Wiechser Fasnet mit Schmugglersäcken und der Hoffnung auf Normalität
Wie einst die Grenzgeister aus dem Schmugglernest

Grenzgeister | Foto: Da hofften die Grenzgeister noch auf eine ausgelassene Fasnet. Doch auch in diesem Jahr gibt es das närrische Treiben am Randen nur auf Sparflamme im privaten Kreis.swb-Bild: NV
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Tengen-Wiechs. Eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit gehört schon dazu, wenn man am hintersten Zipfel der Republik über die Runden kommen möchte. Davon können die BewohnerInnen von Wiechs am Randen ein Liedchen singen. Denn ihre Geschichte ist geprägt von ihrer speziellen Lage direkt an der Schweizer Grenze. Früher und heute zu Corona-Zeiten.
Es ist wohl ein eigenes Völkchen, das am Randen immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Zum Beispiel mit seinem Sportplatz, dessen Außenlinie gleichzeitig die Staatsgrenze zur Schweiz ist. Oder mit dem ersten Windpark im Landkreis, der Massen an Touristen statt Demonstranten anlockte. Und nicht zu vergessen mit dem traditionellen Oktoberfest, zu dem jedes Jahr Besucher von beiden Seiten der Grenze pilgerten, um gemeinsam bei deftiger Schlachtplatte und frisch Gezapftem zu feiern. Damit war aber im Frühjahr 2020 Schluss. Corona brachte das gesellige Leben auch in Wiechs zum Erliegen und sorgte für Szenen, die an jene Zeiten erinnerten, als Schmuggler durch den dunklen Wiechser Forst ihre Touren in die benachbarte Schweiz machten. Symbolisiert werden diese Gesellen noch heute durch die Wiechser Narrenzunft, die, 1962 gegründet, als »Grenzgeister« jedes Jahr zur Fasnet das bunte Treiben zwischen den Eidgenossen und dem wackeren Randenvölkchen wieder aufleben lässt.
Denn dort wo eine Grenze ist, sind auch Zöllner – und natürlich Schmuggler. Und Wiechs am Randen hat eine lange Grenze, schließlich ist der Ort im Süden, Westen und Osten von Schweizer Gebiet umschlossen. In schlechten Zeiten waren die Wiechser auf Waren aus der Schweiz angewiesen. Kaffee, Zigaretten und feine Schweizer Schoki waren später begehrte Schmuggelware. Wiechs am Randen, so steht es in den Zunft-Annalen geschrieben, war das Schmugglerdorf schlechthin.

Aus der Überlieferung sind heute noch unzählige Geschichten über nächtliche illegale Grenzübertritte bekannt. Auch der Narrenruf »Hei-Hopp« hat seinen Ursprung aus der Schmugglertradition. Holzhauer und Schmuggler arbeiteten Hand in Hand. Wollten die Schmuggler wissen, ob die Luft rein war, riefen sie »HEI« – wenn ja, kam die Antwort »HOPP«.

Ob dieser Ruf auch in den harten Lockdown-Zeiten im Wiechser Wald erklang, ist nicht gesichert. Doch an die Stimmung nach der Grenzschließung kann sich Alisha Schroff, Zunftmeisterin der Wiechser Grenzgeister noch genau erinnern. »Es war beängstigend und bizarr. An den Grenzen blockierten dicke Betonbarrikaden den Zugang, Soldaten patrouillierten und Hubschrauber kontrollierten aus der Luft.«
Mancher Grenzgänger musste einen langen Umweg zu seinem Arbeitsplatz in der Schweiz in Kauf nehmen, da nur die Grenzübergänge Bietingen/ Thayngen und Rielasingen/ Ramsen geöffnet waren. Spaziergänger achteten genau auf ihren Weg, damit sie nicht aus Versehen die Grenze überschritten und zu einer deftigen Geldstrafe verdonnert wurden.

»Man fühlte sich wie damals die Schmuggler, obwohl wir nichts Verbotenes getan haben«, beschreibt die Zunftmeisterin diese Zeit. Vor ihrem Wohnzimmerfenster spielten sich kuriose Szenen ab. »Deutsch-Schweizer Päarchen verbrachten ihre Sonntage getrennt durch Betonblöcke an der Grenze«, erzählt Alisha Schroff. Ob manche Liebespaare diese Trennung über die grüne Grenze überwanden, ist wahrscheinlich nur ein Gerücht – könnte aber als Inspiration für den Narrenspiegel der Grenzgeister dienen.

Allerdings erst, wenn die Fasnet wieder in gewohnter Ausgelassenheit gefeiert werden darf. Das war vergangenes Jahr nicht der Fall und wird es auch heuer nicht sein, bedauert die Zunftmeisterin. Denn alle närrischen Termine inklusive die Geburtstagsparty zum 60sten der Grenzgeister mussten abgesagt werden. Der kleine Narrenverein mit seinen rund hundert Mitgliedern kann die Auflagen mit Eingangskontrollen, Absperrungen und Hygienekonzept nicht stemmen.

Doch die Wiechser sind ja Widrigkeiten dieser Art von Abgrenzung gewohnt und wissen sich zu helfen. In 2021 wurden kurzerhand prall gefüllte Schmugglertaschen im Dorf verteilt, damit die Fasnet wenigstens zuhause im kleinen Kreis gefeiert werden konnte. Und diese Fasnet wurden wieder die ausrangierten Christbäume in bunte Narrenbäume verwandelt, so dass sich die Grenzgeister erneut in kleiner, privater Runde treffen und sich schon auf die Fasnet im nächsten Jahr freuen können. Dann wird Wiechs hoffentlich wieder zum Narrendorf erwachen und der bunte Randenumzug durchs Schmugglerdorf ziehen, in dem das wackere Grenzgeister-Völkchen »einen großen Zusammenhalt pflegt, den selbst Corona nicht brechen konnte«, wie Alisha Schroff versichert.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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