Hilzingen
Das Leben hat sich verändert durch die neuen Gäste
Der nun schon seit bald drei Wochen wütende Krieg von Putins Truppen in der Ukraine verändert auch das Leben vieler Familien hier im Hegau. Denn immer mehr Flüchtige kommen hier in den Gemeinden an, meist bei Bekannten, die ein doch beachtliches Netzwerk der Hilfe aufgebaut haben, manchmal aber auch nach doch spontanen Entscheidungen.
von Oliver Fiedler
Von einer solchen kann Nora Schmitz aus Hilzingen erzählen, die von einem Tag auf den anderen eine größere Familie zu Hause hat. Am dritten März hatte nämlich der Hilzinger Bürgermeister Holger Mayer einen Aufruf veröffentlicht, Wohnraum für mögliche Flüchtlinge zu melden und zur Verfügung zu stellen. Und das machte Nora Schmitz, bewegt von den Bildern, die die Medien über die Menschen zeigten, die sich da mit »kleinem Gepäck« und unter größten Gefahren auf den Weg machten, um den ständigen Fliegeralarmen, den Nächten in den Bunkerkellern, der Angst vor den Einschlägen zu entfliehen.
Und schon zwei Tage später bekam sie »Besuch« auf Vermittlung der Gemeinde. Ein in Hilzingen lebender Ukrainer wollte nämlich eine Tochter und das kleine Enkelkind in Sicherheit bringen, die in der Ukraine lebten. Bei der Flucht der beiden hatten sich aber noch andere Personen angeschlossen, erzählt Nora Schmitz. Die Tochter hatte noch zwei Freundinnen mit jeweils zwei Kindern als Begleitung dabei gehabt, eine davon war Tatjana, die nun bei Nora Schmitz Aufnahme fand. Und sie sagt klar, dass dies eine Bereicherung ist.
Routine unterbrochen
Und so schildert Nora Schmitz selbst das nun veränderte Leben: »Die Alltagsroutine ist unterbrochen und es stehen erst einmal die Bedürfnisse anderer Menschen im Vordergrund: Seit über einer Woche leben ukrainische Kriegsflüchtlinge mit in unserem Haushalt. Da diese Woche trotz des schrecklichen Auslösers und der schlimmen Begleitumstände so reich an freudvollen Erfahrungen war, möchte ich kurz darüber berichten, um vielleicht auch anderen Familien Mut zu machen.
Tatjana und ihre Söhne Yuri (14) und Maxim (4) sind sehr freundliche und zugewandte Personen, wir haben schnell einen guten Draht zueinander gefunden. Es lassen sich trotz der Sprachbarriere interessante Gespräche führen, dank der hervorragend funktionierenden Übersetzungsfunktion unserer Smartphones (einfach ›Google Translator‹ im Browser öffnen). Damit kann man sich sogar fast ›normal‹ unterhalten, lernt auf beiden Seiten aber trotzdem schon einiges der ›neuen‹ Sprache.
Die Hilfsbereitschaft und Unterstützung, die wir erfahren, sind enorm: so waren in kürzester Zeit passende Kleidungsstücke für alle drei gefunden aufgrund einer zufälligen Begegnung mit einer engagierten Erzieherin, die einen entsprechenden Aushang im Kindergarten machte und sogar alle Spenden vorbeibrachte. Auch auf der Gemeinde warteten Kisten mit Kleiderspenden vom Roten Kreuz. Es entstehen Netzwerke, die Hilfe bei organisatorischen Fragen bieten.
Eine Begegnung berührte mich ganz besonders: Vor einem Blumenladen kam ich mit der russischstämmigen Floristin dort ins Gespräch. Auch sie leidet natürlich unter den schlimmen Nachrichten und wünscht sich, dass wieder alle friedlich miteinander leben, zumal sie diesen Krieg genauso unsinnig findet wie viele andere Menschen auch. Als ich ihr von unseren ukrainischen Gästen erzählte, sprang sie in den Laden und gab mir für Tatjana einen kleinen Strauß in Herzform mit. Eine wertvollere Geste kann es derzeit nicht geben!«, freut sich Nora Schmitz ganz ausdrücklich.
Familien ohne Väter
Niemand weiß, wie lange dieser Aufenthalt nötig sein wird, wann die junge Familie wieder zusammenfinden kann und vor allem wo. Denn das ist die andere Seite: Der Vater der Kinder ist eigentlich Elektriker in seiner Heimat. Aber er musste nicht nur dort bleiben, sondern trägt inzwischen Uniform und ist im Einsatz, um die ukrainische Heimat zu verteidigen. Er schickt immer mal wieder Bilder, die dann natürlich die Runde machen. Und auch andere Nachrichten machen noch die Runde: denn zwei Schwestern von Tatjana berichten, dass die Lage immer brenzliger wird und auch sie fliehen wollen, mit je einem Kund dabei. Und angesichts der aktuellen Bilder und den Berichten von immer mehr Opfern werden die Sorgen natürlich auch immer größer. Aber auch die Hilfsbereitschaft hier.
Derzeit wird angesichts der steigenden Anzahl von aus der Ukraine Geflüchteten, die hier ankommen, in allen Gemeinden dringend Wohnraum gesucht. Es sind in den meisten Fällen Familien, die sich ohne Väter auf den Weg machen mussten, aber inzwischen auch schon Kinder und Jugendliche ohne Begleitung, die freilich eine spezielle Aufnahme finden, da sie sehr oft tief traumatisiert hier bei uns ankommen.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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