Nina Mattenklotz inszeniert Woyzeck in Konstanz
"Jeder Mensch ist ein Abgrund!"

Vorne Anne Rohde als Marie, das Opfer. | Foto: Ilja Mess/Theater Konstanz
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  • Vorne Anne Rohde als Marie, das Opfer.
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Konstanz. Einen Mord zu begehen, erscheint den meisten wohl als eine der größten Gräueltaten, zu denen ein Mensch fähig ist. Die Motive und Umstände können vielzählig sein und eröffnen oft, im Hinblick auf die Schulfrage, einen gesellschaftlichen Diskurs. Der Täter rückt hierbei oft ins Rampenlicht, während das Opfer und dessen Geschichte nur als traurige Nebenrolle fungiert. Die Regisseurin Nina Mattenklotz wollte genau diesen Umstand ändern und inszenierte infolgedessen Georg Büchners 185 Jahre alte Theatertragödie „Woyzeck“ – mit dem Fokus auf Marie, die dem Mord ihres Partners Franz Woyzeck zum Opfer fiel.

Eine Beziehungstat, die auch heute noch mit einer tiefergehenden Gesellschaftskritik spielt und Anlässe zur Diskussion bietet.
Anne Rohde, welche die Rolle der Marie einnahm, eröffnete am vergangenen Freitag die Bühne zur Premiere des Dramas „Woyzeck“ im Stadttheater Konstanz. Bereits zu Beginn zog sie mit ihrem schauspielerischen Können die Zuschauer in ihren Bann und kündigte an, ihre Tragödie zu erzählen. Voller Zorn und Verzweiflung schilderte Marie die Bluttat und überließ die restliche Geschichte dann dem originalen Fragment von Georg Büchner – welches sowohl die Tragik einer Beziehung und des einzelnen Lebens darstellt, aber auch eine entzweite Gesellschaft beleuchtet, die keinerlei Moral besitzt, während sie diese an allen Ecken predigt.

„Bin ich ein Mensch?“

Als Mutter eines unehelichen Kindes bildet Marie, gemeinsam mit ihrem Mann Franz Woyzeck (Ruby Ann Rawson), einen Teil der Unterschicht, welche von der Gesellschaft verachtet und belächelt wird. Jedoch ist Marie auch eine Frau, die nach Freiheit, Lust und gesellschaftlichem Aufstieg strebt und in der Hoffnung, ihrer verzweifelten Situation zu entkommen, eine Affäre mit dem Tambourmajor (Patrick O. Beck) eingeht. Ein Mann, den sie als gestandenen erachtet, während er sie nur als ein Objekt der Begierde, gar als Besitz der Männer, ansieht – was sie schlussendlich ihre eigene Wertigkeit bezweifeln lässt.

Selbst nach ihrem Tod wird sie noch als schöne Leiche bezeichnet – was sie selbst vehement bestreitet. Doch reichten ihre kurzen Monologe wohl kaum aus, um Woyzecks Geschichte tatsächlich in Maries Geschichte zu verwandeln. Denn als Protagonist, so schien es in der leicht abgewandelten Fassung, übernahm auch weiterhin Franz Woyzeck den Mittelpunkt der Opferrolle und ließ die Stimme der Marie wieder hinter dem Schleier seines eigenen Leidens verblassen.

„Moral, das ist, wenn man moralisch ist.“

Nichtsdestotrotz scheinen nicht allein die Männer Marie an ihrer eignen Menschlichkeit zweifeln zu lassen. Vielmehr handelt es sich um ein allgemein gesellschaftliches Problem, welches die systematische Kälte und Unterdrückung der ärmeren Leute widerspiegelt. Mit wenig Scham, viel künstlerischen Aspekten und einem gewissen Zynismus stellte das Team des Theaters Konstanz die Diskrepanz des sozialen Machtgefälles auf die Bühne und ließ seine Zuschauer mit den Worten Georg Büchners in eine Welt eintauchen, in der sich die harte Realität abzeichnete, welche auch heute noch in Teilen der Gesellschaft ihren Platz findet.

So stellten der Hauptmann (Anna Eger) und der Doktor (Ulrich Hoppe) das lächerliche Bild der idealistischen und gut betuchten Gesellschaft dar. Doch auch der Marktschreier (Patrick O. Beck) fand seinen Platz auf der Bühne, um, in gewohnter Manier, die gesamte Menschheit zu beschämten, indem er ihnen einen Bären aufbindet.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.“

Franz Woyzeck bleibt somit auch weiterhin ein armer Soldat, dessen Opferrolle klar definiert ist. Arm, verzweifelt, gedemütigt und erfüllt von Eifersucht, ging er so auch weiterhin seinen inneren Stimmen nach, um das Leben der einzigen Person, die ihm noch unterlegen ist, zu beenden. Somit bleibt auch weiterhin die Frage offen, ob Woyzeck tatsächlich die völlige Schuld an Maries Tod trägt – denn, identisch dem originalen Fragment, bleibt die Verhaftung Woyzecks offen und die Schuldfrage dem Zuschauer überlassen. Darüber hinaus verblasste leider auch Maries Stimme weiterhin hinter dem Tatbestand und wartet leise im Dunkeln, bis sie hoffentlich irgendwann statt des Mikrofons ein Megafon gestellt bekommt.

Das Theaterstück „Woyzeck – Her mit Marie“ spielt bis zum 17. Februar auf der Bühne des Konstanzer Stadttheaters.

Von: Tara Koselka

Autor:

Redaktion aus Singen

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