Die Reisebranche bekam schon im letzten Januar die ersten Corona-Auswirkungen zu spüren/ Ein Rück- und Ausblick
Es ist noch offen, wo die Reise hingeht

Rainer Schey | Foto: Rainer Schey weiß aktuell noch nicht, wie die Zukunft seines Reisebüros aussieht. Von der Politik würde er sich ein genaueres Eingehen auf die Verhältnisse vor Ort wünschen. Doch den Kopf in den Sand stecken will er nicht. swb-Bild: dh
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  • Foto: Rainer Schey weiß aktuell noch nicht, wie die Zukunft seines Reisebüros aussieht. Von der Politik würde er sich ein genaueres Eingehen auf die Verhältnisse vor Ort wünschen. Doch den Kopf in den Sand stecken will er nicht. swb-Bild: dh
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Radolfzell. Ein Jahr Corona hat vielen Geschäftsleuten hart zugesetzt. Einer von ihnen ist Rainer Schey, der noch nicht weiß, wie die ganze Geschichte für sein Reisebüro ausgeht. Im Gespräch mit dem Wochenblatt wagt er einen Rück- und Ausblick.

Ein hartes Jahr liegt hinter dem ganzen Wochenblatt-Land. Viele Menschen hat die Krise hart getroffen, sei es gesundheitlich, psychisch oder wirtschaftlich. In Bezug auf letzteres sind es vor allem diejenigen, die in Branchen tätig sind, in denen es ohne persönlichen Kontakt nicht geht, wie Künstler und Gastronomen, aber auch die Reisebranche ist schwer getroffen. Sie gehörte zudem wohl zu den ersten, die die Auswirkungen zu spüren bekam. So begleitete das Wochenblatt im vergangenen Jahr immer wieder Rainer Schey, den Inhaber des Best-Reisecenters in der Seestraße auf seinem Weg durch das Corona-Jahr. Nun zieht er Bilanz über die letzten Monate.

Arbeit rund um die Uhr

Während in der Region zu Beginn des letzten Jahres noch Normalität herrschte wurde im Reisebüro schon langsam deutlich, was das neue Virus bedeuten könnte. »Im Januar mussten wir Kunden informieren, dass ihre geplante China-Rundreise nicht stattfindet – die Erste von unzähligen Absagen, je weiter das Virus in Richtung Westen kam«, erinnert sich Schey. Dann begannen sich die Ereignisse in dem kleinen Reisebüro, wie auch andernorts zu überschlagen: »In den kommenden Monaten arbeiteten wir bis an den Rand der Erschöpfung. Täglich erwarteten uns in meinem kleinen Reisebüro 600 bis 1.000 E-Mails. Telefonate von morgens bis abends von verunsicherten, hilflosen oder verärgerten Kunden. Teilweise kamen nachts um drei Uhr noch Anrufe. Hinzu kommt, dass sich die Umstände (bis heute) minütlich ändern.«

Koordination von Rückholaktionen

Eigentlich müsste man denken, dass es in den Reisebüros mit Beginn der Krise und damit durch das Aufkommen der ersten Reisebeschränkungen weniger Arbeit gegeben hätte, allerdings ist das genaue Gegenteil der Fall. Unfassbar viele Kunden, die sich über den gesamten Globus verteilten, mussten mit riesigem Aufwand zurückgeholt werden. Einer von Scheys Kunden befand sich bei offiziellem Ausbruch sogar gerade in der chinesischen Provinz Wuhan, dem Ursprungsort des Virus. Der vorletzte »Heimkehrer« kam am 16. April mit dem letzten Regierungs-Flug aus Neuseeland. »Wir wurden in dieser Zeit überrannt, blickten ungläubig auf immer neue Luftraumsperrungen, Grenzschließungen, Hotspots. Wir betreuten unzählige verzweifelte Kunden. Das ging so weit, dass ich selbst keine Zeit mehr für die einfachsten Dinge des täglichen Lebens hatte«, erinnert sich Schey, der damit das Schicksal vieler Geschäftsleute in den letzten Monaten teilen dürfte.

Die Reisebeschränkungen sorgten dafür, dass die Einnahmen im Reisebüro ausblieben. Auf der anderen Seite flossen täglich tausende Euros für stornierte Reisen an die Reiseveranstalter zurück. Eine Doppelbelastung für das kleine Büro. »Da blieben für mich Nervenzusammenbrüche nicht aus«, gesteht Schey. Im Sommer dann der Schock, als in der Stadt plötzlich das Gerücht den Umlauf macht, Schey müsste sein Reisebüro schließen. »Im Nachhinein bin ich fast dankbar dafür, denn nur meine Verärgerung darüber hielt mich davon ab, genau dies zu tun«, erklärt Schey.
Tatsächlich musste er allerdings sein Team zunächst in Kurzarbeit schicken und Ende Juni sogar Kündigungen aussprechen.

Zuspruch und Unterstützung

Auf der anderen Seite stehen aber auch positive Erfahrungen, die er in diesem Jahr machen konnte. »Ich durfte durch einige Stammkunden wunderschöne Erfahrungen machen. Nachfragen per Telefon, Mails oder kurze Besuche zeigen, dass jemand an mich denkt. Das tut gut. Manche halfen sogar mit einer finanziellen Unterstützung. Die Anteilnahme tut gut«, so Schey. Eine ganz besondere Überraschung machte ihm die Dixieland-Band »Die Gluzger« aus Rottenburg am Neckar. Sie haben zusammen mit Schey und ihren Fans in der Vergangenheit viele gemeinsame Musikreisen unternommen, unter anderem in die Jazz-Hauptstadt New-Orleans. Als sie von Scheys Schicksal erfahren haben, sammelten sie für das Reisebüro Spenden und überbrachten diese mit einem kleinen Ständchen vor dem Reisebüro.

Staatliche Hilfen: Tropfen auf den heißen Stein

Natürlich kamen auch staatliche Hilfen an, doch diese seien im Grunde eher der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein gewesen, macht Rainer Schey im Gespräch mit dem Wochenblatt deutlich. Und auch von den weiteren Hilfspaketen verspricht er sich nicht allzu viel. Den Kopf in den Sand stecken will er indes nicht. Sein Reisebüro ist mit leicht eingeschränkten Öffnungszeiten weiterhin geöffnet, denn prinzipiell kann man auch derzeit Reisen buchen und verreisen. »Es gibt einige wenige Ziele, die möglich sind«, so Schey. Ein Hoffnungsschimmer sind für ihn die Impfungen. »Viele sagen mir, sie wollen wieder eine Reise buchen, sobald sie geimpft sind. Aber ich glaube, dass die große Lust auf Reisen nicht vor September einsetzt«, so Schey. Wie die Zukunft bis dahin für sein Büro aussieht, weiß er noch nicht.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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