Matinée: Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein

Eine Kulturgeschichte der jiddischen Literatur 1105-1597.
Mit Susanne Klingenstein und Waltraut Liebl-Kopitzki.

Die Abenteuer jüdischer Helden.
Das Theater »Die Färbe« lädt ein zu einer Matinee mit der bekannten Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Susanne Klingenstein. Sie ist in Singen keine Unbekannte. Zuletzt im September 2019 präsentierte sie im Theater »Die Färbe« eine Neuübersetzung des Romans »Die Reisen Benjamins des Dritten« von Scholem J. Abramowitsch. Über den ostjüdischen Schriftsteller hat die in Boston lebende und an der Harvard University lehrende Literaturwissenschaftlerin ein Standardwerk veröffentlicht (»Mendele der Buchhändler. Leben und Werk des Sholem Yankew Abramovitsh. Eine Geschichte der jiddischen Literatur zwischen Berdichev und Odessa, 1835-1917«). Waltraut Liebl-Kopitzki moderierte seinerzeit die Lesung vor »vollem Haus«. Nun kommt es am Sonntag, 13. November um 11 Uhr wiederum in der »Färbe« zu einem Wiedersehen zwischen den beiden Protagonistinnen.

Im Gepäck hat Klingenstein, die als Kind zeitweise am Bodensee lebte, 1990 in Heidelberg ihren Doktor baute und der Liebe und der Wissenschaft wegen nach Übersee zog, ihr druckfrisches Werk, das bei der Frankfurter Buchmesse für einiges Aufsehen sorgte: »Es kann nicht jeder ein Gelehrter sein. Eine Kulturgeschichte der jiddischen Literatur 1105-1597«. Gelacht und gedacht, erzählt und erzogen wurde in jiddischer Sprache seit dem Hochmittelalter. Auf den letzten Blättern gelehrter Bücher finden sich Rezepte, Zaubersprüche und Gebete. Gereimte Epen kursierten in Abschriften zum geselligen Vortrag. Ein Konvolut von 1382 aus Kairo beispielsweise bezeugt, dass Juden mit deutscher Literatur bestens vertraut waren und sie witzig adaptierten.

Und mehr: Aus Geldnot begannen findige Unternehmer im frühen 16. Jahrhundert in Krakau, Augsburg und Venedig mit dem Druck jiddischer Bücher. Jetzt hatten auch Frauen und ungelehrte Männer Zugang zur Bibel und den Religionsvorschriften. Deutsche Reformatoren sahen in jiddischen Bibeln eine Gelegenheit zur Judenmission. Doch die Verbreitung jiddischer Bücher schürte nicht die Feuer des Aufbruchs, sondern stärkte den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Sie machte die Frauen unabhängiger und selbstbewusster, denn sie kannten nun die Gesetze. Und an langen Sabbatnachmittagen lasen sie von den Abenteuern jüdischer Helden.

Kurzum: Susanne Klingenstein erzählt erstmals die spannende Geschichte der frühen jiddischen Literatur: Wer jiddische Literatur liebt, kann nun ihre Anfänge kennenlernen. Klingenstein wird aus ihrer Novität lesen und mit Liebl-Kopitzki, die in Konstanz lebt, in Singen geboren wurde, darüber sprechen. Aber sie wird den Besuchern der Matinée auch eine frühere Übersetzungsarbeit vorstellen. 2020 erschienen zwei Erzählungen von Chaim Grade unter dem Titel »Von Frauen und Rabbinern« in der wunderbaren Reihe »Die andere Bibliothek«. Grade (1910-1982) war einer der großen Dichter des jüdischen Wilna. Seine Erzählungen bergen Romane. Klingenstein hat seine Erzählungen mit großer Einfühlung übersetzt. Man muss sie hören! Man muss sie lesen!

Jiddische Literatur war hierzulande lange vergessen. Im Holocaust starben nicht nur Millionen Menschen, sondern auch weite Teile einer alten Kultur. Jetzt aber erlebt die jiddische Literatur bei uns eine zarte Renaissance. Klingenstein hat mit ihren Publikationen wesentlich dazu beigetragen.

Die Matinée ergibt sich erneut aus der Kooperation zwischen dem Theater »Die Färbe« und Förderverein des Theaters, der literarischen Gesellschaft Forum Allmende und dem Verein für jüdische Geschichte Gailingen e. V.

Beginn ist um 11 Uhr, der Eintritt ist frei, das Theaterrestaurant ab 10 Uhr geöffnet.
Reservierung erbeten: 07731 / 64646, diefaerbe@t-online.de.
Weitere Informationen unter www.diefaerbe.de

Autor:

WasWannWo aus Singen

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