Wenn das Wetter verrückt spielt:
Stürme, Hitze und Überschwemmungen - es wird immer extremer
Landkreis Konstanz. Sie hinterlassen Schneisen der Verwüstung: Orkanstürme mit Starkregen, Hagel und Überschwemmungen, Hitzewellen und Trockenperioden. Diese Wetterextreme sind in den letzten Jahren in stärkerem Ausmaß aufgetreten. Der Grund für die zerstörerischen Naturereignisse ist der Klimawandel, sind Meteorologen und Klimaforschern überzeugt und sie rechnen damit, dass diese durch die globale Erwärmung weiter zunehmen werden.
Auch unsere Region ist in zunehmendem Maße von extremen Wettereignissen mit ihren teilweise fatalen Auswirkungen und Folgen für Wälder und die Landwirtschaft betroffen. „Die Gewitterstürme der letzten Wochen haben von Tengen bis Engen, in Eigeltingen und Aach sowie in Radolfzell, Stockach und Mühlingen örtlich schwere Schäden im Wald hinterlassen“, weiß Walter Jäger, Leiter des Kreisforstamtes in Konstanz. Neben Fichten wurden auch Laubbäume wie Buchen und Eichen von der Gewalt des Windes angeschoben, entwurzelt oder stehend abgebrochen. Manche Bäume wurden durch Wirbelstürme regelrecht abgedreht, liegen quer und übereinander und müssen so schnell wie möglich aus dem Waldgebiet entfernt werden. Sonst droht eine Verbreitung des gefürchteten Borkenkäfers, der das Bruchholz befällt, weiß Jäger. Sowohl für die Arbeiten wie für Spaziergänger ist nach den Stürmen Vorsicht beim Betreten des Waldes geboten, warnt der Fachmann, da vom Wind angeschobene Bäume und angebrochene Äste auch erst später unvorhersehbar herunterfallen können.
"Ausmaß an Schäden ist beispiellos"
Neben den Stürmen macht auch langanhaltende Trockenheit dem Forst zu schaffen. „Die extremen Temperaturen der Jahre 2018 bis 2020 haben gezeigt, wie verletzlich der Wald gegenüber Hitzewellen ist“, erklärt der Forstamtsleiter. „Zwar gefährdet der Borkenkäfer schon seit Jahrzehnten die Fichten-Bestände, doch das Ausmaß der Schäden in den vergangenen vier Jahren war beispiellos“, betont Walter Jäger und fügt hinzu: „Wir machen uns langfristig ganz große Sorgen um den Wald“. Wichtig sei nun, die Voraussetzung für stabile Waldökosysteme zu schaffen. „Vielfalt, Mischung und Strukturreichtum sind hierfür entscheidend. Der Umbau der Wälder hat bereits begonnen. Er muss trotz vieler Ungewissheiten entschlossen fortgesetzt werden“, ist der Forstamtsleiter überzeugt und bleibt trotz aller Widrigkeiten optimistisch: „Es wird auch in hundert Jahren noch Wald geben, doch dieser wird anders aussehen“."Es wird immer extremer"
Besonders abhängig von Wetter und Klima ist auch die Landwirtschaft. „Es wird immer extremer“, weiß Stefan Leichenauer vom Lauterbachhof in Tengen-Uttenhofen und denkt an die vielen alten Obstbäume, die dem letzten Sturm zum Opfer fielen. Doch
der Landwirt reagiert auf die verschiedenen Wetterkapriolen und setzt für seine Viehversorgung mittlerweile auf klimaresistentere Sorten wie Luzerne, eine Futterpflanze mit tiefen Wurzeln. Für die noch anstehende Getreideernte hofft er auf ruhiges Wetter. „Im Oberen Hegau von Tengen bis Stockach stehen noch einige Felder, im Bereich Singen und der Höri ist die Getreideernte abgeschlossen – da kamen die Landwirte mit einem blauen Auge davon“, so Leichenauer.
Die Auswirkungen von längeren Hitzeperioden, Trockenheit und Stürme sind vielschichtig: geringere Erträge, finanzielle Einbußen durch Ernteausfälle und regionale Versorgungsengpässe. Auch neue Schädlinge aus südlichen Ländern können sich besser ausbreiten und Nutztiere senken durch verminderte Futteraufnahme zum Beispiel ihre Milchleistung, erklärt Reinhard Schulze, Leiter Landwirtschaftsamts in Stockach. Er rät Landwirten unter anderem zu mehr Vielfalt in der Fruchtfolge, damit nicht die gesamte Ernte betroffen wird. Die Versorgungssicherheit sieht er nicht gefährdet, doch zusätzliche Warentransporte werden eine Verteuerung für die Verbraucher zur Folge haben. „Abgemildert werden könnte diese Entwicklung durch einen regionalen, vielfältigen Anbau, der allerdings bei uns durch vielerlei Umwelt- und andere Rechtsauflagen relativ teuer im Vergleich zu anderen europäischen Regionen ist“, betont Schulze.
Helfer in der Not
Tritt ein extremes Wetterereignis ein, sind oft auch die Blaulichtorganisationen als Helfer in der Not gefordert. Insbesondere die lokalen Feuerwehren sind dabei mit als Erste vor Ort – immer unter dem obersten Gebot des Eigenschutzes. So kann es vorkommen, dass zum Beispiel bei Sturmschäden, wie sie in den letzten Wochen mehrfach auftraten, Wege, Straßen oder Schienen gesperrt werden müssen. Nicht selten stoße dies auf Unverständnis, berichtet Stefan Kienzler, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbands Konstanz und Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Gottmadingen.
Die Bevölkerung könne etwa auch durch angemessenes Verhalten bei Waldbrand- oder Unwettergefahr zum Vermeiden von gefährlichen Situationen beitragen. Denn aus Hitze und langanhaltender Trockenheit folge ein steigendes Waldbrandrisiko, welches nach seiner Einschätzung auch in den nächsten Jahren weiterwachse. „Hier können wir präventiv nichts machen“, berichtet er aus Sicht der Feuerwehr, „wir können nur taktisch üben.“ Diese Übungen beruhen auf einem Einsatzkonzept für Waldbrände, welches aktuell in Baden-Württemberg und im Landkreis erarbeitet werde. Auch auf „Vegetationsbrände“ auf landwirtschaftlichen oder flachbegrünten Flächen müsse man sich vorbereiten. „Hier müssen wir zusammen mit den Landwirten Konzepte ausarbeiten“, findet der Kommandant, da derartige Flächenbrände große Mengen Wasser zum Löschen benötigen. Die Kooperation unter den Feuerwehren, sich gegenseitig zu helfen, schätzt Kienzler als wichtig und im Landkreis ausgeprägt ein. Als Beispiel nennt er die Überschwemmungen in Mühlhausen-Ehingen im Juli 2021.
Die Fälle an wetterbedingten Einsätzen steigt seiner Ansicht nach langsam an, im Sommer komme es im Landkreis etwa zwei- bis dreimal im Jahr zu größeren Unwettern und einem entsprechendem Einsatzaufkommen.Gut ausgerüstet
Wenn die Feuerwehren vorwiegend bei wetterbedingten Einsätzen an ihre Grenzen geraten, wird beispielsweise das Technische Hilfswerk (THW) zur Unterstützung herangezogen. Das THW sei eher im zivil bevölkerten Raum im Einsatz, „der Wald ist ein Nebenschauplatz“, erzählt Willi Braun, stellvertretender Ortsbeauftragter des THW-Ortsverbands (OV) in Radolfzell. Für Hochwassereinsätze wie 2021 in Mühlhausen-Ehingen oder im Ahrtal ist das THW und insbesondere der Radolfzeller Ortsverband gut geeignet.
Einen Anstieg bei der Anzahl an Extremwetterereignissen sieht Willi Braun nicht: „Sie nehmen im Umfang zu, nicht in der Menge.“ Durch die gesteigerte Schwere und die in den letzten Jahren politisch veranlasste Verbesserung der Ausrüstung würde das THW inzwischen öfter als Unterstützer zu Einsätzen gerufen, „für die jetzige Lage sind wir gut ausgebildet und ausgestattet“. Der größte Engpass bestehe vielmehr bei den verfügbaren Hilfskräften, insbesondere bei langandauernden Einsätzen, gibt Willi Braun zu bedenken.
Von Ute Mucha und Anja Kurz
Autor:Redaktion aus Singen |
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