Stadtbibliothek Engen
Living Library - Die Bibliothek der lebenden Bücher

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Engen. „Jeder Mensch hat eine Geschichte“, unter diesem Motto erzählten drei Menschen aus Afrika und Asien vom Weggehen aus ihrer Heimat und Ankommen hier in Engen. Eine vierte Frau, die von sich erzählen wollte, war leider kurzfristig erkrankt. Die zahlreichen Gäste in der Stadtbibliothek Engen dankten den Erzählenden für ihre Offenheit und ihre große Bereitschaft zum Gespräch. Am Ende des Abends gingen alle bereichert und tief beeindruckt hinaus in die Gewitternacht.

Tahereh Hossaini lebt mit ihrer Familie in Watterdingen. Die junge Frau mit dem gewinnenden Lächeln ist Auszubildende bei der Stadt Engen. Ihre Wurzeln hat die Familie in Afghanistan, sie jedoch wurde im Iran geboren. Weder in Afghanistan, noch im Iran konnten sie in Frieden leben. In der aufgeheizten Atmosphäre zu Beginn des Syrien-Krieges beschlossen sie, den Iran zu verlassen. Unter Lebensgefahr gelangten Mutter, Sohn und die drei Töchter nach Deutschland. Abgemagert kamen sie im Jahr 2016 in Engen an. Noch heute verfolgt die Mutter das Trauma der Flucht und noch immer fühlt sie sich auf dem Sprung. Ein Kulturschock war für sie, dass Ältere oft nicht in der Familie, sondern im Altersheim leben. Tahereh, die jüngste Tochter, bestand schon nach wenigen Monaten die Aufnahmeprüfung ins Friedrich-Wöhler-Gymnasium. Dort half ihr besonders der Besuch der „Weltklasse“ für nicht-deutschsprachige Schüler. In Rekordzeit konnte die junge Frau 2021 das Abitur ablegen, war mit dem Erasmus-Programm in Schweden, mit der „Aktion gegen Rassismus“ des deutsch-südafrikanischen Vereins „Bridging Gaps e.V.“ in Südafrika und absolvierte ein Praktikum im Bundestag in Berlin. So verwundert es nicht, dass sie einen internationalen Freundeskreis hat. Für die Zukunft träumt die junge Frau von einem Studium und der Arbeit bei einer Organisation wie der UNO, und wenn man Tahereh Hossaini reden hört, zweifelt man nicht daran, dass sie diesen Traum wird verwirklichen können.

Der zweite Erzähler, Mohammad Abdo, 28, lebt mit Mutter, Schwester und Bruder seit Februar 2016 in Anselfingen. Nach seiner Heimat, der Millionenstadt Aleppo in Syrien und Istanbul sorgte das kleine Engen für einen Schock. Alles war menschenleer, bei ihrer Ankunft im November 2015. Doch die Ruhe und der Frieden taten gut nach der Lebensbedrohung in Syrien und der Angst, in einen als sinnlos angesehenen Bürgerkrieg ziehen zu müssen. Eindrucksvoll schilderte der junge Mann die Flucht, die Todesangst im sinkenden Schlauchboot in der Ägäis, die Tage und Nächte ohne Bett und ohne Essen, ihre Wege zu Fuß, im Bus, im Zug und zuletzt im Wagen eines Schleppers, der mit ihnen für 500 € (pro Person!) mit 200 km/h über die Autobahn von Budapest nach Passau raste, sodass sie nochmals um ihr Leben bangten. Für Mohammad Abdo, der im Heimatland schon ein Wirtschaftsstudium begonnen hatte, kamen nun Deutschkurse, Prüfungen, ein EDV-Kurs, Arbeit in der Küche der Raststätte, aber nach drei Jahren hatte er es geschafft: Mohammad Abdo bekam einen Ausbildungsplatz als Industriekaufmann. Soeben hat er die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und wird von seiner Firma übernommen. Auch die Geschwister sind hier erfolgreich im Beruf und in der Ausbildung. Auf die Frage, warum Deutschland, sagte Mohammad Abdo, einerseits hätte seine Familie seit 1990 Verwandte in Deutschland, andererseits wollte er unbedingt ins Land von Schuhmacher und Mercedes, im arabischen Raum seien alle beeindruckt von Deutschland.

Der Dritte, der von seinem Weg nach Engen erzählte, war der hier bestens bekannte Dr. David Tchakoura, von 2017 bis 2019 Integrationsbeauftragter der Stadt Engen. Im Jahr 2009 war er zum Studium von Togo nach Deutschland gekommen. Überraschend: In dem kleinen Land in Westafrika werden 40 verschiedene Sprachen (nicht Dialekte!) gesprochen. Die Amtssprache ist Französisch, denn Togo war nicht nur deutsche, sondern auch französische Kolonie. Das Land ist seit 60 Jahren unabhängig, wird aber seit 1967 wie eine Dynastie von ein und derselben Familie regiert. Deshalb schätzt Tchakoura hier in Deutschland ganz besonders das demokratische System und die Bildungschancen.

David Tchakoura kommt aus einer großen Familie. Weil nicht immer genug Geld für seine Schulgebühren da war, musste er immer wieder die Schule verlassen. Auch den Traum vom Jurastudium konnte er aus Geldmangel nicht verwirklichen. Da er am Gymnasium gut in Deutsch war und dem besten Germanistikabsolventen ein Stipendium für Deutschland winkte, beschloss er, Germanistik zu studieren. Für ihn war klar: „Das Stipendium hole ich mir“, und so war es auch: Er bekam tatsächlich ein 6-monatiges Forschungsstipendium für Deutschland, auf welches ein Masterstipendium für die Universität Osnabrück und anschließend ein Promotionsstipendium für die Universität Frankfurt (Fach Politikwissenschaft). Wichtig ist für Tchakoura, seine Familie und seine Freunde in Togo zu unterstützen.
David hat viele Freunde hier gefunden und eine Familie gegründet. Er würde es aber nicht ausschließen, vielleicht nach Togo zurückzugehen, um das Land mit aufzubauen. Ein Schock für David in Deutschland war, als Freunde ihn bei Dresden an einen FKK-Strand schleppten. Freikörperkultur, kannte er in Togo nicht! Ein noch größerer Schock jedoch war, als ihm eine Frau bei einer Spendenaktion erklärte, sie spende ihr Geld eher für Tiere als für Menschen.

Mit einem Schmunzeln erzählte Tchakoura vom Mythos in weiten Teilen Afrikas: „Was Deutsche bauen, hält für immer.“
David Tchakoura fühlt sich hier „angekommen“. Er hat in Engen und in Deutschland allgemein viele Freunde. Er sieht sich als Vermittler zwischen den Kulturen und kann das in seiner Position als Leiter der Stabsstelle Konstanz International bestens verwirklichen.
Mohammad Abdos Schlusswort: „Man muss einander zuhören und miteinander reden. Dann lernt man den anderen kennen und verstehen.“

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Presseinfo aus Singen

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