Antworten von den KandidatInnen aus dem Wahlkreis Konstanz-Radolfzell
Wieviel Chancengleichheit wurde durch die Corona-Krise genommen?
Konstanz/ Radolfzell. Die beiden Corona-Lockdowns, die die Politik in dem fast einen Jahr seit den ersten Infektionen mit Covid-19 gesetzt hatte, haben die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht gespalten, wobei es da gar nicht mal darum ging, ob man nun für oder gegen die Maßnahmen war, die da verhängt wurden. Besonders in den Schulen stellte sich angesichts eines überstürzten Starts ins Homeschooling schnell die Frage, weshalb hier nicht alle den gleichen Zugang haben.
In der Wirtschaft gab es Milliarden für Großunternehmen oder die Lufthansa, in der gleichen Zeit mussten Solo-Selbstständige oder Künstler um ihr Überleben kämpfen. Warum dürfen nun Friseurgeschäfte öffnen, während der Schuhladen nebendran zu bleiben muss, obwohl man sich da sicher nicht näher kommt? Auf viele dieser Themen gehen die Kandidaten ein.
Die Frage: „Wurde im Zuge der Corona-Maßnahmen UND -Ausgleichsmaßnahmen die Chancengleichheit nachhaltig gewährt? (Hier darf das erste Wort nur Ja oder Nein sein.) Wenn ja, warum denken Sie das und wie gelingt es hier, die Betroffenen ausreichend mitzunehmen? Wenn nein, wo sehen Sie die größten Mängel in den Maßnahmen und was muss geändert werden?”
Die Antworten der Kandidaten:
Jürgen Keck (FDP): „Nein. Bei den Corona-Maßnahmen war nichts von Chancengleichheit zu sehen, weder zu Beginn, noch aktuell. Der eine darf öffnen, der andere nicht. Bei dem einen sind die hygienischen Schutzmaßnahmen ausreichend, beim nächsten nicht. Während Supermärkte und Discounter fröhlich Blumen, Spielwaren oder Sportartikel neu ins Sortiment aufnehmen, ist der spezialisierte Fachhändler geschlossen. Mit Click and Collect kann er gerade mal – und das auch erst seit dem 8. Januar – einen Minimalumsatz erzielen. Dasselbe gilt für die Ausgleichsmaßnahmen, wenn die versprochenen Finanzhilfen denn überhaupt angekommen sind. Sie sind zu langsam, zu bürokratisch und oft nicht passfähig. Für eine angemessene Berücksichtigung der Selbstständigen mussten wir von der FDP erst kämpfen. Insgesamt war von den bisherigen Corona-Maßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen der grün-schwarzen Landesregierung kaum eine nachvollziehbar. Es ist ersichtlich, dass kein klares Konzept vorliegt.”
Thorsten Otterbach (AfD): „Nein, Einzelhändler, Wirte, Hoteliers und Kulturschaffende sind die großen Verlierer. Das Wochenblatt berichtet regelmäßig darüber. Selbst versprochene Hilfsgelder werden nicht oder Monate zu spät ausgezahlt. Als Unternehmer kann ich nur anmahnen: Unser Staat muss schneller, unbürokratischer und endlich digitalisiert werden. Auch Schüler mit schlechter IT-Ausstattung und lahmem Internetanschluss sind die Verlierer, die Erstklässler ganz besonders. Für Kanzleramtsmitarbeiter wird ein Corona-Bonus in Höhe von € 1,3 Mio. ausgezahlt, während die Putzfrau vom Subunternehmer auf der Corona-Station im Krankenhaus leer ausgeht. Dilettantismus herrscht auch beim Impfen. Weil die Bundesregierung meinte, den Impfstoff über die EU-Bürokratie in Brüssel bestellen zu müssen, sind bei uns erst 3 Prozent der Menschen geimpft. Israel hat 71 Prozent Impfquote, das Entwicklungsland Seychellen mitten im Indischen Ozean beachtliche 49 Prozent. Durch das Impfversagen der Regierung werden wir einige Monate länger im Lockdown sein.”
Nese Erikli (Bündnis 90/Die Grünen): „Ja. Es gibt hier allerdings ein großes ,Aber‘. Die Auszahlung der Corona-Hilfen muss wesentlich schneller und unkomplizierter erfolgen, um eine gewisse Chancengleichheit zu schaffen. Mir ist klar, dass die Absprachen zwischen den zuständigen Bundesministerien komplex sind. Trotzdem muss der Bund hier tätig werden: Die Corona-Hilfen für betroffene Betriebe und Unternehmen müssen wesentlich einfacher zu beantragen sein und schneller ausbezahlt werden. Angesichts der immensen Umsatzeinbrüche ist die Notlage, die viele Unternehmer*innen im Wahlkreis beklagen, mehr als alarmierend. Ich möchte nicht, dass der Einzelhandel in unseren Innenstädten Schaden nimmt und als Folge ein Großteil unserer regionalen Identität verloren geht. Deshalb schlägt die grüne Landtagsfraktion einen Notfallexistenzfonds für die im Lockdown geschlossenen Geschäfte vor.”
Antje Behler (Die Linke): „Nein, die Maßnahmen haben die Chancengleichheit nicht ausreichend gewährt. Während die Bundes- und Landesregierung für die Großkonzerne Finanzhilfen aufstellten, wurden kleine und mittlere Betriebe und Solo-Selbstständige mit Kleinstbeträgen abgespeist. Zwei Millionen Erwerbstätige aus Industrie, Handel und Gewerbe in Baden-Württemberg wurden in Kurzarbeit geschickt, und hunderttausende Beschäftigte sind von Entlassungen bedroht. Besonders hart hat es die Gastronomie, die Kultur- und Kunstszene getroffen. Viele Studierende haben ihre Jobs verloren und Jugendliche verlieren ihre Perspektiven, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden. Auch die Kommunen hat die Corona-Krise schwer getroffen, etwa durch die fehlenden Gewerbesteuereinnahmen. Wir setzen uns deswegen für einen sozialen Schutzschirm für die Menschen und die Kommunen ein, denn: Niemand darf vergessen werden!”
Levin Eisenmann (CDU): „Ja, allerdings sind wir bei der Auszahlung der Hilfsgelder zu langsam. Die Novemberhilfe darf nicht zum Osterhasen werden. Denn viele Betriebe und Einrichtungen sind durch die noch nicht erfolgte Auszahlung in echter Existenznot. Mich beunruhigt das sehr, denn hinter ihnen stehen Existenzen. Die Anpassung der Überbrückungshilfe III an die spezielle Situation des Einzelhandels – Stichwort Saisonware – war richtig. Genauso müssen die einzelnen Gegebenheiten in den unterschiedlichen Branchen berücksichtigt werden. Die Politik musste viele schwierige Entscheidungen treffen. Fakt ist: Viele Betriebe, die nicht Infektionstreiber waren, mussten schließen. Wir brauchen eine Rückkehr zur Öffnung unter Pandemiebedingungen – ich hoffe, dies ist bald möglich! Unsere Aufgabe ist es nun, mit deutlich mehr Tempo die Grundlagen für die Zeit nach Corona zu legen, damit unser Wohlstand so gut es geht erhalten bleibt.”
Petra Rietzler (SPD): „Ja. Bei allen Entscheidungen im Bund und im Land wurde darauf geachtet, welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen die Bekämpfung des Corona-Virus haben kann. Hilfsprogramme wurden schnell aufgelegt und es wurden sogar Unterstützungsleistungen für bislang vergessene Berufsgruppen wie Solo-Selbstständige geschaffen. Doch unsere Politik gegen Corona hat Schwächen und die Regierungen in Berlin und Stuttgart müssen diese schnell abstellen. Kurzarbeit ist gut. Aber was ist, wenn sie ausläuft? Viele kleine Betriebe sind bedroht, weil sie ihre Fixkosten nicht mehr bezahlen können und keinen Schutz haben. Es geht viel zu lange, bis die zugesagten Hilfen bei den Betroffenen ankommen. Krisenfeste Klassenzimmer gibt es in unseren Schulen immer noch nicht, obwohl es dafür gute Konzepte hat und das schon seit Monaten. Es ist beschämend, dass Deutschland führend in der Entwicklung des Impfstoffs gegen das Corona-Virus ist, aber einen der letzten Plätze bei der Impfung der Menschen belegt.”
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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