Verstörende Gefühle bei "Virginia Woolf"
"Ich war nie da, also bleib ich hier"

Ein Paar das sich nur noch verletzten kann: George und seine Ehefrau Martha (Jana Alexia Rödiger, Patrick O. Beck). | Foto: Ilja Mess/ Theater Konstanz
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  • Ein Paar das sich nur noch verletzten kann: George und seine Ehefrau Martha (Jana Alexia Rödiger, Patrick O. Beck).
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Konstanz. Wo nur noch Trauer, Zynismus und Lügen vorhanden sind, scheint als Ausweg nur noch die Illusion. Im Jahre 1962 schrieb der Schriftsteller Edward Albee die Dramenkomödie "Wer hat Angst vor Virgina Woolf?" und hüllte die Abgründe des zwischenmenschlichen Zusammenlebens in eine Geschichte, die nur so von destruktiven Charakteren strotzt, welche sich in ihrer Hoffnungslosigkeit allein an die Täuschung klammern. Am vergangenen Freitag präsentierte Kristo Šagor, Hausregisseur des Theater Konstanz, mit seiner Version Premiere und lieferte damit den Beweis, dass es auch nach 61 Jahren kaum an Aktualität verloren hat. Erbarmungslos skizzierte das gesamte Theaterteam so das Bild eines bizarren Ehekrieges, das zwischen Klischees und Individualität schwankt.

"Wir feiern doch ein Fest, oder?"

Der erste Auftakt könnte gewöhnlicher nicht sein - ein ungleiches Akademikerpaar, Martha (Jana Alexia Rödiger) und George (Patrick O. Beck), kommt nach einem mehr feuchten als fröhlichen Abend nach Hause und streitet sich lautstark. Einzig die Klingel kann die beiden davon abhalten, sich gegenseitig an die Gurgel zu springen. Ein junges Paar, welches Martha zuvor kennengelernt hatte, ist wohl ihrer Einladung gefolgt und torkelt in das Haus hinein. Doch die Ankunft des jungen Paares, Nick (Julian Mantaj) und Süsse (Sarah Siri Lee König), scheint die Atmosphäre ganz unverhofft noch weiter zu verschlechtern - denn auch sie sind nicht frei von Problemen und tragen ihren Teil zur Eskalation bei.

Die Interaktionen sind von Vorwürfen, Demütigungen und manipulativem Verhalten geprägt und werden von den ungewohnt schrillen Stimmen der Schauspieler begleitet. Befreit von jeglichen Requisiten bricht das Schauspielerquartett so jegliche gesellschaftlichen Konventionen und dreht einzig das minimalistische Bühnenbild, um dem Zuschauer die nächste Stufe der Tragödie zu verdeutlichen.

"Spielen wir noch?"

Vulgäre Sprache, Betrug, Gewalt und Lügen werden immer mehr zum roten Faden des Geschehens und alle Regeln, die zuvor festgelegt wurden, werden nach und nach gebrochen. So auch das Gesetz zwischen Georg und Martha, die sich zuvor schworen, nicht über ihren Sohn zu sprechen – doch es wäre freilich realitätsfern, einen Rosenkrieg zu führen, ohne sich gegenseitig das Salz in die klaffende Wunde zu streuen.

Ein Kosmos entsteht, indem es gar unmögliche erscheint, zwischen Wahrheit und Fiktion zu differenzieren. So oberflächlich und egozentrisch die Charaktere zu Anfang schienen - im Laufe des Spieles kristallisiert sich immer eindringlicher die psychologische Tiefe der Gemüter heraus und hinterlässt den Eindruck, dass es diesem Spiel keinen Anlass zur Siegerehrung gibt.
"Dann sammeln wir unsere Tränen und stellen sie ins Gefrierfach"

Die Inszenierung des Theater Konstanz unter der Regie von Kristo Šagor versteht es, die Spannungen und Emotionen der Figuren auf ergreifende Weise zu transportieren. Die Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen dabei eine beeindruckende Leistung und vermitteln dem Publikum eindrücklich die Zerrissenheit und Verzweiflung ihrer Charaktere, die sich selbst in ihren eigens konstruierten Welten kaum ertragen können. Nicht zuletzt trägt der ironische Unterton, paradoxer Weise, zur Dramatik bei und hinterlässt ein gebrochenes Gelächter im Saal - vielleicht auch, weil so manch einer die ungeschönte Realität erkannte, mit der wir Tagein, Tagaus konfrontiert werden.

"Ich war nie da, also bleib ich hier"

So hielt das Ensemble des Konstanzer Theaters der Gesellschaft den Spiegel vor, wie es Edward Albee bereits in den frühen Neunzehnhundertsechzigern tat, und bewies, dass "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" auch ein weiterhin zeitloses Stück ist, welches nicht einmal den Anschein erweckt, obsolet zu werden.
Vielmehr konfrontiert es den Zuschauer eindringlich und auf drastische Weise mit den Abgründen menschlicher Beziehungen, zeigt ihm gnadenlos und unverschont die geistigen Zustände der Gesellschaft auf, in der er lebt und Mitspieler ist und hinterlässt zuletzt ein verstörendes Gefühl. Das bleibt auch erst mal, auch wenn man lange sich schon von der Bühne wieder abgekehrt hat.

Tara Koselka

Autor:

Redaktion aus Singen

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