Flüchtlingsunterkünfte dringend gesucht
Keine Luft zum Durchschnaufen

Kein Luxus: So ist die Kreissporthalle der Zeppelin-Gewerbeschule in Konstanz für Geflüchtete  eingerichtet. Auch in Singen wird die Kreissporthalle im August in ähnlicher Form ausgestattet. | Foto: swb-Bild: Landratsamt Konstanz/Ute Mucha
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  • Kein Luxus: So ist die Kreissporthalle der Zeppelin-Gewerbeschule in Konstanz für Geflüchtete eingerichtet. Auch in Singen wird die Kreissporthalle im August in ähnlicher Form ausgestattet.
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Landkreis Konstanz/Gottmadingen. Noch nie war die Zahl der Flüchtlinge so hoch wie heute: Über 100 Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR weltweit auf der Flucht vor Krieg, Hunger, Gewalt und Verfolgung. Die Folgen dieser Entwicklung sind auch in unserer Region deutlich zu spüren: Der anhaltende Zustrom von Geflüchteten – aktuell vor allem aus der Ukraine – ist ein Kraftakt und erfordert die Einrichtung weiterer Unterkünfte im ganzen Landkreis Konstanz. Das sorgt für gesellschaftlichen Zündstoff in manchen Kommunen.

Aktuell kommen wöchentlich rund 60 Flüchtlinge aus der Ukraine von der Erstaufnahmestelle des Landes in den Landkreis Konstanz und zusätzlich 45 bis 60 Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und afrikanischen Ländern im Monat, informierte Monika Brumm, Leiterin des Amtes für Migration und Integration des Landkreises Konstanz. Die Lage für die Unterbringung dieser Menschen sei derzeit kritisch – die 1.460 Plätze, die dem Landkreis zur Verfügung stehen, sind zu 93 Prozent belegt. Deshalb werde händeringend nach weiteren Unterkunftsmöglichkeiten gesucht.
In Planung ist eine Leichtbauhalle für 400 Geflüchtete, für die noch ein Standort gefunden werden muss. Belegt ist bereits die Mettnauhalle in Radolfzell als Notunterkunft, die Kreissporthalle in Singen wird im Mitte August für Geflüchtete bereit sein und die Halle der Wessenbergschule in Konstanz soll im Oktober eingerichtet werden. Weitere Gemeinschaftsunterkünfte sind im gesamten Landkreis verteilt: von Stockach über Singen, Engen, Gailingen, Rielasingen, Radolfzell bis Gaienhofen.

»Wir müssen unseren Beitrag leisten«

Trotz der aktuell 16 Unterkünfte für Geflüchtete im Landkreis habe man noch keine Luft zum Durchschnaufen, so Monika Brumm. Auch wenn die Bereitschaft in der Bevölkerung zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge groß ist, reiche dies bei Weitem nicht aus. Denn aktuell sind nach fünf Monaten Krieg in der Ukraine bereits gut 900.000 geflüchtete UkrainerInnen in Deutschland – so viele wie in den beiden Jahren 2015 und 2016 in der ersten Flüchtlingswelle kamen, weiß die Amtsleiterin. Deshalb ist sie dankbar für Angebote wie von der Gemeinde Gottmadingen. Dort soll eine weitere Notunterkunft für 200 Geflüchtete in der leerstehenden alten Eichendorffschule in Gottmadingen bis Anfang 2024 temporär eingerichtet werden. Zahlreiche BürgerInnen sehen dies aber mit großer Sorge und äußerten ihren Unmut und ihre Ängste bei einem Dorfgespräch vergangenen Mittwoch.
»Wer kommt da in unsere Nachbarschaft? Gibt es keine Alternativen? Wer hilft bei Konflikten?« Dies waren einige Fragen der BürgerInnen, denen sich Bürgermeister Dr. Michael Klinger und Monika Brumm beim Dorfgespräch vor Ort an der alten Eichendorffschule stellen mussten.
Und: »Sind unsere Kinder dann noch sicher?«, fragten die Anlieger. Darauf verwehrte sich Klinger energisch gegen einen Generalverdacht gegenüber allen Geflüchteten. »Es gibt kriminelle Männer und Frauen – auch bei uns Deutschen«, so der Bürgermeister. Um der Kriminalität Herr zu werden, brauche es mehr Polizei im Ort und darum kämpfe er bereits seit Langem – bislang umsonst.
»Es ist für mich ein Gebot der Stunde, dass auch die Gemeinde Gottmadingen mit der Bereitschaft, im alten Schulgebäude eine Notunterkunft einzurichten, ihren Beitrag zur Unterbringung der Geflüchteten leistet«, betonte Klinger zu Beginn des Dorfgesprächs gegenüber den gut 60 Besuchern. Denn ansonsten müssten weitere Sporthallen belegt werden, die eigentlich für andere Zwecke benötigt werden, erklärte er.
Dies unterstrich auch Monika Brumm. Sie kennt die Bedenken von direkten Anliegern zu Flüchtlingsunterkünften aus ihrer Erfahrung während der ersten Flüchtlingswelle in 2015/16 und nimmt diese sehr ernst. »Die Menschen haben Ängste und müssen erst einmal Dampf ablassen. Dann können wir aufzeigen, was in welchem Fall zu tun ist«, so die Amtsleiterin. Wichtig ist ihr und dem Bürgermeister die frühzeitige Information der Bürgerschaft.

Auf die Kritik, dass die BürgerInnen bei der Entscheidung über die Notunterkunft in der alten Schule nicht mitbestimmen konnten, erwiderte Michael Klinger, dass dieser Beschluss der Gemeinderat als gewählte Vertreter der Bürgerschaft bei nur einer Gegenstimme fällte. »Nicht jede Entscheidung kann man über den langen Weg der Bürgerbeteiligung fällen«, erklärte er. Zumal die Zeit drängt und man etwas Luft bekomme, weitere Anschlussunterbringungen für die 140 Geflüchteten zu finden, die die Gemeinde bis Ende des Jahres nach der Verteilerquote eigentlich aufnehmen müsste, so der Bürgermeister.
Die alte Eichendorffschule sei als Notunterkunft funktionsfähig, aber keine Luxusunterkunft, fasste er zusammen. Die Klassenzimmer bieten zumindest mehr Privatsphäre als eine Halle. Die Lehrküche in dem Gebäude ist zwar über 20 Jahre alt, aber für die Selbstversorgung der Bewohner gut nutzbar und die Fluchtwege sind sicher. Die Kosten für notwendige Umbauten, den Einbau von Duschen und die Sicherung durch Bauzäune übernehme der Landkreis als Betreiber der Notunterkunft, informierte Monika Brumm. Der Landkreis Konstanz stellt auch eine Heimleitung, einen Hausmeister, Sozialpädagogen vor Ort sowie eine Kontrollstreife, die nachts je nach Bedarf nach dem Rechten schaue. »Bei Problemen und Fragen haben Sie direkte Ansprechpartner, mit denen Lösungen gesucht werden«, betonte Monika Brumm gegenüber kritischen Anwohnern.
Wer genau in der Gottmadinger Schule untergebracht wird, wisse man noch nicht. Die Zuweisung käme von der Erstaufnahmestelle des Landes. Sie habe gute Erfahrungen mit durchmischten Personengruppen gemacht, denn da gebe es weniger Konfliktpotenzial, betonte die Amtsleiterin.

Die Bewohner der Notunterkunft bleiben höchstens sechs Monate, dann werden sie auf weitere Kommunen zur Anschlussunterbringung verteilt. Alternative Gebäude wie die Wohnblöcke der WBG in der Fliederstraße kommen für eine Notunterkunft nicht in Frage, da technische Ausstattung zu aufwändig wäre, fügte Klinger hinzu. Er hob auch die zeitliche Begrenzung der Notunterkunft hervor, denn das Schulgebäude soll im Frühjahr 2024 abgerissen werden, damit dort ein neues Wohnquartier gebaut werden kann.

Bei allen Bedenken und manch harscher Kritik an der Nutzung der alten Eichendorffschule gab es auch Zuspruch: Der örtliche Arzt Dr. Christoph Grafappellierte für eine Willkommenskultur gegenüber den geflüchteten Frauen und Kindern, die tief traumatisiert seien und die Unterstützung auch durch Dolmetscher benötigen.
Um weiterhin im Gespräch mit den Anliegern und Bürgern zu bleiben, werden diese eingeladen, die Notunterkunft zu besichtigen, wenn sie voll ausgestattet ist, kündigte Bürgermeister Klinger an und schloss sich den Worten eines Bürgers an, dass »wir das irgendwie auf die Reihe bringen müssen, um diese große Herausforderung zu bewältigen.«

Kein Luxus: So ist die Kreissporthalle der Zeppelin-Gewerbeschule in Konstanz für Geflüchtete  eingerichtet. Auch in Singen wird die Kreissporthalle im August in ähnlicher Form ausgestattet. | Foto: swb-Bild: Landratsamt Konstanz/Ute Mucha
Harsche Töne gab es beim Dorfgespräch an der alten Eichendorffschule in Gottmadingen, wo eine Notunterkunft für 200 Flüchtlinge eingerichtet wird.
Rechts Bürgermeister Dr. Michael Klinger und Monika Brumm, Leiterin des Amts für Migration und Integration im Landratsamt Konstanz, die sich den Sorgen und Fragen der Anlieger und Bürger stellten. | Foto: swb-Bild: Landratsamt Konstanz/Ute Mucha
Autor:

Ute Mucha aus Moos

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