Abschließender Teil des Sommerinterviews mit Oberbürgermeister Martin Staab
»Die Seetorquerung geht nur noch oben drüber!«
Radolfzell (gü). Im abschließenden Teil des großen Sommerinterviews mit dem WOCHENBLATT sprach Oberbürgermeister Martin Staab über das wohl alles bestimmende Thema vor der Sommerpause im Gemeinderat: die Seetorquerung.
WOCHENBLATT: Nach der Sommerpause soll der Beschluss über die Seetorquerung wiederholt werden. Sie haben deutlich signalisiert, aus dem Vorhaben aussteigen zu wollen, nachdem sie lange ein Befürworter des Vorhabens waren. Warum diese Kehrtwende?
Staab: »Für mich waren zwei Dinge für den Ausstieg maßgeblich: Zum einen, dass der Partner Bahn ausgestiegen ist, nachdem es deutliche Zeichen von Führungskräften der Bahn gab, dass man sich in irgendeiner Form am Vorhaben beteiligen wird. Bei einer nichtöffentlichen Sitzung wurde die Zahl von zwei bis fünf Millionen Euro benannt. Zum anderen habe ich dafür geworben, dass wir das Vorhaben außerhalb des normalen Haushaltes stemmen können. Kein einziger Euro wird abgezogen aus Kindergärten, Schulen oder dem Straßenunterhalt. Sondern wir finanzieren das Projekt aus Grundstückserlösen aus dem Bahnareal und weiteren, die nicht zum Verkauf vorgesehen waren. Aus der Landesförderung, aus der für dieses Projekt zweckgebundenen Rücklage der Stadt und aus den Bahnmitteln. Dafür habe ich geworben. Dieses Wort kann ich nach dem Ausstieg der Bahn nicht mehr halten. Das ist kein Kalkül, ich will zu meinem Wort stehen können. Das Projekt gemeinsam mit der Bahn umzusetzen, wird nicht funktionieren. Wenn man nach zehn Jahren noch keine Baugenehmigung hat und noch nicht alle Verträge unterzeichnet sind, die Finanzierung noch nicht steht, dann muss man erkennen, dass es so nicht funktioniert.«
WOCHENBLATT: Haben Sie sich zu viel Unterstützung von der Bahn versprochen?
Staab: »Es kommt immer darauf an, wie der Partner Bahn das Vorhaben bewertet. Die Bahn verbessert sich durch die gesamten Maßnahmen um etwa 15 Millionen Euro, indem sie eine neue Unterführung und einen neuen Bahnhof in den Büchern stehen hat und indem sie weniger Unterhalt für weniger Gleise bezahlen muss. Also kaufmännisch gerechnet, verbessert sie sich deutlich. Und die Stadt bezahlt das. Wenn der Zustand so bleibt und die Bahn Aufzüge in die alte Unterführung bauen muss, kommen viel höhere Kosten auf sie zu, als wenn sie vier neue Aufzüge an die Seetorquerung dranhängt. Das sind weitere ein bis zwei Millionen Euro, die die Bahn mehr ausgeben muss, wenn sie sich die Barrierefreiheit bei der Variante mit der alten Unterführung entscheidet. Deshalb waren die von mir geforderten zwei bis drei Millionen Euro an Zuschüssen realistisch. Dass die Bahn nicht länger hinter dem Projekt steht, ist ein schlechtes Zeichen.
WOCHENBLATT: Droht der Seetorquerung und dem Vorhaben, einen attraktiveren Seezugang zu schaffen, mit Ihrem Rückzieher das Aus?
Staab: »Der Oberbürgermeister hat auch nur eine von 27 Stimmen im Rat. Zudem muss auch ein OB damit leben, dass der Rat andere Entscheidungen trifft, als er es sich vorstellt. Es gibt sehr wohl die Möglichkeit, das Projekt umzusetzen. Dafür brauchen wir Kostenklarheit und einen neuen Zeitplan. Das Projekt Seetorquerung gab es schon vor meiner Amtszeit. Ich versuche trotzdem, dafür zu werben, dass wir abseits der Bestandsvariante und abseits aller Varianten, die irgendwann einmal vorgeschlagen, aber von der Bahn schon abgelehnt wurden, eine andere Alternative suchen. Ein Aus für die Seetorquerung bedeutet noch lange kein Aus für das Ziel eines attraktiven Seezugangs.
Es muss an dem Ziel festgehalten werden, aber ohne den Partner Bahn. Die Projekte Bahnsteigmodernisierung und Aufzüge muss die Bahn umsetzen, den Seezugang wird die Stadt machen. Man hat versucht mit einem Projekt ganz viele Fragestellungen zu lösen und das hat nicht funktioniert. Es gibt nach wie vor die Lösung mit, oder ohne Bahn sowie unten durch, oder oben drüber. Oben drüber mit der Bahn ist abgelehnt, unten durch mit der Bahn scheint nicht zu funktionieren, unten durch alleine, macht in meinen Augen keinen Sinn. Aus meiner Sicht bleibt nur oben drüber ohne Bahn. Ein attraktiver Seezugang ist nicht nur mit der Unterführung möglich. Lassen Sie uns eine Brücke der Vernunft bauen.«
WOCHENBLATT: Welchen Stellenwert sprechen sie der Seetorquerung nach wie vor zu?
Staab: »Es ist ein zentrales Projekt der Stadtentwicklung, einen attraktiven Seezugang aus der Innenstadt zu schaffen. Das muss oberstes Ziel bleiben. Aber es darf nur die Hälfte kosten, es muss jetzt ohne Bahn funktionieren und geht meines Erachtens nur oben drüber. Das ist meine feste Überzeugung. Und wir brauchen den Seezugang nicht erst in zehn Jahren sondern deutlich früher, ich hoffe schon in vier Jahren.
WOCHENBLATT: Die Diskussion um die Seetorquerung hat auch im Gemeinderat Gräben aufgerissen. Wie wollen sie diese Gräben wieder zuschaufeln?
Staab: »Diese Gräben kann man nur versuchen, in Ordnung zu bringen, wenn man auf alle wesentlichen Punkte eine Antwort findet. Unstrittig war, dass man einen attraktiven Seezugang will. Strittig war hier nur die Ausführung. Wir brauchen jetzt einen Kompromiss, bei dem beide Seiten, Befürworter und Gegner, ihr Gesicht wahren.
Hier bleibt nur unten durch allein, oder oben drüber alleine. Wir dürfen uns jetzt nicht einfach unserem Schicksal unterwerfen und die Hände in den Schoß legen. Vielmehr ist es die Aufgabe eines Oberbürgermeisters und seiner Verwaltung, dem Gemeinderat und der Bürgerschaft gangbare Wege und Lösungen vorzuschlagen.
Es wird von beiden Seiten ganz viele Schritte zurück und ganz viel Einsicht bedürfen, um zu sagen, wenn das Große nicht geht, nehmen wir das Kleine, aber das Gesamtziel erfüllen wir damit. Hier muss die Hälfte der 24 Millionen Euro Kosten ausreichen.«
- Matthias Güntert
Autor:Redaktion aus Singen |
Kommentare