"KI will niemanden von irgendetwas überzeugen"
Herr Dr. Krapp, sagt KI die Wahrheit?

Dr. Lothar Sebastian Krapp ist hauptberuflich Dozent am Institut für vergleichende Sprachwissenschaften der Universität Zürich, sowie Privatdozent für Mathematik an der Universität Konstanz | Foto: Typos1/Peter Badge/KTS
  • Dr. Lothar Sebastian Krapp ist hauptberuflich Dozent am Institut für vergleichende Sprachwissenschaften der Universität Zürich, sowie Privatdozent für Mathematik an der Universität Konstanz
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Wir haben Dr. Lothar Sebastian Krapp, Konstanzer Mathematiker, hauptberuflich Dozent am Institut für vergleichende Sprachwissenschaften der Universität Zürich und Privatdozent für Mathematik an der Universität Konstanz, gefragt, was er einer Schülerin oder einem Schüler antworten würde, die fragt, ob Künstliche Intelligenz die Wahrheit sagt. Dabei war die Frage nicht ohne Grund so und ihm gestellt: Krapp setzt sich als ehrenamtlicher Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens „KI macht Schule“ für eine breite Aufklärung über KI in der Gesellschaft ein (www.ki-macht-schule.de) und ist mehrfach für seine Fähigkeit, komplizierte wissenschaftliche Sachverhalte einfach auszudrücken, ausgezeichnet worden. Wir sind dankbar, dass er sich freudvoll auf das Gedankenexperiment eingelassen hat und mit seiner Expertise eine erstaunlich einfache Antwort gibt, die uns vor allem eines zeigt: Wir werden für die Wahrheit selbst verantwortlich bleiben, KI hin oder her.

„Um dir das zu beantworten, stell dir einmal vor, du hättest alle Bücher dieser Welt gelesen und dir das meiste darin gemerkt. Nun kommt eine Bekannte zu dir und fragt dich etwas. Vermutlich kannst du ihre Frage mit deinem Bücherwissen korrekt beantworten, aber eine Garantie dafür gibt es nicht. Es kann sein, dass in manchen Büchern etwas Falsches stand und deine Antwort deshalb nicht stimmt. Es kann sein, dass du selbst etwas durcheinanderbringst und Informationen aus verschiedenen Büchern falsch kombinierst. Dann wirkt es vielleicht so, als hättest du deine Antwort einfach nur erfunden. Leider erwarten aber alle von dir, unfehlbar zu sein, auch wenn du es nicht bist. Denn wenn du 99 Fragen korrekt beantwortest, glaubt man, dass auch deine 100. Antwort richtig ist. Und wenn du versehentlich falsch liegst? Wirst du dann schon zum Lügner? Du hast doch eigentlich gar nicht vor, zu lügen. Du prüfst nicht, was in den Büchern stand, die du gelesen hast. Du bist nicht in die Welt gegangen, um selbst nachzusehen, was davon die Wahrheit ist. Und dir wurde beigebracht, allen Leuten, die mit Fragen zu dir kommen, ganz unvoreingenommen weiterzuhelfen.

Vielleicht kannst du dir die KI – genauer gesagt moderne KI-Chatprogramme – etwa so vorstellen. Das viele Wissen, mit dem die KI arbeitet, führt nicht immer zu Wahrheit. Aber nur, weil die Programme auch einmal etwas Falsches sagen, lügen sie nicht: Man lügt, um andere von einer Unwahrheit zu überzeugen, weil es einem selbst nützt. Eine KI hat jedoch kein Bewusstsein und will niemanden von irgendetwas überzeugen. Ein Programm, das nur die wahrscheinlich sinnvollste Antwort gibt, prüft nicht, ob das Gesagte wahr oder falsch ist. Da macht es keinen Unterschied, ob das Programm auf dich so wirkt, als würde es sich mit dir unterhalten. Was würdest du sagen, wenn du in einen Taschenrechner „3 + 8“ eingibst und er dir „12“ als Ergebnis anzeigt? Würdest du sagen, der Taschenrechner hat gelogen? Nein, er funktioniert einfach nicht richtig. Oder vielleicht hast sogar du selbst bei der Eingabe etwas falsch gemacht.

Wie alle Computer-Programme kann eine KI zwar Wahres sagen, aber ebenso Falsches. Sie kann auch genutzt werden, um Tatsachen zu verbreiten oder stattdessen irreführende Lügen in die Welt zu tragen. Im Gegensatz zur KI haben wir Menschen jedoch die Möglichkeit, hinaus in die echte Welt zu gehen und zu überprüfen, ob etwas wahr oder falsch ist. Und solange ein Chatprogramm keine Augen und Ohren hat, solange es nicht überprüfen kann, ob Erdbeeren anders schmecken als Käsespätzle, ob ein Aufstieg auf den Säntis anstrengender ist als einer auf den Hohentwiel und ob drei Eier plus acht Eier das Dutzend schon voll machen, solange kann KI Wahrheit gar nicht als solche bewerten. KI sagt also nicht die Wahrheit und sie lügt auch nicht: Ob sie Wahres oder Falsches sagt, müssen letztlich wir Menschen beurteilen. Ob wir diese digitalen Werkzeuge für Wahrheit oder Lüge nutzen – das liegt ohnehin bei jedem Einzelnen von uns.“

Die Frage stellte Anatol Hennig

Autor:

Redaktion aus Singen

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