Sie entstehen aus der Not und sind eine wichtige Form zur Sicherung von Infrastruktur
Erlebt die Genossenschaft eine Renaissance?

Genossenschaften im Kommen  | Foto: Tengens Bürgermeister Marian Schreier vor dem neu eröffneten Ärztehaus in Tengen.
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  • Genossenschaften im Kommen
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Tengen / Region. »Der genossenschaftliche Gedanke erlebt eine Renaissance und legt sein verstaubtes Image ab«, sagte Marian Schreier, Bürgermeister von Tengen, im Mai 2019, als er ein Modell vorstellte, das über diesen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb die ärztliche Versorgung der Randenstadt sichern sollte.

Eine Idee, die auf große Begeisterung und Unterstützung der Bürgerschaft stieß. Sie wollte unabhängig und selbstbestimmt ihre Zukunft in die Hand nehmen und hob das Ärztehaus Stadt Tengen e. G. aus der Taufe.
411 Mitglieder zeichneten 1.438 Anteile (Stand heute) für eine Summe von 719.000 Euro und sicherten damit einen wichtigen Teil der Finanzierung des Ärztehauses. »Das haben wir zusammen angepackt und das trägt uns heute noch«, ist Marian Schreier überzeugt.
Vergangenen Donnerstag wurde nun das neue Ärztehaus am Kastaniengarten mit Tagespflege und Kinderkrippe eröffnet und gilt als Leuchtturmprojekt im süddeutschen Raum.
Doch die Genossenschaftliche Idee ist auch auf weitere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bereiche übertragbar, wie Beispiele zeigen: Ob Wohnungsbau oder Nahversorgung – durch die direkte Beteiligung der BürgerInnen an wichtigen infrastrukturellen Projekten können sie aktiv in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes mit einbezogen werden und diese erhalten.
»Das ist eine Blaupause für die Zukunft, die Mut macht«, lobte Sozialminister Manne Lucha, der als prominenter Gastredner bei der Eröffnung in Tengen Grußworte überbrachte.
Und dieser Mut – zusammen mit Zuversicht und Phantasie – sei notwendig gewesen, um die genossenschaftliche Idee über einige Umwege zu verwirklichen, betonte Schreier.
Großes bürgerschaftliches Engagement war auch in dem kleinen Dorf Schienen die Basis für ein Vorzeigeprojekt, das die Nahversorgung im Ort bis heute sichert. Das Lädele im ehemaligen Milchhäusle ist eine Erfolgsgeschichte, die nun nach kurzzeitigen Turbulenzen fortgesetzt werden kann.
Gegründet wurde das Lädele im Jahr 2006 als eine Genossenschaft und wurde bis dieses Jahr von engagierten BürgerInnen getragen. 2019 wurde das Lädele zudem von der »Bundesvereinigung multifunktionaler Dorfläden« auf der Grünen Woche in Berlin zum »Dorfladen des Jahres« gekürt.
Als der beliebte Dorftreff und Nahversorger vor dem Aus stand, weil sich keine Nachfolger für den Vorstand finden ließen, zeigte sich, wie groß die Wertschätzung dieser Einrichtung im Öhninger Ortsteil wirklich ist.
Nach einem Brandbrief der langjährigen Vorsitzenden Andrea Kasper meldeten sich gleich acht Interessenten, die sich in den genossenschaftlichen Vorstand und Beirat einbringen wollten. Damit war der Fortbestand des Lädele’s und die Nahversorgung im Dorf gerettet und soll für die Zukunft durch einen Anbau und geselligen Aktionen noch weiter ausgebaut werden.
Eine lange Tradition hat die Genossenschaft im Bereich Wohnungsbau, wie zum Beispiel die Wohnbaugenossenschaft Gottmadingen (WBG). Sie verwaltet, renoviert und baut neuen, bezahlbaren Wohnraum, wie derzeit in der Hardstraße in einem bestehenden Quartier in Gottmadingen. Wie wichtig diese Angebote heute sind, unterstreicht Gottmadingens Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der WBG, Michael Klinger: »Seit langer Zeit hat die WBG eine ganz große Bedeutung für die Schaffung und Bereitstellung von Wohnraum. Sie ist eine Institution, die – neben der Gemeinde – geförderten und bezahlbaren Wohnraum schafft«. Ihre Wurzeln hat die WBG in den Fünfziger Jahren, als zu einem die Fahr-Fabrik expandierte und Arbeiter aus Südeuropa in den Hegau kamen und auf der anderen Seite viele Heimatvertriebene auf der Suche nach einer neuen Zukunft anlandeten. Die Arbeitsteilung »Arbeitsplatzschaffung und Wohnungsbau« ermöglichte der Gemeinden einen enormen Aufschwung. Einen wichtigen Punkt sprach Vera Federer, Hauptamtlicher Vorstand der WBG, an: »Wohnbaugenossenschaften arbeiten nicht gewinnorientiert und sind nur ihren Mitgliedern verpflichtet. Diese bestimmen gleichberechtigt den Kurs der Genossenschaft«.
Auch in Singen stand die große Not als »Pate« für die Baugenossenschaft »Hegau«. Emil Sräga und Reinhard Ruhnke, beides Flüchtlinge aus dem Sudetenland, erkannten bald, dass Singen überfordert war mit dem Bedarf an Wohnraum, der durch die Situation nach dem zweiten Weltkrieg entstanden war. »Wir wollen bauen« war ihre Devise.
Und sie konnten mit der Basis vieler Mitglieder, die die Wohnungen sehnlichst erwarteten um die Zeit der Baracken hinter sich zu lassen, die »Baugenossenschaft Hegau« begründen, die dank des Willens der Gründer damals schnell ans Werk gehen konnte ab der Gründung im Dezember 1952.
Grundidee passt
Die Genossenschaft hält auch nach fast 70 Jahren an ihrer genossenschaftlichen Grundidee fest: als Bauträger sieht sie sich zwar auch in städtebaulicher Verantwortung, tritt aber nur für den eigenen Bestand auf, der inzwischen unter anderem in Singen und Stockach bei rund 2.000 Wohnungen liegt. Die Antwort auf die aktuelle Wohnungsknappheit, vor allem im günstigeren Bereich, ist die Planung von über 300 Wohnungen, von denen das erste Drittel nun mit den »Praxedisgärten« in diesem Herbst bezogen werden kann. Die Genossenschaft hat es sich inzwischen auch zum Ziel gesetzt, die Klimabelastung durch Wohnraum und die Schaffung dessen immer weiter zu minimieren.

Autor:

Ute Mucha aus Moos

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