Linken-Politiker bekam viel Applaus für seine Visionen von gerechter Gesellschaft
Gregor Gysi wie Popstar beim Schätzelemarkt gefeiert

Gregor Gysi mit Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Tengen.  | Foto: Gregor Gysi mit Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Tengen. swb-Bild: of
  • Gregor Gysi mit Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Tengen.
  • Foto: Gregor Gysi mit Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Tengen. swb-Bild: of
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Tengen (of). Lange mussten die sie vielen Gäste am Samstagnachmittag im Tengener Festzelt gedulden, denn der Festredner der diesjährigen Mittelstandskundgebung, Dr. Gregor Gysi, war mit seinem Flieger schon aus Hamburg zu spät weggekommen, dass es schließlich eine dreiviertelstunde Wurde, die der Pop-Star der Linken zu spät ins Festzelt kam. Dort herrschte freilich ein großes Gedränge wie schon lange nicht mehr. Viele wollten die charismatische Figur hier beim Auftritt auf dem Randen persönlich erleben.

Tengens Bürgermeister Marian Schreier zog bei der seiner Begrüßung freilich gleich einen guten Trumpf, in dem er Gregor Gysi als den wohl am besten vorbereiteten Redner bei den Mittelstandskundgebungen in Tengen titulierte. Dieser sei schließlich im ursprünglichen Beruf stattlich geprüfter Viezüchter gewesen und wisse deshalb zu gut, wie man mit Rindviechern und Hornochsen in der Politik umgehen könne. Schreier ging allerdings sogleich auf die politisch bewegten Zeiten der Gegenwart über: das alte links-rechts Schema gab es früher, heute stünden sich das Establishment der politischen Parteien und die unzufriedenen Gegenüber, die sich durch immer Entscheidungen in ihrer Gewissheit erschüttert sähen. Immer mehr Veränderungen würden auch abseits der Politik gefällt. Die mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten habe, kritisierte Schreier.

Aufgabe Politik, sei es eigentlich Veränderungen zu gestalten, heute hätten die Menschen in der Mehrheit immer mehr Angst vor Veränderungen, weil sie damit eher Verschlechterungen verbänden.

Gysi nahm zu beginnt seines Auftritts den Ball von Marian Schreier gerne auf. Als Viehzüchter sei er ja auch im Melken versiert, was mal auch bei Steuereintreiben gebrauchen könne, wie in der künstlichen Besamung. In einem kleinen Schlenker gestand er auch, dass er Birgit Homgurger im Bundestag sehr vermisse, denn wenn er nach ihr gesprochen habe, hätte er wenigstens das Mikrophon mal nach oben verstellen können, scherzte der kleinwüchsige Politiker.

Die Weltordnung sei eine Weltunordnung gewesen, stieg Gysi in den ernsteren Teil seiner Rede. Nach dem Ende des Kalten habe man es schlichtweg versäumt, sich auf neue Verhältnisse einzustellen. Die 62 reichsten Menschen besäßen so viel wie 3,6 Milliarden Menschen machte Gysi die Kluft zwischen Arm und Reich deutlich. Der Frage der Verteilung müsse man sich stellen, sonst bräche das ganze System zusammen. Früher sei die Ungleichheit weniger Problem gewesen, weil die Menschen in Afrika nicht gewusst wie wir hier leben, doch heute wissen sie es, und jetzt gehe kein Weg vorbei, dass dieses Problem auch gelöst werden müsse in einer besseren Verteilung des Wohlstands und der Möglichkeit, sich diesen zu erabeiten.

Die Saktionen in der Ukraine-Krise gegen Russland seien falsch gewesen, fuhr Gysi fort. Denn auf der anderen Seite habe es ja auch keine Sanktionen gegen die USA im Irak-Krieg gegeben, obwohl dieser ja auch rechtlich keine Legitimierung habe. Zur Flüchtlingsfrage wegen der Syrienkrieges meint Gysi, dass die meisten Flüchtlinge gar nicht hierher nach Deutschland wollten, sondern lieber in die Nachbarländer, weil es zum Beispiel für die Christen dort andere Gemeinden gebe. Dort habe es aber keinen Raum und keine Wohnungen.

Wenn man eine Mauer um Europa baue, wie für der AfD gefordert, dann verschaffe sich Europa nur eine Pause. Früher oder später würden Millionen von Menschen nach Europa strömen. Es gebe keine andere Alternative, als die Fluchtursachen zu beseitigen. „Warum wollten die Europäer ihre landwirtschaftlichen Produkte in Afrika so billig verkaufen, wo wissen müssten, dass dann dort nie eine leistungsfähige Landwirtschaft entstehen könne. Die Weltwirtschaftfragen müssten anders beantworten werden, forderte Gysi und bekam dafür deutlichen Applaus.

Gysi sieht, wie viele andere Politiker Europa in der Krise. Aus dem zweiten Weltkrieg habe man damals mit dem Marshall-Plan gelernt, einem Aufbauprogramm für Deutschland. Das hätte seiner Meinung nach auch dem Süden Europa gut getan. „Was wir Spanien, Portugal und Griechenland aufgezwungen haben, war ein reines Abbauprogramm“. Die Wirtschaft werde immer kleiner, darunter werde letztlich dann ganz Europa leiden, weil damit auch die gesamte Wirtschaft schrumpfe.

„Wir werden eine Wiederholung von London 1952 erleben, prophezeite ´Gysi. Damals seien Deutschland die Schulden erlassen worden. Etwa ähnliches müsse auch für Südeuropa geschehen, damit sich die Wirtschaft zum Vorteil ganz Europas wieder erhole.

Deutschland habe übrigens zu den EU Flüchtlingsquoten im Jahr 2014 Nein gesagt, deshalb müsse man sich nicht wundern, wenn 2015 die anderen Deutschland den Mittelfinger gezeigt hätten, als sich die Situation grundlegend geändert hätten. Trotz seiner Kritik an der EU bestand Gysi drauf, dass die EU gerettet werden müsse: nur als EU sei man noch ein Faktor. Entscheidend sei für ihn, dass es noch nie einen Krieg zwischen zwei Ländern der EU gegeben, nachdem das vorherige Europa durch Kriege gezeichnet gewesen. Sorgen mache, dass hier AfD gewählt werde, doch in den USA habe man gerade auch nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wenn schon eine Frau gewählt werden solle, hätte er lieber Frau Obama.

In ganze Europa gebe es eine Rechtsentwicklung. In Deutschland sei die CDU sozialdemokratisiert, und die SDP entsozialisiert, und beide seien sich viel zu ähnlich. Die Nichtwähler träten ins Scheinwerferlicht um ihren Ärger auszudrücken, ist seine Analyse.. Die Politik müsse endlich mit Problemen mit dem Niedriglohnsektor und der drohenden Altersarmut fertig werden, sonst werde die AfD weiter gewählt.

Eine Lösung könne es nie sein, das Rentenalter weiter nach hinten zu schieben. Für ihn führt kein Weg daran vorbei, dass alle, auch die Abgeordneten oder Rechtsanwälte, in die gesetzliche Rentenversicherungssysteme, denn derzeit würde man sich täglich mehr davon entfernen, dass man sich den Lebensstandard im Rentenalter erhalten könne, den man sich im Leben erarbeitet habe.

Gysi meinte, dass die aktuelle Regierung ein „sexuell erotisches“-Verhältnis zur schwarzen Null bei der Verschuldung habe. Und in solchen Verhältnissen sei man für vernünftige Gedanken nicht zugänglich, scherzte Gysi im Ernst: denn eigentlich müsste auch der Finanzminister wissen, dass er im Augenblick so wenig Zinsen zahle wie noch nie.

Gysi forderte generell nur noch sieben Prozent Umsatzsteuer für alle Handwerks-Dienstleistungen. Der Sozialstaat müsse zu den Selbstständigen kommen, so Gysi weiter. Auch die Arbeitslosigkeitsversicherung für diese müsse es endlich geben, um zu sozialer Gerechtigkeit zu kommen. Selbst zu seiner Forderung eines neuen Spitzensteuersatzes erhielt Gysi reichlich Applaus. Und sogar mit seiner Forderung nach mehr Toilettenwagen für Frauen auf Festen wie dem Schätzelemarkt im Sinne der Gleichstellung von Mann und Frau gab's begeisterten Applaus.

27 Wähler hatte die „Linke“ in diesem Jahr, informierte Marian Schreier zu Anfang seiner Rede. Vielleicht werden bei der nächsten Wahl mehr sein. Wie populär Gysi ist, zeigte sich beim Versuch aus dem Festzelt wieder hinaus zu kommen. Selbst der Weg durch die Küche wurde von zahlreichen Gästen versperrt, die ein Foto mit ihm haben wollten.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.