„Jüngling und Mädchen“ von Carl Gunschmann in „Hölle & Paradies. Der deutsche Expressionismus um 1918“
»Nichts ist, wie es scheint«
Engen. Seit Adam und Eva begleitet die Vorstellung vom Paradies die Menschheitsgeschichte. Im Paradies ist alles anders als auf Erden, so die Hoffnung, hier gibt es keine Kriege, keine Krankheiten - und auch keine Pandemien. Wenn das reale Leben ein paradiesisches wäre, dann wären alle Menschen glücklich – und würden sich wahrscheinlich zu Tode langweilen.
Einen Hauch dieser Langweile, wenn auch einer ästhetisch sehr schön aufbereiteten, vermittelt das große Ölbild „Jüngling und Mädchen“ des Künstlers Carl Gunschmann, gemalt um 1921. Der Künstler war Darmstädter, wo er 1895 geboren wurde. Und er hat Glück. Er wird zwar eingezogen, doch die Front bleibt ihm wegen einer Schulterverletzung erspart. Gunschmann hat ein tief verwurzeltes Harmoniebedürfnis.
Dem Ungeist seiner Zeit stellt er ein lebenswertes geistiges Ideal entgegen, das er in die Bildsprache des Paradieses kleidet. In „Jüngling und Mädchen“ verwendet er den komplementären Farbklang Rot-Grün sowie Erdbraun, um die harmonische Einbindung des Menschen in eine arkadische Natur zu versinnbildlichen. Die Innerlichkeit der Figuren mit ihren gesenkten Blicken und verhaltenen Gesten tragen zum inneren Rhythmus der stimmungsvollen Komposition bei. Wer meint, ihm müssten ob des erhabenen Dreiklangs von Mann, Weib und Natur die Füße einschlafen, der schaue genauer hin: Zugegeben, das eine der beiden Mädchen liegt dem schönen Jüngling hingegeben und voller Demut zu Füßen.
Doch der anderen ist der Träger ihres Badeanzugs keck verrutscht, der Jüngling hat’s gesehen, tut aber so, als würd’s ihn nichts angehen. Auch hat ihr Blick so gar nichts Unterwürfiges, und wenn man mal ehrlich ist: auch der Demutsgestus der anderen ist nur vorgeschoben. In Wirklichkeit zeigen die beiden unterschiedliche Strategien weiblichen Raffinements. Und das inmitten des von der untergehenden Sonne in die schönsten Bronzefarben getauchten Paradieses. Ein Skandal, möchte man sich empören, auch ohne Schlange! Wie man sieht, auch hier ist nichts, wie es scheint, und man muss sehr genau hinschauen, um den Subtext des Bildes zu ermitteln. Gute Kunst liegt eben nie in der Aussage „So muss es sein!, vielmehr in der Andeutung „So könnt es sein…“ – und lässt damit viel Spielraum für die Phantasie der BetrachterInnen.
Autor:Ute Mucha aus Moos |
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