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Gespräch mit Prof. Oliver Haag: Welcher Lohn ist gerecht?

Zwischen den Geschlechtern gibt es in puncto Bezahlung noch immer Unterschiede - allerdings gestalten sich diese meist umgekehrt, als auf dem Bild dargestellt. | Foto: OlhaRomaniuk - elements.envato.com
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Konstanz. "Gerechtigkeit liegt immer im Auge des Betrachters." - Mit dieser ersten Antwort machte Professor Dr. Oliver Haag, der seit 2010 an der Hochschule Konstanz im Studiengang Wirtschaftsrecht lehrt, klar, wie differenziert die Frage, was denn eigentlich ein gerechter Lohn ist, zu betrachten ist. Eine eindeutige Zahl könne dies nicht beantworten.

Seiner Ansicht nach wurde mit der Tarifautonomie, also dass Arbeitgeber(-verbände) mit Gewerkschaften der Arbeitnehmer über Löhne verhandeln, in Deutschland bereits ein gutes und bewährtes Mittel zwischen beiden Seiten gefunden. "Bislang hat man sich dort immer geeinigt", so Haag, die Lohnzuwächse, denen letztlich immer beide Parteien zustimmen müssten, fielen mal kleiner und mal größer aus. Die Verhandlungen "zwischen zwei ungefähr gleich starken Sozialpartnern" schätzt er dabei als "zielführender" ein, als ein Mitmischen der Politik, welche in diesen Fragen oft auch bereits die nächste Wahl im Sinn habe.

Gesetzlicher Mindestlohn

Der wohl größte Eingriff in die Lohngestaltung ist dabei die Einführung eines Mindestlohns 2015, welcher bis Oktober 2022 nochmals maßgeblich auf 12 Euro erhöht wurde. Nachdem sich die Politik jahrzehntelang aus der Lohnfindung herausgehalten habe, empfinde sie jetzt "gewisse Mindeststandards für zwingend erforderlich, um eine gerechtere Arbeitswelt und Entlohnung zu erreichen."
Während er das durchaus positiv bewertet, gilt das nicht für das weitere Eingreifen des Gesetzgebers. Etwa nenne der aktuelle Vorschlag der Mindestlohnkommission eine Erhöhung um 41 Cent. Dabei kritisiert er: "Die Reflexbewegung aus der Politik war 'Das ist viel zu wenig'". Das stimme zwar aus Sicht der Arbeitnehmer, eine massivere Erhöhung ginge dann jedoch zu Lasten der Unternehmen, die die Lohnsteigerungen bezahlen müssen und letztlich auch zu Lasten der Verbraucher.

Unterschiedliches Lohngefüge

Selbst mit dem deutschlandweit einheitlichen Mindestlohn stelle sich weiterhin die Frage der Gerechtigkeit. "Hier in Konstanz, beziehungsweise in Süddeutschland, ist das sicherlich eine Herausforderung, mit 2.000 Euro brutto im Monat über die Runden zu kommen", stellt Oliver Haag in den Raum, der Mindestlohn spiele hier eigentlich kaum eine Rolle, es werde meist mehr bezahlt. Denn gerade die verschiedenen Lebenshaltungskosten müssten sich seiner Ansicht nach "im Lohngefüge widerspiegeln", worauf er auch "eine gewisse Grenze durch Deutschland zwischen den neuen und den alten Bundesländern" zurückführt. Doch auch andere regionale Faktoren, wie der Bedarf an Arbeitskräften wirkten sich auf die dortige Lohngestaltung aus.
Bei der sehr unterschiedlichen Bezahlung verschiedener Berufsgruppen sieht er definitiv "Auswüchse, die nicht mehr rational zu erklären sind". Dass sich Faktoren wie Verantwortung, Qualifikation und Bildung im Gehalt wiederfinden, zeichne eine freie und soziale Marktwirtschaft zwar aus. Doch würden die Unterschiede "zwischen wirklich gut Verdienenden und den sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen" immer größer. Noch befördert werde das dadurch, dass für über 50 Prozent der Arbeitnehmer keine Tarifbindung bestehe und die Löhne letztlich frei verhandelt werden. Durch diese Differenzen könne unter Umständen auch der soziale Frieden gefährdet werden. Es sei wichtig, "dass die Schere der Lohnungleichheit nicht noch weiter aufgeht, sondern sich eher wieder ein bisschen schließt und sich annähert."

Ungleichheit nicht zu rechtfertigen

Auch zwischen den Geschlechtern sehe er noch eine große Lohnungleichheit. Selbst bei Berücksichtigung höherer Abwesenheitszeiten, wie durch Mutterschutz und Elternzeit, stelle man diese fest. Vonseiten der Politik gebe es durch Gesetze, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, Ansätze, diese "Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts zu verbieten und zu sanktionieren". Das Bundesarbeitsgericht habe Anfang des Jahres 2023 ebenfalls mit einem deutlichen Urteil zur Lohngleichheit beigetragen: Eine Arbeitnehmerin wurde kurz nach einem männlichen Kollegen eingestellt, erhielt jedoch ein geringeres Gehalt, während er sich einen höheren Betrag ausgehandelt hatte. Diesen Unterschied klagte sie ein und bekam recht, so Haag: "Ich kann also nicht mehr, wenn ich gleiche Jobs zu vergeben habe, ungleich bezahlen und das auf das Verhandlungsgeschick der Einzelnen zurückführen."

"Der Lohn an sich ist nicht das Einzige, was für eine Zufriedenheit am Arbeitsplatz sorgt", entwickelt der Konstanzer Professor den Aspekt der Gerechtigkeit noch weiter. Auch "sonstige Arbeitsbestandteile", wie etwa die Work-Life-Balance oder mobiles Arbeiten und Homeoffice sehe er als wichtige Aspekte der Arbeitszufriedenheit. Diese Themen hätten in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen und unterscheiden sich in den Prioritäten stark zwischen den unterschiedlichen Generationen.
Trotz teils großer Ungleichheiten in verschiedenen Bereichen, fällt die Bilanz von Oliver Haag optimistisch aus: "Ich glaube, wir sind unterm Strich immer noch auf einem ganz guten und stabilen Weg."

Zwischen den Geschlechtern gibt es in puncto Bezahlung noch immer Unterschiede - allerdings gestalten sich diese meist umgekehrt, als auf dem Bild dargestellt. | Foto: OlhaRomaniuk - elements.envato.com
Professor Oliver Haag lehrt an der Hochschule Wirtschaftsrecht, unter besonderer Berücksichtigung des Gesellschaftsrechts. Außerdem ist er beratend im Unternehmensrecht tätig.  | Foto: Privat
Autor:

Anja Kurz aus Engen

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