Chris Metzger erzählt, wie er und seine Kollegen den Lockdown erleben
Ohne Musik wird es ganz still

Chris Metzger | Foto: Der Stimmungsmacher Chris Metzger schlägt im Interview mit dem WOCHENBLATT ernste Töne an. swb-Bild: Kim Kroll
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Region. Deutschland befindet sich derzeit im zweiten Lockdown. Für die Kulturbranche ist es jedoch immer noch die erste Welle, betont Tausendsassa Chris Metzger, denn die versprochenen Hilfen sind noch nicht angekommen. Viele Kulturschaffende haben Existenzängste, einige mussten bereits Insolvenz anmelden, wie der Musiker im Interview mit dem Wochenblatt deutlich zum Ausdruck bringt.

Wochenblatt: Zum Einstieg eine einfache, aber derzeit auch schwierige Frage: Wie geht es dir und wie hast du die letzten Monate erlebt?

Chris Metzger: »Mir geht es gut, ich bin gesund. Ich bin täglich mehrere Stunden im Büro, um die ganzen Verschiebungen zu protokollieren, PDF-Dateien zu erstellen, neue Ersatztermine für die rund 150 Veranstaltungen zu finden und die Hotels umzubuchen, die Homepage neu einzupflegen. Das alles braucht enorm viel Zeit. Ich bin viel am Telefonieren, weil ich viele verunsicherte Kunden, Veranstalter und Musikerkollegen habe.

Dieses Jahr 2020 wäre das für mich stärkste Jahr im Live-Segment gewesen. Ich bin froh, dass ich teilweise die Après-Ski- und Fastnachtssaison noch mitnehmen konnte, aber dann wurde es ja still. Es gab dann die Möglichkeit, bei einer Handvoll von Veranstaltungen eingeschränkt zu spielen. Man hat schon gemerkt bei den Leuten, dass die Stimmung da ist, aber verhalten. Viele sind verunsichert, ängstlich.«

Wochenblatt: Würdest du sagen, dass Kunst und Kultur ein Grundnahrungsmittel für die Gesellschaft ist?

Chris Metzger: »Total. Musik gab es schon immer. Es ist eine andere Art der Verständigung. Zu jeder Gefühlslage gibt es die passende Musik, man kann weinen, lachen, nachdenken, sich bestärken. Musik verschafft uns immer wieder Gänsehaut, und vielleicht hat sogar der ein oder andere Text jemanden mal dazu bewogen, sich über gewisse Dinge im Leben Gedanken zu machen. Wir, die Künstler aus dem Musikzweig der Live-Unterhaltung, sind diejenigen, die die Leute vom Alltag ablenken und damit Freude verbreiten wollen. Vielen Menschen fehlt momentan das gesellige Beisammensein, das gemeinsame angstfreie Feiern, und die Musik spielt dabei eine unglaublich große Rolle.

Mein persönlicher Hauptantrieb war es schon immer, dass ich Leute glücklich machen möchte. Natürlich mache ich es auch um zu überleben, aber die Hauptessenz, Musiker zu werden, ist eine andere gewesen. Sonst würde ich nicht 100 Stunden in der Woche hart dafür arbeiten. Oftmals Arbeit, die man eben nicht auf den ersten Blick oder bei einem der Live–Auftritte direkt sehen kann.

Die Atmosphäre und das Gefühl, welches man als Zuschauer bei einem Live-Auftritt spüren kann, ist jedes Mal aufs Neue einmalig und kann in den seltensten Fällen über Bildschirme oder Küchenradios so und in dieser Intensität wahrgenommen werden. Kaum auszudenken, wie es wäre, wenn es auch keine Radiosender, Streaming-Dienste, Platten oder CDs mehr gäbe. Wenn das alles lediglich ein oder zwei Tage einfach weg wäre, dann würden noch mehr Menschen merken, dass es ohne Musik still wird.«

Wochenblatt: Du hast es vorhin in der Eingangsfrage schon angeschnitten: Welche Resonanz hast du von deinen Kollegen erhalten?

Chris Metzger: »Die Resonanz von allen Kollegen durch die Bank ist: man fühlt sich allein- gelassen, hilflos und viele fallen deshalb in ein großes Loch. Es ist psychisch sehr belastend. Es bedarf viel Durchhaltevermögen und Zuversicht. Fakt ist: Wir haben Arbeitsverbot und tatsächlich ist die Live–Musik als eine der wenigen Branchen immer noch inmitten der ersten Welle. Irgendwann ist die Existenz dadurch enorm bedroht und mit jeder weiteren Absage oder Verschiebung von Auftritten wird klar, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um aus dieser misslichen finanziellen Lage rauszukommen.

Wir haben hier in der Region viele gute Veranstaltungstechniker, Künstler, Tontechniker, Musiker und Existenzen, die auch enorme Fixkosten haben. Wenn es aber so weitergeht, dann kann bald jeder seine eigene Stereoanlage zur Hochzeit mitbringen oder an die Kirchweih stellen, um das Zelt zu beschallen. Es muss allen bewusst sein, was da alles dranhängt und wie viele Existenzen insgesamt gerade in unserem Berufszweig zu Grunde gehen. Es gibt auch noch so viele Berufe im Hintergrund, die nicht gesehen werden: zum Beispiel Maskenbildner, Techniker für Licht und Ton oder Bühnenbauer ...«

Wochenblatt: Was fehlt dir in dieser Zeit am meisten?

Chris Metzger: »Mir fehlt der Kontakt zum Publikum und in strahlende, freudige Gesichter zu blicken und somit auch, Menschen eine Freude bereiten zu können.«

Wochenblatt: Hattest du irgendwann einmal einen Punkt, an dem du dachtest, »ich muss umdenken und mir über eine Alternative Gedanken machen«?

Chris Metzger: »In meinem Fall bin ich sehr dankbar darüber, ein weiteres Standbein durch mein Tonstudio zu haben. Auch wenn dort die Auftragslage ebenfalls etwas geschmälert ist, verschafft mir diese Option dennoch etwas mehr Luft. Generell Umzudenken ist in vielerlei Hinsicht nicht so einfach, denn auch ein reines Musik–Unternehmen hat enorm hohe Fixkosten, die monatlich anfallen, ob man Aufritte hat oder nicht. Einen ähnlichen oder gleichwertig lukrativen Job zu finden, stellt sich als relativ schwierig dar, weil man nicht mal ansatzweise dieses Geld, das man bräuchte, um die eigene Firma nebenher am Laufen zu halten, verdienen könnte, bis die Coronakrise überwunden ist.

Zum anderen und was für mich noch viel wichtiger ist: Es wäre zeitlich schlichtweg unmöglich. Viele wissen wahrscheinlich nicht, wie viel Zeit man im Büro verbringt, um 150 Auftritte und die damit verbundenen Bühnen, Technik und Hotels zu verschieben. Ebenfalls kommt man als Vollprofi nicht um das tägliche Proben herum, vor allem nicht, bei einem normalerweise abendfüllenden Programm mit mehreren Instrumenten. Das macht man nicht wenn man über eine Alternative nachdenkt. Wir Künstler telefonieren in dieser Zeit viel miteinander und geben uns gegenseitig Ratschläge, wie wir diese Sache gemeinsam schaffen können. Einige Kollegen aus meinem bundesweiten Netzwerk hatten kein weiteres Standbein und mussten Insolvenz anmelden. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Krise hoffentlich weiterhin gesund überleben kann. Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, wie es uns Musikern geht. Es ist furchtbar und total verrückt.«

Wochenblatt: Wenn du den Politikern was mitteilen könntest, was würdest du ihnen sagen?

Chris Metzger: »Ich bin wöchentlich in Kontakt mit verschiedenen Politikern aus dem Bundestag und werde über die neuesten Sachlagen und Hilfen informiert. Ich merke, dass es gut war, mich zu melden. Ich merke, dass es auch wichtig ist, dass auch mal jemand Kleiner sich meldet und für die Region spricht. Das, was mir zugetragen wird, darüber kann ich Auskunft geben. Aber: Es ist sehr traurig, was da gerade passiert.«

Wochenblatt: Kannst du das genauer erklären?

Chris Metzger: »Wir sind im Berufsverbot und uns wird nicht geholfen. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass die Corona-Hilfen 2 und 3 und die damit verbundene finanzielle Unterstützung bei den Künstlern angekommen ist. Ich kenne keinen einzigen, der diese weiteren wichtigen Corona-Hilfen bekommen hat. Und selbst wenn: es wäre ein Tropfen auf dem heißen Stein. Man bräuchte weitaus mehr Geld als die vom Staat angebotene Hilfe. Man hat diverse Versicherungen, Geschäftsräume, Tonanlage, Geschäftsautos … wenn nichts reinkommt, bleiben diese Fixkosten trotzdem bestehen.

Im März gab es einmalig für Solo-Selbstständige und in meinem Fall bis zu 9.000 Euro – die man übrigens, so weit mir bekannt ist, ebenfalls versteuern muss. Dieses Geld reicht in meinem Fall für etwas mehr als einen Monat. Jetzt sind aber schon neun Monate vergangen. Was macht der Künstler, der seine Rücklagen bis Dezember aufgebraucht hat? Das ist die Realität. Wir haben weder eine Lobby, die sich für uns gezielt einsetzt, noch eine Gewerkschaft. Zusätzlich können wir uns nicht einfach arbeitslos melden und das vergessen ebenfalls viele Mitmenschen, welche gerne schnell urteilen, aber von der Materie wenig verstehen oder verstehen wollen. Ich bin traurig, dass ich nicht auftreten kann. Ich bin aber noch trauriger darüber, vergessen zu werden. Die Enttäuschung darüber ist größer als alles andere.«

Wochenblatt: Jetzt gibt es doch neue Hilfen?

Chris Metzger: Ich bin dennoch sehr positiv eingestellt über die neueste Hilfestellung, welche es für den Monat November geben soll, und gleichzeitig gespannt, ob diese so in die Tat umgesetzt wird, wie medial angekündigt. Liebe Politiker, wir alle davon Betroffenen brauchen nicht nur tolle Überschriften und Versprechungen bezüglich Ihrer Unterstützung, sondern wir brauchen diese Hilfen, so wie sie von Ihnen in den Nachrichten und im TV dargestellt und angepriesen werden, und das seit Monaten. Einfach, unbürokratisch und vor allem aber schnell. Sonst wird es schon bald sehr still und ruhig.«

Wochenblatt: Was würdest du deinen Kollegen sagen, die sich vielleicht schon aufgegeben haben?

Chris Metzger: »Wahrscheinlich wird das jeder sagen: Durchhalten. Ich glaube aber, dass ich nichts sagen kann, was richtig wäre, weil die Lage noch viel schlimmer ist, wie ich sie überhaupt darstellen kann, weil ich nicht in dieser Haut stecken will, jetzt schon zu wissen, dass ich Anfang 2021 alles verliere. Wir Künstler sind zum größten Teil Einzelunternehmer und haften somit mit unserem Privatvermögen.

Wenn jemand von den Kollegen insolvent geht, verliert er alles, was er hat, alles, für was man jahrelang gearbeitet hat und kann dann wieder von vorne anfangen. Und da nützen die 1.080 Euro, die man neuerdings zusätzlich und enorm erschwert beantragen kann, für die privaten Nebenkosten nichts. Denn jeder, der weiterhin irgendwie arbeiten kann und somit etwas Geld verdient, kann davon keinen Gebrauch machen. Es ist nett, aber es macht das Grundproblem nicht besser. Es verschiebt die traurige Tatsache, von der Politik ›vergessen worden zu sein‹ lediglich um ein paar Tage. Entweder man hat genug Rücklagen, eine gute Hausbank, oder ist auf sich allein gestellt.«

Wochenblatt: Gibt es noch irgendetwas, das du den Lesern mitgeben möchtest?

Chris Metzger: »Jeder, der etwas Gutes tun möchte und finanziell kann, für den Musiker, die Nagelpflege, den Einzelhandel, den Restaurantbesitzer und alle anderen betroffenen Berufszweige: seid solidarisch, unterstützt die Leute mit dem Kauf von Gutscheinen oder auf einer anderen Art und Weise. Sie werden es schon bald ganz dringend brauchen. Dieses Corona-Loch, das gerade entsteht, wird vorbeigehen und ich glaube, dass dann viele Kollegen sehr froh sind, wenn die Menschen sie unterstützen. Gebt ihnen diese Lebensenergie wieder zurück. Ich bete jeden Tag dafür, dass da alle unbeschadet herauskommen.«

- Graziella Verchio

Autor:

Redaktion aus Singen

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