Hesses Siddhartha und die Psychologie C.G. Jungs
Selbsterkenntnis entsteht von selbst oder gar nicht
Konstanz. Treffen sich ein Schriftsteller und ein Psychologe: Was im ersten Moment wie ein Witz klingt, war grundlegend für den weitreichenden Erfolg für einen der berühmtesten Schriftsteller Deutschlands. »"Siddhartha" im Lichte der Psychologie C.G. Jungs« war Thema des Vortrags von Dr. Günther Baumann, Referent beim Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw, am vergangenen Freitagabend im Wolkensteinsaal des Kulturzentrums Konstanz.
Ausgerichtet wurde der Vortrag von der C.G.Jung-Gesellschaft Bodensee unter dem Vorsitz von Dr. Elisabeth Kauder. Wirkungsstark untermalt wurde der Vortrag mit Ausschnitten aus »Siddhartha«, welches vor 100 Jahren sein Erscheinen feierte, vorgetragen von der Sprechkünstlerin Julia Katterfeld aus Konstanz.
Denn Hermann Hesse war seinerzeit nicht nur mehrfach in psychologischer Behandlung, sondern beschäftigte sich auch darüber hinaus mit den Ansätzen und Ideen der Psychoanalyse. Dabei war er so überzeugt von der »genialen« Lehre Jungs, dass er sich in einer krisenbesetzten Zeit seines Lebens von ihm therapieren ließ. Zu dieser Zeit entstand auch »Siddhartha«, was die vielzähligen Parallelen zu den jungschen Theorien der Struktur und Spiritualität des Menschen erklärt. Das große Ziel der Psychologie, den Kontakt zum inneren Selbst zu finden, versinnbildlicht Hesse etwa als das Hören von »Gottes Stimme«. Später jedoch distanzierte er sich etwas von der Psychologie, da er überzeugt war, dass den Psychologen »das Organ« für Kunst fehle. Zu dem Analytiker bewahrte sich Hermann Hesse allerdings Zeit seines Lebens einen freundschaftlichen Kontakt.
Dass es zwischen Hesse und Jung einige für deren Kultur und Zeit typische Gemeinsamkeiten und ähnliche Erfahrungen gegeben hatte, wurde im Vortrag am Freitagabend bald klar. So einte die Beiden beispielsweise die traumatische Erfahrung durch den ersten Weltkrieg und eine von katholischen Werten geprägte Kindheit.
Die Motive für Hesses Interesse an C.G. Jung basieren dabei laut dem Redner auf drei Aspekten: Die generellen biografischen Ähnlichkeiten, der psychotherapeutische Aspekt, für den Autor ein »eindeutig einleuchtendes und hilfreiches Werkzeug« und, so Baumann, »als Schlüssel zur Verknüpfung von Beidem« Jungs Religionspsychologie, für Hesse eine Bestätigung seiner eigenen Wahrnehmung.
Im Buch »Siddhartha« selbst seien dann wiederum vier Haupteinflüsse herauszufiltern: Das indische Denken, die Parallelen zwischen Hesses eigenem und Buddhas Leben, das Finden des Selbst in der Psychoanalyse und die daoistische Idee einer höchsten Erkenntnis, die sich nicht in Worte fassen lässt. So sei eine tatsächliche persönliche Weiterentwicklung nur möglich, wenn diese über das »Wissen und Verstehen« im Kopf hinausreicht und an eine innere Erfahrung geknüpft ist. Auch Siddhartha muss sich zunächst von der Lehre seines Buddha abwenden und wird von seinen eigenen Schattenseiten, in Form der Lust und des Materialismus, konfrontiert. Erst an diesem Tiefpunkt kann er eine Art »Wiedergeburt« und Erleuchtung erleben und erkennt, dass Lehren dieser Art nur in Verbindung mit den zugehörigen Gefühlen nachhaltig bewusst werden können.
Dass diese Worte von Hesse eigentlich denkbar paradox sind, wurde insbesondere in der Diskussion nach Ende des Vortrags deutlich. Aus heutiger Sicht kann man wohl sagen, dass ihm eine literarische »Selbstverwirklichung« mehr als gelungen ist. Für sein Leben und für seine Familie blieb allerdings wenig hiervon übrig. Nichtsdestotrotz konnten Dr. Günter Baumanns Worte definitiv Begeisterung wecken für die eigentliche Tiefe in Leben und Charakter Hesses sowie seinen Werke. Der Widerspruch darin und dazwischen, aus Wissen und Erleben, unterstreichen das geradezu - wie es auch die eingestreuten Inszenierungen aus »Siddhartha« schafften. So bleibt das Werk auch genau 100 Jahre nach seinem Erscheinen weiterhin relevant, über die rein literarische Ebene hinaus.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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