt.
Petra Martin-Schweizer: Es sind in der Regel Vertrauenspersonen der Frauen und Kinder, die auf Veränderungen aufmerksam werden. Erzieherinnen der Kinder, Verwandte, Lehrerinnen und Lehrer, gerade in solchen Berufen ist es wichtig für das Thema Häusliche Gewalt sensibilisiert zu sein.

WOCHENBLATT: Was setzt sich in Bewegung wenn eine Frau das Hilfetelefon anruft?
Petra Martin-Schweizer: Es gibt dann eine telefonische Beratung. diese steht in vielen Sprachen sieben Tage die Woche, rund um die Uhr zur Verfügung. Sie kann auch die Hilfestellen vor Ort nennen.
Eva Wernert: Wenn eine Frau ins Frauen- und Kinderschutzhaus geht, dann ist das meistens nur eine kurzfristige Anlaufstelle zur Überbrückung. In Radolfzell waren im vergangenen Jahr die Meisten Frauen bis zu einer Woche da. Es gab aber auch zwei Fälle, die länger als sechs Monate da waren. Danach kommen sie entweder in einer eigenen Wohnung oder bei Verwandten unter. Ein Teil der Frauen geht auch wieder zurück.

WOCHENBLATT: Können Sie auch von Erfolgsgeschichten berichten?
Eva Wernert: Ja natürlich. Ebenfalls am Sommerfest habe ich zum Beispiel eine Frau getroffen, die jetzt eine Ausbildung begonnen hat, und die wieder richtig durchgestartet ist. Da gibt es natürlich keine Statistiken drüber, aber wir bekommen natürlich immer wieder sowas mit.
Petra Martin-Schweizer: Eine Erfolgsgeschichte ist es eigentlich schon dann, wenn die Frau in ein gewaltfreies Leben starten kann. Auch wenn sich Gewalt in die Seele brennt und man solche Erfahrungen wohl nie mehr ganz vergisst.

WOCHENBLATT: Immer wieder liest man, dass es auch Männer gibt, die von Häuslicher Gewalt betroffen sind. Bekommen Sie auch da Fälle mit?
Petra Martin-Schweizer: Ja, das ist so. Die Zahl ist natürlich kleiner, sie liegt bei etwa 15 Prozent, wobei man bedenken muss, dass die Dunkelziffer, die schon bei Gewalt gegen Frauen sehr hoch ist, bei Männern noch höher sein dürfte. Es handelt sich aber auch um eine andere Form von Gewalt. Es geht hier eher um psychische Gewalt, wie etwa Kindesentzug. Aber auch hier ist wichtig, dass man sich Hilfe holt.

WOCHENBLATT: Sind zum 25. November Aktionen geplant?
Eva Wernert: Unsere Fahne mit der Aufschrift »Frei leben ohne Gewalt« wird an sechs Orten in Radolfzell für zehn Tage aufgehängt. Dann gibt es eine Filmvorführung am Sonntag, 24. November, um 20 Uhr im Universum-Kino. Gezeigt wird der Film »Female Pleasure«, in dem es darum geht, wie Frauen aus verschiedenen Kulturen ihre Selbstbestimmtheit erkämpfen. Im Bio-Bistro Safran gibt es die Suppen-Aktion, bei der vom 25. bis 30. November von jeder verkauften Suppe zwei Euro an das Frauen- und Kinderschutzhaus geht. Zudem werden zwei Wochen lang Plakate in den Bussen und an verschiedenen Plakatwänden in der Stadt, die auf das Thema aufmerksam machen sollen.

Das Interview führte Dominique Hahn.

Das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr in verschiedenen Sprachen unter 08000 116 016 erreichbar.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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