Gespräch mit Navonel Glick im Bürgersaal Wangen
"Wenn Hass beginnt zu wachsen, wird es jeden treffen"

Der israelische Aktivist Navonel Glick (Mitte zwischen Rainer Pohlmann und Anne Overlack) schilderte dem Wangener Publikum exklusive Einblicke in das Geschehen vor und nach dem 7. Oktober in Israel.  | Foto: Philipp Findling
  • Der israelische Aktivist Navonel Glick (Mitte zwischen Rainer Pohlmann und Anne Overlack) schilderte dem Wangener Publikum exklusive Einblicke in das Geschehen vor und nach dem 7. Oktober in Israel.
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Öhningen-Wangen. Seit der Zuspitzung des Konflikts in Israel wurde viel darüber in den Medien berichtet. Wie war es aber nun wirklich vor Ort? Am 13. März berichtete der israelische Entwicklungshelfer und Aktivist Navonel Glick auf Einladung des Freundeskreises Jacob Picard, wie die tragischen Ereignisse des 7. Oktober 2023 und ihre Folgen das Sicherheitsgefühl und den Optimismus von Juden und Israelis auf der ganzen Welt beeinflusst haben.

Das Gespräch, welches gemeinsam mit Anne Overlack und Rainer Pohlmann durchgeführt und auch via Zoom übertragen wurde, fand dabei nicht ohne Grund im Bürgersaal in Wangen statt, so wohnte an diesem Ort der jüdische Dichter Jacob Picard, welcher hier zahlreiche seiner Gedichte über das Leben der Landjuden schrieb und heute eine Gedenkstätte für das Leben im Christlich-Jüdischen Dorf Wangen ist. Lediglich zu Beginn musste Pohlmann als Simultanübersetzer für Glick, der das Gespräch komplett auf Englisch führte, einspringen.

Ziel des Gesprächs war es, besser zu verstehen, was genau in diesen Menschen vorgeht seit dem 7. Oktober 2023. "Für mich ist es ein Privileg, hier zu sein und darüber zu erzählen", verdeutlichte Glick, der derzeit mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Moos lebt, während seine Frau, eine Max Planck Minerva Katastrophenforscherin in Israel, derzeit am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Möggingen forscht. Der in Jerusalem geborene Sohn eines Rabbis und einer Künstlerin leistete unter anderem 15 Jahre lang Entwicklungshilfe in Nepal, hatte selbst eine "glückliche und angstfreie Kindheit". Mit IsraAid hat er zudem Israels größtes Menschenhilfswerk mit aufgebaut.

"Wir haben den Konflikt damals nicht wirklich gespürt", erzählt Navonel Glick aus der Zeit vor dem 7. Oktober 2023. Man habe zu der Zeit ein normales Leben geführt. "Das Land war zu der Zeit gut geschützt." Es gab seiner Ausführung nach immer Menschen, die an den Frieden und Sicherheit glaubten. "Die Proteste gegen die Regierung verlief ebenfalls friedlich, alle kamen für die gemeinsame Sache auf der Straße zusammen."

"Dystopischer Alptraum"

Bis diese Proteste auf einen Schlag stoppten, als Glick mit seiner kleinen Familie nach Jerusalem zurückkehrte. "Wir kamen am Abend vom israelischen Laubhüttenfest Sukkot nach Hause und wurden sehr früh wieder durch Sirenen aufgeweckt." Dies passiere sonst nicht oft, berichete Glick, so werde man sonst nur bei einer Raketenwarnung alarmiert. "Diesmal ging es aber die ganze Zeit so." Man war sich sicher, dass dies nicht lange andauern würde, da die Regierung die Bevölkerung schützen werde.

"Je mehr Sirenen kamen, desto stressiger wurde es für uns", so Glick. Als Jeeps mit Terrroristen durch die Straßen israelischer Städte und Dörfer fuhren, haben er und seine Frau sogar gelacht, da man dachte, dass die Armee schnell da sei. "Schließlich haben wir immer mehr auch in den Nachrichten gesehen, was die Terroristen sogar selbst gefilmt haben", erzählte Navonel Glick. "Die Anspannung wurde von Minute zu Minute schlimmer." Es fühlte sich für ihn an, wie ein "dystopischer Alptraum". Allein an diesem Tag wurden seiner Auskunft nach über 1.200 Menschen auf menschenverachtende Weise ermordet und über 200 Menschen gekidnappt. "Es war ein großer Schock, dass uns auf einmal der Teppich unter den Füßen weggezogen wurde."

Auch nach den Geschehnissen vom 7. Oktober, hätte sich Glick gewünscht, dass die Regierung eine andere Lösung gefunden hätte. "Der Schutzzaun, welchen das Land um Gaza vor 15 Jahren aufgebaut hatte, wurde auf einen Schlag zerlegt." Man lief hierbei in eine Falle eines Feindes, der seine Geisel als Teil einer PR nutzte. Mit diesem Ereignis änderten sich auch die Themen der Proteste, so ging es nun nicht mehr nur um die Zweistaaten-Lösung, sondern um mehr.

Nach den Ereignissen vom 7. Oktober verließ Glick gemeinsam mit seiner kleinen Familie das Land. "Eigentlich fühlten wir uns nie so, das Land verlassen zu wollen." Er wusste dabei selbst nicht mehr, wo lang es gehen solle. "Können wir den Menschen überhaupt noch vertrauen?", fragte er sich des Öfteren. Eine Lösung für den Konflikt habe er selbst nicht, so sei unter anderem die Hisbola aus dem Libanon die weitaus größere Gefahr, wie er nach dem Gespräch gegenüber dem WOCHENBLATT schilderte. Man könne nicht Palästina die Macht entziehen und gleichzeitig versuchen, sie zu unterstützen. "Frieden beginnt damit, zu verstehen, dass es Zuverlässigkeit auf beiden Seiten gibt, welche sich voll und ganz zum Prozess bekennen", verdeutlichte Glick diesen Konflikt.

"Verstehen, was die andere Seite denkt"

"Zuhause", so Navonel Glick, "fühlen wir uns in Israel." Man vermisse die Gemeinschaft und Sicherheit im eigenen Land, so bedrücke es ihn sehr, dass zu dieser Veranstaltung Polizeikräfte anwesend sein müssen. "Es braucht mehr kluge Köpfe, die nuanciert auf die Probleme schauen und das Komplizierte darin erkennen", verdeutlicht er angesprochen auf die Erwartungen an die Zeitgenossen, die mit der Familie leben und sie ein Stück auf ihrem Weg begleiten. "Wir müssen eine breite Perspektive darüber gewinnen, um zu verstehen, was die andere Seite denkt." Denn so viel ist sich Glick sicher: "Wenn Hass beginnt zu wachsen, wird es jeden treffen."

Auch das Leben in Israel selbst, wie er es aus dem eigenen Freundeskreis geschildert bekam, sei nun ein ganz anderes. So sei es schwierig zu entscheiden, ob man wieder in das normale Leben zurückkehren könne oder nicht. "Man überlegt sich mittlerweile zweimal, ob es eine gute Idee ist, in den Club zu gehen, wenn draußen weiterhin Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen oder als Geiseln gehalten werden." Dabei schöpfe er die Hoffnung vor allem aus seinen eigenen Landsleuten, die hoffentlich die Stärke haben, um Dinge wiederaufzubauen. "Wir müssen das tun", bekräftigt Glick. Ein Beispiel für ihn seien die unzähligen Freiwilligen, die nun den Landwirten bei der wenigen Ernte helfen, die nach der Zerstörung israelischer Agrikultur durch die Hamas im Süden noch geblieben ist.

Er selbst verurteile niemanden, der anders über den Konflikt denkt als er. Auch würde er niemals ein Plakat herunternehmen, auf dem das Leiden von Kindern verdeutlicht werde wie es andere auf der Welt mit Postern von gekidnappten israelischen Kindern getan haben. "Es ist jetzt wichtig sowie auch eine Chance, einen Schritt zurückzutreten und anderen gegenüber Toleranz zu zeigen. Nur so erfährt man ein Stück von der Wahrheit."

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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