Ein Auswanderer kehrt heim und vermittelt norwegischen Lifestyle
Nordische Noblesse ist geblieben

Jürgen Spreemann aus Eigeltingen  | Foto: Nach 26 Jahren ist Jürgen Spressmann von Norwegen an den Bodensee zurückgekehrt. swb-Bild: privat
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Eigeltingen. Ein Stück Norwegen hat er mitgenommen. Jürgen Spreemann, 26 Jahre Deutschlehrer in dem skandinavischem Land, ist nun, als Rentner, in seine Heimat zurückgekehrt, lebt in Eigeltingen und hat sich die nordische Noblesse mit einer gewissen Nonchalance, großer Gelassenheit und Distanziertheit bewahrt. Norweger, erklärt der 68-Jährige, haben so gar nichts mit südländischem Temperament, überschäumender Herzlichkeit und aufbrausender Vitalität gemeinsam. Sie schätzen ihr Gegenüber genau ab, taxieren und testen es lange, beurteilen einen Menschen vom Scheitel bis zur Sohle - und wer diese Prozedur übersteht, der wird ins Privatleben und das Eigenheim eingelassen. »Das ist dann eine große Auszeichnung«, weiß Jürgen Spreemann, der sein Wissen in Vhs-Kursen weitergeben möchte. Norwegische Sprache und Landeskunde vermittelt er etwa im neuen Semester der Volkshochschule in einem Kurs in Radolfzell.

Er sieht sich selbst auch als Brückenkopf zwischen zwei europäischen Länder, zwischen denen die Geschichte einen tiefen Graben aufgerissen hat. Einen Schützengraben. Denn die deutschen Besatzer wüteten während des Zweiten Weltkriegs ohne Rücksicht und ließen beim Abzug verbrannte Erde zurück. Ressentiments sind geblieben. Das bekam auch Jürgen Spreemann zu spüren. Der gebürtige Dortmunder studierte Philosophie und Französisch, sattelte dann ein pädagogisches Studium für Germanistik und Französisch drauf und unterrichtete zehn Jahre lang an der Waldorfschule in Wahlwies. Anfang der 90er Jahre wollte er raus, eine Kehrtwendung, etwas anderes machen. Also wanderte er aus und unterrichtete in Norwegen Deutsch an einem Gymnasium: Als die Schüler dort einmal zu laut waren, ermahnte er sie streng und deutlich. Da stand ein junger Mann auf und machte vor ihm den Hitlergruß. Sein Großvater hatte während des Kriegs unter den Deutschen zu leiden gehabt - und diesen Hass gab der Enkel nun weiter. Doch Jürgen Spreemann hatte auch gegen ein ungeschriebenes Gesetz in Norwegen verstoßen: nie laut werden, nie die Stimme erheben, immer ruhig und gelassen bleiben.

Diesen Lebensmodus hat der sechsfache Vater mit allen Fasern seines Körpern aufgesogen und nach Deutschland mitgenommen: Der Stress-Level sei hier höher, das Hektikpotential groß, die Freundlichkeit ausbaufähig. Dennoch nähern sich beide Länder an, so die Erfahrung von Jürgen Spreemann. Deutsch als Fremdsprache, lange Zeit ein Stiefkind und im Schatten von Spanisch stehend, holt in der Gunst der jungen Norweger auf. Deutschland ist als Handelspartner und Wirtschaftsmacht wichtig geworden, Sprachkenntnisse versprechen einen guten Arbeitsplatz, Fachkräfte aus der Bundesrepublik im Bereich Handwerk, Medizin und Ingenieurswissenschaften sind heiß begehrt: »Das Fachwissen von hier wird gebraucht.«

Trotz aller Modernität tummeln sich in Norwegen aber alte Sagen, traditionelle Bräuche, Dinge, die sich außerhalb der Realität und Rationalität abspielen. Als Jürgen Spreemann einmal Urlaub in einem von Bekannten gemieteten Haus in Nordnorwegen machte, waren die Gartenmöbel auf der Terrasse am anderen Tag verstellt. Eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür fand er nicht. Als er Nachbarn von dem vermeintlichen Spuk erzählte, erntete er nur ein nachsichtiges Lächeln: Solche Dinge sind im Land der Trolle und Elfen ganz normal. Normal, aber gewöhnungsbedüftig sind auch die langen Winternächte: Im Norden des Landes, so Jürgen Spreemann, ist es während der kalten Jahreszeit gerade mal für drei Stunden zwischen 13 und 16 Uhr hell. Grund für manche Depression und eine hohe Selbstmordrate. In der Nähe von Oslo, wo er lebte, ist es besser. Und so trägt er ein Stück Norwegen stets in sich.

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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