Johannes Bliestle und Sibylle Röth tauschen ihre Standpunkte aus
Kontrovers: »Gendern« oder es noch sein lassen?
Keine Frage, zum Thema der »Gender-Sternchen«, die eben allen Variationen geschlechtlicher Orientierung gerecht werden sollen und die männliche Dominanz in vielen Begriffen beenden sollen, entzünden sich viele heiße Diskussionen. Das Sternchen muss schließlich auch ausgesprochen werden und wer mal genau im Radio zuhört, wird schnell die kleine Pause erkennen, die da zum Beispiel bei bei Worten
wie »Bürger*Innen« auftaucht, weil man das Sternchen nicht aussprechen kann. Kann die aktuelle Sprache allen Variationen gerecht werden oder bräuchten wir am Ende nicht eine ganz neue Sprache mit Begriffen, die das »Sternchen« überflüssig machen könnte, ist eine immer wieder gestellte Frage.
Hier gibt es zwei Positionen als Anregung - nicht als Anleitung.
Sibylle Röth: Sternchen, Doppelpunkt, Partizip?
Auf die Suche nach einem kategorischen Imperativ in der Genderfrage begibt sich Sibylle Röth, Historikerin und Kreistagsabgeordnete, aktuell Bundestagskandidatin der Partei »Die Linke« für die Bundestagswahl:
»Ein Bekenntnis vorweg: Ich persönlich wäre nie auf die Idee gekommen, mich nicht angesprochen zu fühlen, wenn von »Bürgern«, »Wählern« oder »Kunden« die Rede ist. Aber es geht hier ja nicht um meine Befindlichkeiten – und »Bürger« bezeichnet nun mal primär den männlichen Bürger.
Natürlich ist Sprache Konvention: Wenn sich alle darauf einigten, sich auch als Frauen* oder nichtbinäre Personen von einer generisch maskulinen Form mitgemeint zu fühlen, wäre alles okay. Genau das tun sehr viele aber nicht – und damit ist es eben nicht okay.
Das bringt Schwierigkeiten – und zwar nicht ganz wenige: Während Pluralbildungen mit Sternchen oder Doppelpunkt recht einfach integrierbar sind und auch nichtbinäre Personen mitumfassen, haben wir ein Problem beim Singular – und dieses Problem wird noch größer, wenn voranstehende Artikel und darauf folgende Possessivpronomen mit angepasst werden müssen. Nun ist Ästhetik kein Argument, wenn es um Gerechtigkeit geht. Satzfragmente wie »der/die/das(?) Lehrer/Lehrerin/Lehr(?), dessen/deren/dessen …«, dürften aber nicht die Lösung sein, insbesondere wenn es uns dabei auch um einfache Sprache geht.
Als Historikerin habe ich hier noch ein besonderes Problem, denn wenn Kant vom Monarchen/ vom Staatsbürger/ vom Untertanen redet, meint er im ersten Fall eventuell auch die Monarchin, im zweiten Fall dezidiert nicht die Staatsbürgerin, im dritten Fall systematisch notwendig auch die Untertanin – auf die Idee, sie zu benennen, wäre er aber im Leben nicht gekommen.
Kann/darf/soll ich das entsprechend ergänzen oder überforme ich damit die Denkwelt des 18. Jahrhunderts auf unangemessene Weise?
Ja, im Einzelfall kann man diese Probleme umgehen: Wo möglich, nutze ich genderneutrale Begriffe. Das funktioniert etwa durch »die Herrschenden« (allerdings wieder nur im Plural). In den anderen beiden Fällen ist mir dazu noch nichts Kluges eingefallen. Denn nein, ein Text ist weder besser noch verständlicher, wenn man von »den der Herrschaft Unterworfenen« oder »den an der politischen Mitbestimmung Beteiligten« spricht.
Was ich damit sagen will: Gendern kann anstrengen und verunsichern. Und führt bisweilen vom eigentlichen Punkt weg: Mir doch egal, ob Kant die Untertanin irgendwie mitgemeint hat – definitiv ausgeschlossen hat er, dass Frauen politisches Mitbestimmungsrecht haben.
Ist das jetzt ein Plädoyer dafür, es zu lassen? Nein, klarer Weise nicht. Es ist ein Plädoyer dafür, zu verstehen, dass es nicht ganz einfach ist, und dafür, etwas die Aufgeregtheit aus der Debatte zu nehmen.
Nein, es gibt keine Genderpolizei, die alle unterdrücken und knechten will. Aber es gibt sie schon, die Antworten auf Mails an die »Lieben Kolleginnen und Kollegen«, die protestieren und das Sternchen einfordern.
Meine Meinung nach all den vielen Kant-Problemen: Lasst es uns konsequent machen, statt permanent nach Umwegen und Einzelfalllösungen zu suchen. In ihrer derzeitigen Form gibt unsere Sprache keine Möglichkeit, durchgängig genderneutral zu formulieren.
Aber anstatt Menschen zur individuellen Kreativität aufzufordern, sollten wir einfach mal kollektiv kreativ werden, die fehlenden Formen erfinden und anwenden. Dann wüssten wieder alle, was die allgemein akzeptierte Konvention ist – und wer dann darauf verzichtet, positioniert sich damit eben auch eindeutig.
Johannes Bliestle: Eine Broschüre ohne »Sternchen«
Die Frage des Genderns ist für Johannes Bliestle, Geschäftsführer der Gemüsebauer-Genossenschaft »Reichenau eG« mit vielen Fragezeichen verbunden und liegt für ihn in einer Zeit, in der ohnehin viele Äußerungen angegriffen werden, statt sie einfach mal stehen zu lassen. Als Narr und Mitglied des Vereins »Tiroler Eck« in Singen sieht er sich durch das aktuelle Klima gar bedroht, weil Satire nicht mehr als solche verstanden wird.
»Wir sind gerade daran, eine neue Broschüre über unsere Genossenschaft zu produzieren, mit der wir uns bei Kunden wie den Verbrauchern mit unserem aktuellen Spektrum des Gemüsebaus vorstellen, vor allem der Tendenz zu immer mehr »Bio«. Auch da sind die Leute von unserer Agentur auf uns zugekommen, ob wir nicht mit dem »Sternchen« gendern sollen. Unsere klare Entscheidung war NEIN, weil wir das nicht wollen. Und zwar aus dem Grund, dass ich schon der Meinung bin, dass so etwas die Leserinnen und Leser der Broschüre überfordern würde. Das verstehe ich durchaus als eine Meinung, die man haben dürfen sollte. Bei uns in der Genossenschaft sind die Rollen auch klar verteilt, schließlich wäre das »der Salat«, oder »die Paprika« oder »die Tomate«, sagt er schmunzelnd.
Für Bliestle ist das »Gendern« mit Sternchen ein neuerlicher Versuch, mit Perfektionismus zu übertreiben. »Erst kürzlich hat ja sogar das Institut für Demoskopie in Allensbach in einer Umfrage festgestellt, dass immer mehr Menschen sich verunsichert sehen, weil immer mehr Bürgerinnen und Bürger über eine soziale Kontrolle klagen, die ihnen vorschreibt, wie sie sich zu äußern hätten, was erlaubt sein soll und was nicht. Das »Gendern« ist ja eigentlich eine politische Meinung, und wann man es nicht macht, ist es auch eine Meinung nach meiner Ansicht. Ich kann die Menschen sehr gut verstehen, wenn die laut der in der FAZ veröffentlichten Umfrageergebnisse sich inzwischen zu 45 Prozent als gegängelt ansehen, weil die das Gefühl haben, ihre Meinung würde nicht angehört, sondern einfach nur als »unkorrekt« angesehen. Das ist mit Ansichten über Minderheiten genauso wie mit dem Gender-Sternchen das nun zur Pflicht gemacht werden soll. Und eigentlich macht das alles nur noch viel komplizierter finde ich. Eigentlich müsste man nun eine neue Sprache erfinden, die all den Möglichkeiten entspricht, die unsere Gesellschaft nun ausmacht. Ich kann die verstehen, die sich da nun lieber gar nicht äußern, um danach vielleicht aus den verschiedensten Ecken angegangen zu werden. Das »Gendern« ist da nur ein Teil davon.«
Als Narr betroffen
Die Auftritte des Tiroler-Ecks zur alemannischen Fastnacht werden gefeiert, vor allem weil hier ja in bester närrischer Tradition dem Volk durch die Narren der Spiegel vorgehalten wird. Doch genau die sieht Johannes Bliestle aufgrund der Tendenzen der aktuellen Zeit immer mehr in Gefahr. »Ich frage mich schon, ob wir als Narren an der Fastnacht auf der Bühne uns weiter falsche Zähne in den Mund stecken können und unser immer wieder heiß beklatschtes Lied vom »Hashimo« singen könnten, bei dem ich und mein Bruder als »Chinesen« nicht nur deren Sprache karikieren, sondern damit auch viele lokale Besonderheiten. Fastnacht ist natürlich eine ernste Angelegenheit und da darf man nicht alles. Aber ich befürchte, dass die Fastnacht auch immer mehr einer »correctness« unterworfen wird und Frechheiten gar nicht mehr erlaubt sind«, sagt Johannes Bliestle. Und: »Ich hoffe, dass ich mich noch in den Hegau trauen kann, wenn ich so was nun sage!« Oliver Fiedler
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
Kommentare