Politisches WOCHENBLATT-Interview mit Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
»Zusammen sind wir Deutschland«
Stockach. Malu Dreyer (SPD) ist die Beklagte 2017 vor dem Stockacher Narrengericht. Neben den närrischen Fragen auf Seite 1 dieser Ausgabe äußerte sich die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz auch zu ernsthaften politischen Themen im WOCHENBLATT-Interview.
WOCHENBLATT: Ein kurzer Rückblick auf 2016: Sie waren die einzige Sozialdemokratin, die für ihre Partei ein positives Ergebnis bei einer Landtagswahl einfahren konnte. Worauf führen Sie diesen Erfolg in Rheinland-Pfalz bei einer allgemeinen SPD-Skepsis in der Bevölkerung zurück?
Malu Dreyer: Angesichts der aktuellen Umfrage-Werte kann man wohl kaum von einer »allgemeinen SPD-Skepsis« sprechen. Uns ist es in Rheinland-Pfalz gelungen, den Menschen zu vermitteln, dass wir als SPD Rheinland-Pfalz in den vergangenen Jahrzehnten zu einem modernen, wirtschaftlich stabilen und sozial gerechten Land gemacht haben, in dem die Menschen gerne leben. Wir setzen auf gute Bildung, eine starke Wirtschaft mit guter Arbeit und eine soziale Politik, bei der Zusammenhalt und ehrenamtliches Engagement großgeschrieben werden. Das haben die Wählerinnen und Wähler eindrucksvoll honoriert.
WOCHENBLATT: Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass die SPD-Regierung in Rheinland-Pfalz bei dem Verkauf des hochdefizitären Flughafens Hahn im Hunsrück fast einem betrügerischen Käufer aufgesessen wäre? Wurden hier wichtige Warnhinweise im Vorfeld ignoriert?
Malu Dreyer: Heute wissen wir, dass der zum Zuge gekommene Bieter kriminelle Absichten hatte und die Beratungsfirma und das Innenministerium getäuscht hat. Wir haben rechtzeitig die Reißleine gezogen, der Käufer hatte zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf Landesvermögen. Für das neu gestartete Verfahren haben wir als Landesregierung entsprechende Schlüsse gezogen und zusätzliche Expertise zur Begleitung des Prozesses hinzugezogen. Ich bin froh, dass jetzt der letzte Verhandlungsschritt eingeleitet werden konnte, um dann hoffentlich ein gutes Verhandlungsergebnis zu erzielen.
WOCHENBLATT: Bildungspolitik ist immer noch das Hoheitsrecht der Länder. In Baden-Württemberg gibt es Diskussionen um die Berechtigung von Gemeinschaftsschulen. Wie sieht das System in Rheinland-Pfalz aus?
Malu Dreyer: Wir haben in Rheinland-Pfalz ein durchlässiges und aufstiegsorientiertes Schulsystem, in dem die individuelle Förderung eine wichtige Rolle spielt. Dazu leisten alle Schularten einen wichtigen Beitrag – das zweigliedrige System der allgemeinbildenden Schulen mit den Realschulen plus und Integrierten Gesamtschulen als Schularten mit mehreren Bildungsgängen einerseits und den Gymnasien andererseits. Ebenso wichtig sind die berufsbildenden Schulen mit ihrem breit gefächerten Angebot, die die duale Ausbildung begleiten und zusätzlich Abschlüsse von der Berufsreife bis zur allgemeinen Hochschulreife anbieten. Die Realschulen plus zeichnet eine besondere Praxisorientierung aus. Hier können Schülerinnen und Schüler die Berufsreife, die Mittlere Reife sowie an Standorten mit angegliederter Fachoberschule die Fachhochschulreife erreichen. Die Integrierten Gesamtschulen und Gymnasien führen bis zur allgemeinen Hochschulreife.
WOCHENBLATT: Für ein Jahr amtieren Sie als Bundesratspräsidentin. Der Länderfinanzausgleich soll durch eine stärkere Beteiligung des Bundes neu geregelt werden, nachdem Baden-Württemberg und Bayern jahrzehntelang die größten Geberländer gewesen waren. Halten Sie die neue Regelung für gerechter?
Malu Dreyer: Primäres Ziel des Länderfinanzausgleichs ist es, allen Ländern eine aufgabengerechte Finanzausstattung zu gewährleisten. Nur so kann die vom Grundgesetz geforderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet sichergestellt werden. Daher hat sich die Landesregierung von Rheinland-Pfalz bei den Verhandlungen für einen solidarischen und transparenten Bund-Länder-Finanzausgleich eingesetzt. Dass er tatsächlich gerechter ist, lässt sich daran festmachen, dass kein Land finanziell schlechter gestellt ist als ohne Neuordnung der Finanzbeziehungen. Dieses Ergebnis kommt gerade im Hinblick auf eine nachhaltige Finanzausstattung den Bürgerinnen und Bürgern zugute.
WOCHENBLATT: 2017 ist auch das Jahr der Bundestagswahl. Wie kann die SPD sich gegenüber der CDU mit der immer noch populären Angela Merkel positionieren und ihren Status als Volkspartei zurückgewinnen?
Malu Dreyer: Ich denke, insgesamt muss es uns als SPD wieder stärker gelingen zu vermitteln, dass wir uns um alle gesellschaftlichen Gruppen kümmern und dass alle von unserer Politik der sozialen Gerechtigkeit und des Zusammenhalts profitieren. Mit Martin Schulz verfügen wir über einen Kanzlerkandidaten, der dies absolut glaubwürdig vertritt. Er schafft es, die Menschen für den Zusammenhalt zu begeistern und so einen Gegenpol zur derzeit zu beobachtenden gesellschaftlichen Spaltung zu setzen. Die Kraft, mit der Martin Schulz die sozialdemokratischen und europäischen Ideale vertritt, gibt der SPD Auftrieb.
WOCHENBLATT: Was halten Sie für eine funktionierende Antwort der SPD auf die Herausforderung der rechtspopulistischen AfD?
Malu Dreyer: Die AfD spielt gezielt gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aus und trägt damit ganz massiv zur Spaltung bei. Sie grenzt Menschen aus, macht rechtsextreme Positionen wieder salonfähig, verharmlost den Nationalsozialismus, greift demokratisch legitimierte Institutionen an und nimmt als Minderheit für sich in Anspruch, das »ganze Volk« zu sein. Das dürfen wir nicht zulassen! Wir müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, ihnen aufzeigen, dass die vermeintlichen Antworten und Alternativen der AfD keine sind, dass sie ausgrenzend, menschenverachtend und rückwärtsgewandt ist. Wir haben deshalb in Rheinland-Pfalz angefangen, wieder von Tür zu Tür zu gehen und die Menschen gezielt anzusprechen.
WOCHENBLATT: Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA zeigt es deutlich: Etablierte Parteien verlieren in der Wählergunst. Was ist die Antwort der SPD auf inhaltsleere Parolen, einfache Schlagworte, polarisierendes Politikverhalten?
Malu Dreyer: Wir leben in sehr schwierigen Zeiten. Krisen in vielen Ländern der Erde, daraus resultierende Flüchtlingsströme, der internationale Terrorismus oder die Globalisierung – um nur einige Faktoren zu nennen – führen zu sehr vielen Ängsten und zur Verunsicherung. Viele Menschen bei uns im Land haben Angst vor dem sozialen Abstieg, ob berechtigt oder unberechtigt, das sei mal dahingestellt. Das ist ein Nährboden für rechtsextreme Hetze und Populismus. Wie bereits gesagt, wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen, mit ihnen sprechen und sie zurückgewinnen, womit ich nicht diejenigen meine, die ein geschlossenes oder radikales Weltbild haben. Hier gilt es, klare Haltung zu zeigen. Ich tue dies in Sprechstunden, Bürgerversammlungen oder indem ich zum Beispiel mit jungen Menschen in Schulen spreche. Ich habe das Jahr meiner Bundesratspräsidentschaft ganz bewusst unter das Motto »Zusammen sind wir Deutschland« gestellt, um der Spaltung entgegenzuwirken.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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