Bürgermeister bittet seine Mitbürger gnadenlos zur Kasse
Rainer Stolz rechnet ab
Stockach. Beliebt wie nie. Die Menschen standen Schlange vor Rainer Stolz. Dabei kassierte der Bürgermeister gnadenlos ab. Über eine Stunde vertauschte der Verwaltungschef den bequemeren Stuhl im Stockacher Rathaus mit der Kasse im Rewe-Markt in der Dillstraße. Er rechnete die Einkäufe der Kunden ab, fragte nach Treuepunkten, gab Wechselgeld heraus und wies auf Sonderaktionen hin. Die dabei eingenommene Summe in Höhe von mehr als 700 Euro wird an die Radio7-Aktion »Drachenkinder« gespendet, mit der kranken, traumatisierten oder behinderten Kindern etwa durch den Ankauf von speziellen Spielgeräten geholfen wird.
Eine Kasse allein ist nicht genug – sie ist der Stolz‘schen Power nicht gewachsen. Nach einer guten halben Stunde Kassierarbeit gibt das Gerät seinen Geist auf. Nicht Rainer Stolzs Schuld bekräftigt Sabine Oberle vom Mitarbeiter-Team, und auch der Aushilfskassierer selbst ist sich keines Fehlers bewusst: »Ich habe doch nur auf alle verfügbaren Knöpfe gedrückt.« Egal. Eine neue Kasse wird für den neuen Mitarbeiter frei gemacht, und kaum leuchtet das Schild »Kasse offen« auf, bilden sich lange Schlangen. Dass die Tätigkeit anstrengender ist als der öffentliche Dienst, möchte Rainer Stolz öffentlich nicht bestätigen. Aber mit den Kunden hält er gerne ein Schwätzchen: Sein Vogel würde das von dieser Kundin gekaufte Futter nicht essen, plaudert er aus dem Nähkästchen.
Ohne flotte Kunden-Sprüche geht es nicht ab: »Wenn man sich wirklich Mühe gibt, funktioniert das ja auch mit dem Kassieren.« – »Ja, so ein zweites Standbein kann hilfreich sein.« – »Seht mal, seht mal, der Bürgermeister arbeitet!« Damit war zu rechnen. Doch die Kommentare prallen am in seine Arbeit vertieften Jung-Kassierer ab. Auch ohne Hilfe seines Stadtkämmerers Bernhard Keßler beherrscht Rainer Stolz den Zahlenraum von eins bis 50 perfekt, und eine Kundin hebt erstaunt die Augenbrauen: »Haben Sie einen neuen Job?« Rainer Stolz: »Ja, ich habe es im Rathaus nicht mehr ausgehalten.« Schlagfertige Antwort der Kundin: »Das ist aber schlecht. Ich habe sie schließlich gewählt.«
Und natürlich holt die Kommunalpolitik den Bürgermeister ein: Ein Mann gibt drei Cent Trinkgeld, damit die Stadt endlich Mittel für das Feuerwehrgerätehaus in Seelfingen hat. Dann noch ein Selfie mit Bürgermeister für den Feuerwehr-Chat, und schon ist die Stunde um. Eigentlich. Doch der Kundenstrom reißt nicht ab. Selten sind Mitbürger so freudig Schlange gestanden, um von der Stadt zur Kasse gebeten zu werden.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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